Schenk und Kollegen berichten, dass die Risse genau den Deformationen entsprechen, die bei echter Polwanderung zu erwarten sind. Die Kruste des Mondes habe sich um etwa 80 Grad verschoben, während der Gesteinskern vermutlich ortsfest geblieben sei. Solch eine Rutschpartie sei ein weiterer Beweis dafür, dass sich unter der 10 bis 20 Kilometer dicken Eiskruste Europas ein flüssiger Ozean befinde. Schon vor 20 Jahren hatten russische Planetenforscher postuliert, dass Europas Kruste nicht stabil ist. Weil es an den Polen kühler ist als am Äquator, wird die Eiskruste dort dicker. Eine solche Konstellation ist allerdings physikalisch unbeständig, so dass die verdickte Kruste irgendwann in Richtung Äquator gleitet.
Die Forscher stellten jetzt außerdem fest, dass auch die anderen Risse in Europas Eiskruste, die bislang als Hinweis auf plattentektonische Prozesse galten, entlang der Richtung des Spannungsfeldes verlaufen, das durch die mutmaßliche Polwanderung entstand. “Ich hatte schon länger den Verdacht, dass Europas Bruchmuster symmetrischer ist als es zunächst scheint”, sagte Paul Schenk. “Als wir das Wander-Szenario gefunden hatten, das am besten zu den konzentrischen Kreisen passte, ordneten sich auch andere größere tektonische Strukturen plötzlich zu einem globalen Muster, das mit dem Spannungsfeld übereinstimmte.”
Das Phänomen der echten Polwanderung könnte auch auf anderen Himmelskörpern aufgetreten sein: Der Mars kugelte wahrscheinlich als Ganzes ein Stück zur Seite, als die riesigen Vulkane der Tharsis-Region auf seiner Oberfläche wuchsen. Auch die Monde Enceladus und Miranda veränderten womöglich im Laufe ihrer Geschichte ihre Lage. Die Erdkugel könnte ebenfalls schon einmal zur Seite gekippt sein. Allerdings ist eine irdische Polwanderung nur schwer nachzuweisen: Durch die Plattentektonik ist die Erdkruste ohnehin ständig in Bewegung.