Bienen berücksichtigen bei Entscheidungen mehrere Faktoren gleichzeitig: Sie machen ihre Aktivitäten nicht nur vom Ort abhängig, an dem sie sich gerade befinden, sondern auch von der Tageszeit. Das haben Forscher entdeckt, als sie einigen Bienen beibrachten, Streifen- und Farbmuster mit unterschiedlichen Aufgaben zu assoziieren. Die Insekten lernten problemlos, sich morgens an anderen Farben und Mustern zu orientieren als nachmittags und zusätzlich noch zu berücksichtigen, ob sie gerade auf Futtersuche waren oder auf dem Heimweg in ihren Stock. Das zeige, dass Bienen trotz ihres kleinen Gehirns ein sehr komplexes Erinnerungsvermögen besitzen und dieses nutzen, um in einem bestimmten Kontext die richtige Entscheidung zu treffen, sagen Jürgen Tautz von der Universität Würzburg und seine Kollegen.
Die Aufgaben, die die Forscher den Bienen in ihren Tests stellten, waren im Prinzip immer die gleichen: Die Tiere mussten den richtigen Weg zu einer Futterquelle finden und sich für den richtigen Eingang in ihren Stock entscheiden. Dazu erhielten sie ein dreiteiliges Training. Zuerst lernten sie, morgens ein diagonales Streifenmuster mit dem richtigen Stockeingang zu assoziieren und ein anderes mit dem Weg zum Futter. Nachmittags wurden die Muster getauscht, und die Insekten mussten sich die umgekehrte Verknüpfung merken. Als sie sich am nächsten Tag zwischen beiden Mustern entscheiden mussten, wählten sie sowohl morgens als auch nachmittags unbeirrt die zuvor erlernte Kombination, beobachteten die Forscher.
Genauso leicht lernten die Tiere, bei der Futtersuche eine gelbe Markierung mit Erfolg und eine blaue mit Misserfolg zu verknüpfen und sich auf dem Heimweg genau den umgekehrten Zusammenhang zu merken ? die blaue Markierung führte zum richtigen Eingang des Stocks und die gelbe zum falschen. Die Bienen trafen ihre Entscheidung also abhängig von ihrer aktuellen räumlichen Position, schreiben die Forscher. Im letzten Teil des Trainings kombinierten die Wissenschaftler die zuvor erlernten Zusammenhänge: Die Bienen mussten nicht mehr entweder die Tageszeit oder ihre Position berücksichtigen, sondern beides gleichzeitig. Auch das lernten die Insekten innerhalb erstaunlich kurzer Zeit, berichten die Forscher.
Die Fähigkeit, Entscheidungen von räumlichen und zeitlichen Faktoren abhängig zu machen, erleichtere den Bienen ihre tägliche Nektarsuche, so die Wissenschaftler. Sie müssen sich schließlich nicht nur merken, welche Blumen Nektar enthalten und wo diese sich befinden, sondern auch im Gedächtnis behalten, zu welcher Tageszeit sie blühen. Das zeige, dass die geistigen Fähigkeiten der Insekten teilweise denen von Wirbeltieren sehr viel ähnlicher seien als bislang angenommen. Bienen eigneten sich daher gut als Modell für die Untersuchung kognitiver Prozesse und könnten in Zukunft auch Vorbilder für die Entscheidungsfindung bei Robotern sein, so die Wissenschaftler.
Jürgen Tautz (Universität Würzburg) et al.: Journal of Experimental Biology, Bd. 209, S. 4420 ddp/wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel