Die Bezeichnung „Nachbeben“ für die Häufung kleinerer Erdstöße nach einem größeren Erdbeben ist irreführend. Denn „Nachbeben“ lassen sich statistisch nicht vom Hauptbeben unterschieden, berichten Per Bak und Kollegen vom Imperial College in London in der Fachzeitschrift Physical Review Letters (Bd. 88, Ausgabe vom 29. April 2002).
Die Forscher analysierten die zeitliche Verteilung von über 300.000 Erdbeben in Kalifornien zwischen 1984 und 2000. Sie stellten fest, dass Erdbeben zwar dazu neigen, zeitlich gehäuft aufzutreten. Allerdings könnte ein „Nachbeben“ auch noch Jahre nach dem Hauptbeben eintreten. „Erstaunlicherweise gehorchen die Nachbeben in den Minuten nach einem großen Beben dem gleichen statistischen Gesetz wie Erdbeben, die zehn Jahre auseinanderliegen“, schreiben die Forscher. Es gebe daher keine eindeutige Möglichkeit, eine Erschütterung als „Nachbeben“ oder „richtiges“ Erdbeben zu charakterisieren.
Bislang waren Geowissenschaftler davon ausgegangen, dass der Mechanismus, mit dem die Erdkruste Spannung abbaut, bei Nachbeben ein anderer ist als bei dem Hauptbeben. Das ist Bak und seinen Kollegen zufolge nicht der Fall. Sie schreiben, man solle sich die Erdkruste als selbstorganisiertes, kritisches System vorstellen. Solch ein System ist etwa auch ein Sandhaufen, auf den oben ständig neuer Sand rieselt. Immer wieder gehen von einem solchen Haufen Lawinen ab, wenn sich oben zu viel Sand ansammelt. Die sich ständig verschiebende Erdkruste verhalte sich ähnlich, so die Forscher. Wenn man ein genügend kleines Segment der Kruste betrachtet, so gehörten alle Beben zu dem gleichen Prozess und ließen sich durch ein einziges statistisches Gesetz beschreiben.
Ute Kehse