Bei solch einem Teilchenzerfall ? oder anders ausgedrückt: der Umwandlung eines Teilchens in drei andere ? sollten alle physikalischen Erhaltungssätze eingehalten werden. Diese Sätze bilden quasi die Grundpfeiler der Physik. Findet man irgendeinen Prozess, der einen dieser Erhaltungssätze verletzt, dann bedeutet das schlichtweg: Die Physiker haben die physikalische Welt noch nicht richtig verstanden ? irgendetwas kann nicht stimmen.
Beim Betazerfall spielt insbesondere der Leptonenerhaltungssatz eine Rolle. Ein Neutron hat die Leptonenzahl 0, ein Proton ebenfalls 0, ein Elektron 1 und ein Antineutrino -1. Die Summe nach dem Zerfall ist somit beim gewöhnlichen Betazerfall gleich der Leptonenzahl vor dem Zerfall. Die physikalische Welt ? genauer: die Welt der Standardtheorie der Teilchenphysik ? ist somit in Ordnung.
Beim neutrinolosen doppelten Betazerfall, dessen Existenz erstmals im Jahr 1937 von dem italienischen Physiker Ettore Majorana vorhergesagt wurde, verwandeln sich gleichzeitig zwei Neutronen in zwei Protonen und zwei Elektronen, ohne dabei Antineutrinos zu erzeugen. Das verletzt offensichtlich den Leptonenerhaltungssatz: Vor dem Zerfall beträgt die Gesamtleptonenzahl 0, danach wegen der beiden Elektronen 2.
Allerdings könnte man die Physik retten, wenn man annimmt, dass Neutrinos wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde eine gespaltene Persönlichkeit haben. Angenommen, es entsteht bei einem der beiden Zerfälle doch ein Antineutrino, dann würde die Rechnung für diesen ersten Zerfall schon mal stimmen. Wäre nun das Neutrino sein eigenes Antiteilchen, dann könnte das zweite Neutron das (Anti-) Neutrino aufnehmen, bevor es in ein Elektron und ein Proton zerfällt. Die Leptonenzahl würde hierbei vorher und nachher gleich 1 sein. Von außen betrachtet würde dieser ganze Prozess als neutrinolos erscheinen.
Die Ergebnisse des Teams um Klapdor-Kleingrothaus werden noch nicht allgemein anerkannt. Das liegt vor allem daran, dass einige Physiker bezweifeln, dass die Heidelberger Gruppe alle Störeinflüsse in der richtigen Größenordnung berücksichtigt hat. Die Experimente werden im italienischen Gran-Sasso-Laboratorium durchgeführt, das 120 Kilometer östlich von Rom im Innern des Berges Gran Sasso errichtet wurde. Der Felsen schirmt die kosmische Strahlung ab, die die Experimente verfälschen würde.
Würde sich die „gespaltene Persönlichkeit“ des Neutrinos als Tatsache erweisen, dann könnte dies dazu beitragen zu erklären, warum sich in unserem Universum kurz nach dem Urknall ein Überschuss an Materie bildete. Das sagt Sacha Davidson von der Durham-Universität. Ohne diesen Materieüberschuss hätten sich Materie und Antimaterie gänzlich gegenseitig vernichtet und im Universum wäre nur Strahlung übrig geblieben. Demnach verdanken wir unsere Existenz der gespaltenen Persönlichkeit des Neutrinos.