Das Gehirn lernt auch aus fiktiven „Was-wäre-wenn“-Gedankenspielen und beeinflusst so, wie sich Menschen verhalten und entscheiden. Das haben amerikanische Wissenschaftler herausgefunden, indem sie mehrere Freiwillige mit einem Glückspiel beschäftigten und dabei die Gehirnaktivität aufzeichneten. Die Ergebnisse der Studie ermöglichen, die Ursache von Suchtverhalten besser zu verstehen, so die Forscher.
Read Montague und seine Kollegen beobachteten 54 Freiwillige im Alter zwischen 19 und 54 Jahren, während diese sich mit einer Wirtschaftssimulation befassten. Die Probanden mussten in jeder Spielrunde die Höhe ihrer Kapitalanlage bestimmen und erhielten anschließend einige Informationen über das Verhalten des Marktes: Brach der Markt zusammen, verloren sie ihr eingesetztes Geld, wuchs der Markt, erzielten sie einen Gewinn. Die Wissenschaftler verwendeten dabei echte Marktsituationen wie etwa den Crash von 1929 oder die Spekulations-Blase der späten 1990er. Jede Testperson spielte mit zehn Marktsituationen und musste jeweils zwanzig Entscheidungen treffen. Nach jeder Spielrunde zeigte das Programm dem Probanden die Differenz zwischen dem bestmöglichen Ergebnis und dem tatsächlich erreichten Gewinn oder Verlust an. So konnte der Proband einen Gewinn trotzdem als Verlust empfinden, wenn mit einer höheren Investition noch ein größerer Profit möglich gewesen wäre.
Um den Einfluss dieses „fiktiven Fehlers“ auf die weiteren Entscheidungen der Testperson bestimmen zu können, zeichneten die Wissenschaftler während des gesamten Spielverlaufs mit einem speziellen Verfahren der Magnetresonanztomographie die Blutströme in verschiedenen Gehirnbereichen und die Aktivitäten der benachbarten Nervenzellen auf. Der „Was-wäre-wenn“-Effekt äußerte sich dabei als ein spezielles Signal im Bereich des Schweifkerns, einer Gehirnregion, die für die Kontrolle willkürlicher Bewegungen zuständig ist. Das Signal sei zwar nicht mit einem konkreten Gefühl oder Sinneseindruck zu vergleichen, so die Forscher. Jedoch berechnet das Gehirn diese „fiktive Erfahrung“ in seine weiteren Planungen mit ein und steuert damit zukünftige Entscheidungen.
Read Montague (Baylor-College für Medizin, Houston) et al.: PNAS, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1073/pnas.0608842104 ddp/wissenschaft.de ? Claudia Hilbert