Bislang kannten Wissenschaftler vom Neandertaler lediglich kurze Erbgutstücke aus den Mitochondrien, den so genannten Kraftwerken der Zelle. Die sehr viel interessantere DNA aus dem Zellkern zu entschlüsseln, scheiterte dagegen an einer ganzen Reihe von Problemen. So hat sich das Erbmaterial im Lauf der Jahrtausende zersetzt, so dass heute nur noch kleine Bruchstücke vorhanden sind. Auch sind fast alle Neandertaler-Überreste mit DNA-Proben der Menschen übersät, die sie gefunden oder untersucht haben. Pääbo und sein Team identifizierten nun jedoch ein 38.000 Jahre altes Oberschenkelknochenfragment aus einer Höhle in Kroatien, das gut erhalten und gleichzeitig kaum mit menschlichem Erbgut verunreinigt war. „Wir hatten Glück, dieser Knochen war so klein und uninteressant, dass er wenig angefasst wurde“, erklärte Pääbo.
Die Analyse zeigte, dass der größte Teil des Erbmaterials von Pflanzen und Mikroorganismen stammten, die den Knochen im Lauf der Zeit besiedelt hatten, und nur etwa sechs Prozent von einem Neandertaler. Rubins Gruppe gelang es, Stücke dieses Erbmaterials in kleine ringförmige DNA-Moleküle aus Bakterien einzubauen und auf diese Weise etwa 65.000 Bausteinpaare des Neandertaler-Erbguts zu entschlüsseln. Pääbos Team koppelte die DNA-Stückchen dagegen an kleine Kugeln und sequenzierte sie anschließend direkt mithilfe der so genannten Pyrosequenzierung. Auf diese Weise erhielten die Forscher Informationen über rund eine Million Basenpaare.
Das ist bei einer geschätzten Gesamtgröße des Neandertalergenoms von mehr als drei Milliarden Bausteinpaaren zwar immer noch recht wenig, zeigt aber, „dass die Methode prinzipiell funktioniert“, betonten beide Forscher. Sie sind zuversichtlich, in etwa zwei Jahren einen groben Entwurf des gesamten Erbguts vorliegen zu haben. „Dazu bräuchten wir schätzungsweise zwei bis vier Gramm Knochenmaterial“, so Pääbo.
Von der Entschlüsselung versprechen sich die Wissenschaftler neue Erkenntnisse darüber, was den modernen Menschen von seinem weniger erfolgreichen Verwandten unterscheidet und wie sich die Menschen seit der Abspaltung vom Affen entwickelt haben. Erste Schlüsse können die Forscher jedoch schon aus den aktuellen Ergebnissen ziehen. „Die Übereinstimmung zwischen Neandertaler und modernem Menschen liegt extrem hoch ? bei etwa 99,5 bis 99,9 Prozent“, berichtete Rubin. Hochgerechnet gibt es demnach etwa 3 Millionen Unterschiede im Erbgut von Mensch und Neandertaler. Zum Vergleich: Das Genom des Schimpansen, des nächsten heute noch lebenden Verwandten des Menschen, weicht an ungefähr 15 Millionen Stellen von dem des Menschen ab.
Eine Vermischung der beiden Linien nach ihrer Trennung, wie es manche Wissenschaftler postulieren, halten Pääbo und Rubin für sehr unwahrscheinlich: „Wir können es zwar nicht vollständig ausschließen, haben aber bislang keinerlei Hinweise darauf gefunden“, erklärte Pääbo.