Hunger macht schlau, haben amerikanischen Forscher entdeckt: Das Hormon Ghrelin, das als Reaktion auf einen leeren Magen gebildet wird, verbessert zumindest bei Ratten und Mäusen die Lernfähigkeit und das Gedächtnis. Dazu dockt das Hungerhormon an Nervenzellen in den fürs Lernen zuständigen Hirnregionen an und animiert sie dazu, neue Kontakte mit anderen Nervenzellen zu bilden. Nach Ansicht der Wissenschaftler zeigt diese Wirkung, wie die Bedürfnisse des Körpers höhere Gehirnfunktionen beeinflussen können. Sie hoffen, einmal auf Basis dieser Entdeckung neue Therapien gegen Lern- und Gedächtnisstörungen entwickeln zu können.
Ghrelin wird von den Zellen der Magenschleimhaut gebildet und gelangt über den Blutkreislauf durch die
Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn. Dort angekommen, löst es eine ganze Reihe von Effekten aus, haben bereits frühere Studien gezeigt: Neben einer appetitanregenden Wirkung, die im
Hypothalamus entsteht, erhöht das Hormon beispielsweise auch die Produktion von verschiedenen Wachstumsfaktoren in der Hypophyse. Da es jedoch auch in anderen Hirnregionen Andockstellen für das Signalmolekül gibt, vermuten Wissenschaftler bereits seit längerem, dass Ghrelin auch noch andere Funktionen hat.
Eine davon haben Tamas Horvath von der Yale-Universität in New Haven und seine Kollegen nun entdeckt: Im Hippocampus, der für die Bildung und die Vertiefung neuer Erinnerungen zuständig ist, stimuliert Ghrelin die Kommunikation zwischen den Nervenzellen. So haben Mäuse, denen das Gen für das Hungerhormon fehlt, beispielsweise 25 Prozent weniger Synapsen im Hippocampus als ihre genetisch unveränderten Artgenossen. Dieser Unterschied verschwindet jedoch fast vollständig, wenn den veränderten Tieren Ghrelin verabreicht wird. Diese biologischen Veränderungen spiegeln sich auch in der Lern- und Gedächtnisleistung der Tiere wider, konnten die Forscher zeigen: Mäuse ohne Ghrelin lernten sehr viel langsamer, den richtigen Weg durch ein Labyrinth zu finden, und behielten das Erlernte auch deutlich schlechter.
Es mache durchaus Sinn, dass Tiere bei Nahrungsmangel besser lernen können als im satten Zustand, schreiben die Forscher ? schließlich ist es in einer solchen Krise überlebenswichtig, so schnell wie möglich neue Nahrungsquellen zu identifizieren und zu lokalisieren. Sie halten es auch für sehr wahrscheinlich, dass Ghrelin beim Menschen eine ähnliche Wirkung hat. Sollte sich das bestätigen, müsste die Idee, mithilfe einer Blockierung des Ghrelinsystems den Appetit bei Übergewichtigen zu zügeln, dringend neu überdacht werden, so die Wissenschaftler.
Tamas Horvath (Yale-Universität, New Haven) et al.: Nature Neuroscience, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1038/nn1656 ddp/wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel