Aber wie misst man die Verdrillung der Raumzeit? Die Antwort ist auf den ersten Blick verblüffend einfach: mit Kreiseln. Die Drehachse eines Kreisels, auf den keine äußeren Kräfte wirken, behält seine Orientierung im Raum. Nach diesem Prinzip arbeiten Gyroskope, die schon seit langem ? beispielsweise in der Luftfahrt ? zur Navigation benutzt werden. Wenn aber der Raum selbst sich dreht, dann muss sich die Drehachse des Kreisels entsprechend mitbewegen.
Das Problem ist die erforderliche Präzision. Neben mehreren Gyroskopen befindet sich an Bord von GP-B ein Teleskop. Zu Beginn der einjährigen Messphase, die nach dem Durchchecken aller Instrumente in etwa drei Monaten beginnen wird, werden das Teleskop und die Gyroskope exakt aufeinander ausgerichtet. Das Teleskop wird dabei den etwa 300 Lichtjahre entfernten Stern IM Pegasus anvisieren, während es die Aufgabe der Gyroskope ist, ihre Orientierung bezüglich des lokalen Raumes beizubehalten.
Die Allgemeine Relativitätstheorie sagt nun zwei Effekte voraus, die dafür sorgen werden, dass das Teleskop und die Gyroskope mit der Zeit nicht mehr exakt in die gleiche Richtung zeigen werden. Der eine ist ein rein geometrischer Effekt: Die Erde krümmt aufgrund ihrer Masse den Raum in ihrer Umgebung. Weil die Gyroskope ihre Orientierung bei der Umkreisung der Erde jeweils bezüglich des lokalen Raums beibehalten, hängt ihre Orientierung nach Abschluss der einjährigen Messphase von dem Weg ab, den sie in diesem Jahr zurückgelegt haben.
Ein einfaches Beispiel soll diesen Effekt verdeutlichen: Wir nehmen an, ein Mann trägt einen Pfeil mit sich, der immer nach vorne zeigt. Außerdem soll sich der Mann, egal wohin er sich bewegt, nie drehen dürfen. Das heißt, will er nach rechts oder links, dann muss er seitwärts gehen. Will er nach hinten, dann muss er rückwärts gehen. Der Effekt dieser Regel ist: Unabhängig davon, wohin der Mann geht und welchen Weg er dabei nimmt, sein Pfeil wird immer in die gleiche Richtung zeigen.
Jetzt nehmen wir aber an, der Mann bewege sich nicht auf einer flachen Ebene, sondern auf der gekrümmten Erdoberfläche. Sein Startpunkt ist der Nordpol. Er geht entlang des nullten Längengrades bis zum Äquator, der Pfeil zeigt dabei immer nach vorne, Richtung Süden. Am Äquator angekommen geht er seitwärts bis zum neunzigsten Längengrad und anschließend rückwärts zum Nordpol zurück. Das Ergebnis: Die Pfeilrichtung hat sich gegenüber der Anfangsrichtung um neunzig Grad gedreht.
Bei GP-B wird dieser Effekt ? übertragen auf den dreidimensionalen gekrümmten Raum ? nach einem Jahr einen Winkel von etwa zwei Tausendstel Grad ausmachen, der zwischen den Gyroskopen und dem Teleskop entsteht. Das eigentliche Ziel der Mission ist aber die Messung des viel kleineren Lense-Thirring-Effektes, der aufgrund der Verdrillung des Raumes durch die Erddrehung entsteht. Die theoretische Vorhersage für diesen Winkel beträgt etwa zwölf Millionstel Grad. Die Messgenauigkeit der Instrumente auf GP-B übertrifft diese winzige Größe noch mal um das Hundertfache, so dass man in der Lage sein wird, den Lense-Thirring-Effekt mit einem Fehler von maximal einem Prozent nachzuweisen ? oder zu widerlegen, was gleichzeitig die Allgemeine Relativitätstheorie in arge Schwierigkeiten bringen würde.