Chinesische Forscher haben eine Orchideenart entdeckt, die eine Art Geschlechtsverkehr mit sich selbst praktiziert: Sie dreht ihren männlichen Staubfaden um fast 360 Grad, so dass er die weibliche Narbe berührt und seinen Pollen dort platzieren kann. Auf diese Weise kann sich die Orchidee ohne Hilfe von Wind, Insekten oder anderen Hilfsmitteln, die selbstbestäubende Pflanzen sonst verwenden, in ihrem extrem trockenen Lebensraum erfolgreich fortpflanzen. Die Forscher um Liu Ke-Wie vermuten sogar, dass diese bislang unbekannte Art der Selbstbefruchtung gar nicht so selten ist.
Die meisten Blütenpflanzen sind für ihre Fortpflanzung auf Insekten, den Wind, die Schwerkraft oder klebrige Substanzen angewiesen. Diese Hilfsmittel stellen sicher, dass der Pollen vom männlichen Staubbeutel auf die weibliche Narbe gelangt. Für die auf Bäumen lebende Orchideenart Holcoglossum amesianum kommen diese Pollentransportmethoden jedoch nicht infrage: Sie blüht in der windstillen Trockenzeit in der chinesischen Provinz Yunnan, in der es nur sehr wenige Insekten gibt. Diese kann die Pflanze zudem nicht anlocken, da sie weder Nektar produziert noch duftet. Um herauszufinden, wie sich H. amesianum trotzdem fortpflanzen kann, haben Ke-Wie und ihre Kollegen nun die Bestäubung von 1.911 Blüten der Orchidee untersucht.
Die Wissenschafter beobachteten, dass sich restlos alle Blüten auf dieselbe Art befruchteten: Nachdem sich die Blüte vollständig geöffnet hatte, öffnete sich die Kappe des Staubbeutels und gab die an einem biegsamen Staubfaden befestigten Pollenkörner frei. Anschliessend richtete sich der Staubfaden auf und krümmte sich nach unten, bevor er sich nach hinten beugte und wieder nach oben richtete, wo er auf die Narbe auftraf.
„Diese zuvor noch nie beobachtete Bestäubungstechnik beruht auf einer aktiven Bewegung des Staubfadens gegen die Schwerkraft, ohne jegliche Hilfsmittel“, erklärt Ke-Wie. Die Forscherin vermutet, dieser Mechanismus stelle eine Anpassung der Orchidee an ihren trockenen und insektenarmen Lebensraum dar. Er könnte daher auch bei zahlreichen anderen Pflanzenarten vorkommen, die in ähnlichen Gebieten wachsen, meint Ke-Wie.
Liu Ke-Wie (Tsinghua-Universität, Shenzhen) et al.: Nature, Bd. 441, S. 945 ddp/wissenschaft.de ? Katharina Schöbi