Bei Säugetieren können sich durchtrennte Rückenmarksnerven nicht mehr regenerieren. Chemische und mechanische Barrieren verhindern, dass sich neue Nervenfortsätze bilden. Jetzt haben britische Wissenschaftler zur Behandlung ein bakterielles Enzym eingesetzt, das an Proteine gebundene Zuckerketten abspaltet und damit wachsenden Nervenenden den Weg frei macht. Wie die Forscher des King’s College London im Fachblatt Nature mitteilen, ist es auf diese Weise bei Ratten gelungen, die Bewegungsfähigkeit gelähmter Tiere wiederherzustellen.
Nach einer Rückenmarksverletzung bildet sich ein Narbengewebe, das verhindert, dass neue Nervenfortsätze die Verletzungsstelle überbrücken. Dabei lagern sich vermehrt Proteine mit langen Ketten von Zuckermolekülen, so genannte Chondroitinsulfate, außerhalb der Zellen an. Einige Bakterien besitzen ein Enzym, die Chondroitinase ABC, das die Zuckerketten vom Protein abspaltet. Die Arbeitsgruppe von Stephen McMahon benutzte dieses Enzym als „molekulare Machete“, die den Nervenenden den Weg zu neuem Wachstum frei machen soll, wie es Lars Olson vom schwedischen Karolinska-Institut in einem begleitenden Kommentar formuliert.
Die Forscher konnten nachweisen, dass eine solche Enzymbehandlung die Nervenfortsätze an der Verletzungsstelle zum Wachstum stimulierten. Dadurch wurde die Funktion der Nervenzellen teilweise wiederhergestellt: Eine Signalübertragung zwischen dem Gehirn und dem Rückenmark war, wenn auch abgeschwächt, wieder möglich. Die Behandlung führte dazu, dass sich die zuvor gelähmten Tiere wieder fast normal bewegen konnten.
Die Ergebnisse zeigen, dass sich der Abbau hemmender Chondroitinsulfate auch für die Behandlung von Rückenmarksverletzungen beim Menschen als nützlich erweisen könnte, schreiben die Wissenschaftler. Für eine vollständige Wiederherstellung der Funktion durchtrennter Nerven wird aber wahrscheinlich eine Kombination verschiedener Maßnahmen nötig sein, schreibt Olson. So müssten gleichzeitig weitere bekannte Hemmstoffe blockiert und die Bildung von Wachstumsfaktoren stimuliert werden.
Joachim Czichos