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Das Gehirn als Meister im Vergessen

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

Das Gehirn als Meister im Vergessen
Es sieht fast so aus, als sei unser Gehirn nicht sonderlich an einem großen Wissensschatz interessiert. Gleich zwei Forschergruppen berichten diese Woche voneinander unabhängig darüber, wie das Gehirn aktiv am Vergessen arbeitet.

Das Gehirn lernt, indem es Verbindungen zwischen Hirnzellen, den Neuronen, gezielt verstärkt: Meistern zwei Neuronen gemeinsam eine Lernaufgabe, verknüpfen sie sich anschließend fester miteinander. Die Forscher gingen bisher davon aus, dass dadurch Lerninhalte dauerhaft gespeichert werden. Doch weit gefehlt: Das Team um Desiree Villareal von der Universität Texas fand bei Versuchen an Ratten, dass die neuen Bande zwischen den Zellen nur vorübergehend halten und nach einigen Wochen wieder verschwinden. Dabei gehen die Verbindungen nicht etwa in den ständigen Umbauprozessen im Gehirn verloren ? etwa wie eine Sandburg in den Wellenschlägen des Meeres ?, sondern werden aktiv vom Gehirn abgebaut, schreiben die Forscher in „Nature Neuroscience“.

Ausgerechnet Mechanismen, die ansonsten für das Lernen zuständig sind, löschen Gedächtnisinhalte auch wieder aus. Gebilde in den Wänden der Nervenzellen, sogenannte NMDA-Kanäle, sind eine Basis des Gedächtnisses und können Verbindungen zwischen Nervenzellen stärken. Villareal und ihre Kollegen haben die Kanäle in ihren Versuchen blockiert. Anschließend blieben erlernte Gedächtnisinhalte felsenfest im Gehirn der Tiere erhalten. Doch dieser Eingriff gegen das Vergessen eignet sich nicht zur Schaffung von Superhirnen: Wegen der blockierten Kanäle konnten die Tiere auch nichts Neues mehr lernen.

Erster Speicherort für neues Wissen im Gehirn ist die sogenannte Seepferdchen-Formation, der Hippocampus. Vor wenigen Jahren entdeckte wurde in Versuchen an Menschen entdeckt, dass im Hippocampus beständig neue Nervenzellen gebildet werden. Eine der ersten Vermutungen der Forscher war, dass die Zellen Raum für neue Gedächtnisinhalte schaffen. Doch offenbar geht durch die neuen Zellen auch bereits erworbenes Wissen wieder verloren, berichten Forscher um Joe Tsien von der Princeton-Univerität im Magazin „Neuron“.

Sie blockierten bei Versuchen an Mäusen die Bildung der Zellen im Hippocampus. Die Hirnforscher gingen davon aus, dass darunter das Lernvermögen der Tiere leiden würde. Aber genau das Gegenteil war der Fall: Die Nager besaßen anschließend ein ungewöhnlich gutes Gedächtnis. Neue Zellen im Hippocampus mindern demnach das Erinnerungsvermögen und lösen bestehende Verbindungen zwischen den dortigen Neuronen.

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In dieses Bild fügt sich auch eine weitere Entdeckung, die ebenfalls diese Woche bekannt wurde. Schon lange vermuten Forscher, dass Gedächtnisinhalte vom Hippocampus in die Rinde des Vorderhirns weitergereicht werden ? vorwiegend in der Nacht. Dort werden sie offenbar sicher verwahrt, oder sie werden zumindest nicht von nachwachsenden Neuronen zerstört, berichtet das Magazin „Science“. Bei der Suche nach neuen Zellen im Vorderhirn von Affen sind Forscher der Universität Rochester zumindest nicht fündig geworden.

ddp/bdw – Andreas Wawrzinek
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