Menschen mit Rindenblindheit sind vom Gefühl her blind, zeigen aber manchmal unbewusste Reaktionen auf visuelle Reize. Das gilt auch für TN: Bereits im Jahr 2004 hatte ein Forscherteam entdeckt, dass sein Gehirn auf emotionale Gesichtsausdrücke eines Gegenübers wie Angst, Ärger und Freude reagiert, ohne dass er selbst es wahrnahm.
Die aktuelle Studie zeigt nun, dass sein Gehirn sogar zu noch größeren Leistungen fähig ist: Obwohl sich TN im Alltag nur mit Hilfe von Stock oder Führer fortbewegen kann, durchquerte er ein Labyrinth aus Kisten und Stühlen ohne Hilfe und ohne auch nur an einen der Gegenstände zu stoßen ? eine Leistung, die ihm am Ende des Tests spontanen Applaus von den anwesenden Zuschauern und den Forschern einbrachte. Etwas Ähnliches hatten Wissenschaftler bisher erst ein einziges Mal gesehen, und zwar bei einem Affen namens Helen, bei dem jedoch die Schäden im Gehirn sehr viel weniger ausgeprägt waren als bei TN.
Das Gehirn besitzt demnach offenbar versteckte Ressourcen, die es für den Notfall aktivieren kann, schließen de Gelder und ihre Kollegen aus den Ergebnissen. Sie vermuten, dass TN für die komplizierte Navigation instinktiv sehr alte, urtümliche Teile des Gehirns nutzte, die für ganz grundlegende Überlebensfähigkeiten wie eben die Orientierung zuständig sind. „Das ist der Teil unseres Sehvermögens, der eher für die Tat da ist ? und nicht dafür, diese Tat zu verstehen“, formuliert es de Gelder. TNs Leistung illustriere die Wichtigkeit dieser evolutionär alten Pfade im Gehirn: „Sie leisten wohl einen größeren Beitrag dazu, dass wir in der realen Welt zurechtkommen, als wir denken.“