Ein Narkosegas könnte helfen, traumatische Erinnerungen aus dem Gedächtnis zu löschen. Das haben Wissenschaftler der Universität von Kalifornien in Irvine experimentell nachgewiesen. Michael Alkire und seine Kollegen verabreichten ihren Probanden dazu geringe Mengen des Betäubungsmittels Sevofluran. Obwohl die Dosis des Narkosegases zu gering war, um Bewusstlosigkeit auszulösen, zeigte das Mittel deutliche Wirkung bei den Teilnehmern der Studie: Im Vergleich zu Probanden, die kein Sevofluran erhalten hatten, erinnerten sie sich später weniger gut an verstörende Bilder, die während des Experiments gezeigt worden waren. Mit Hilfe von Gehirnscans fanden die Forscher heraus, dass Sevofluran die Kommunikation von Hirnregionen blockiert, die für Emotionen und Langzeiterinnerungen zuständig sind.
Geringe Dosen von Anästhetika schränken zwar das Erinnerungsvermögen ein, lassen die Patienten aber ansonsten bei vollem Bewusstsein. Um herauszufinden, ob davon auch emotionale Erinnerungen betroffen sind, versetzten die Wissenschaftler die Probanden mit Sevofluran in einen leichten Betäubungszustand. Eine Kontrollgruppe erhielt nur ein
Placebo ohne narkotischen Effekt. Anschließend zeigten sie allen Teilnehmern eine Serie von 36 Bildern. Neben banalen Dingen wie einer Kaffeetasse waren dort auch verstörende Bilder zu sehen, wie beispielsweise eine abgetrennte Hand. Nach einer Woche fragten die Forscher dann die Teilnehmer, an welche Bilder sie sich noch erinnerten.
Hier zeigten sich deutliche Unterschiede: Die Probanden aus der Kontrollgruppe erinnerten sich noch an rund 29 Prozent der verstörenden Bilder und an 12 Prozent der banalen. Den Teilnehmern, die unter dem Einfluss von Sevofluran gestanden hatten, waren dagegen nur noch 5 Prozent der verstörenden Bilder im Gedächtnis geblieben, während sie sich noch an 10 Prozent der banalen Bilder im erinnerten. Mit Hilfe einer Positronenemissionstomographie (PET) fanden die Forscher den Grund: Sevofluran blockiert die Kommunikation zwischen Amygdala und Hippocampus, zweier Gehirnregionen, die bei der Verarbeitung von Emotionen und Langzeiterinnerungen besonders wichtig sind.
Die Forscher wollen diese Erkenntnis in Zukunft auch therapeutisch nutzen. So hoffen sie, nach traumatischen Erlebnissen das Festsetzen der Erinnerungen im Gehirn verhindern zu können. Ob damit auch Erinnerungen gelöscht werden können, die bereits bestehen, ist den Forschern zufolge aber nicht gesagt – alte Erinnerungen seien wesentlich schwieriger zu beeinflussen als neue.
New Scientist, 29. März, S. 14 ddp/wissenschaft.de ? Markus Zens