Die genetischen Spuren der ersten Wanderbewegungen von Menschen auf den indischen Subkontinent vor rund 65.000 Jahren sind noch heute in allen Bevölkerungsteilen Indiens vorhanden. Genetisch gesehen gibt es daher keinen Unterschied in der Herkunft und Abstammung der stark in Stämme und Kasten aufgeteilten Gesellschaft Indiens, haben Forscher um Satish Kumar vom Anthropologischen Dienst, einer Regierungsorganisation im indischen Kolkata mit genetischen Vergleichsstudien herausgefunden. Die genetische Spur der ersten Besiedelung ist auch in den verschiedenen Sprachgruppen ausgeprägt. Die Menschen haben sich daher, trotz der teils komplexen späteren Wanderbewegungen stark vermischt.
Bislang war Forschern unklar, ob die Erstbesiedelung des indischen Subkontinents von vor 65.000 Jahren noch genetische Spuren hinterlassen hat. Diese Menschen überschritten von Afrika kommend das Rote Meer beim Horn von Afrika und arbeiteten sich entlang der Küste des Indischen Ozeans Richtung Indien vor. Später gab es noch weitere Wanderbewegungen aus der Kaukasusregion und innerhalb Asiens. Diese schlagen sich in den zwei Hauptdialektgruppen Indiens nieder: der indo-europäischen und der australo-asiatischen Sprachfamilie.
Der Anthropologe Kumar und seine Kollegen untersuchten 2.768 Erbgutproben von Menschen aus 24 indischen Bevölkerungsgruppen. Die betrachtete mitochondriale DNA wird nur von Mutter zu Kind vererbt und hilft Wissenschaftlern, Verwandtschafts- und Abstammungsbeziehungen herzustellen. Dabei fiel ihnen ein in charakteristischer Weise durch zahlreiche Mutationen gekennzeichneter Teilbereich der mitochondrialen DNA auf. Dieser M2 genannte Bereich ist einzigartig für sämtliche Bevölkerungsgruppen im Süden, im Zentrum und im Osten Indiens, egal welcher Sprachfamilie sie angehören.
Auch die höheren Kasten, die Brahmanen und die Kshatriya, weisen diese charakteristischen Erbgutmerkmale auf, wenngleich weniger ausgeprägt. Von ihren Vorfahren wird angenommen, dass sie als technologisch überlegene Menschengruppe vor rund 10.000 Jahren nach Indien vorgedrungen sind. Seit jener Zeit müssen sie sich aber trotzdem stark mit der schon anwesenden Bevölkerung durchmischt haben. “Biologisch gesehen gibt es in Indien keine Kasten und Stämme, sondern nur unterschiedliche Gemeinschaften”, kommentiert Forscherkollege Vadlamudi Rao.
New Scientist Originalarbeit der Forscher: Satish Kumar (Anthropological Survey of India in Kolkata, Indien) et al.: BMC Evolutionary Biology, Bd. 8. ddp/wissenschaft.de ? Martin Schäfer