Außer Kontrolle geratene adulte Stammzellen könnten die Ursache für eine vererbte Form von Dickdarmkrebs sein. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler der Thomas Jefferson University in Philadelphia aufgrund einer Computersimulation. Daraus könnten sich neue, auf die Stammzellen abzielende Behandlungsmethoden ergeben. Die Arbeit erscheint im Fachblatt Cancer Research (Bd. 61, S. 8408).
Normalerweise vermehren sich die noch nicht spezialisierten Stammzellen des Dickdarmgewebes in Einbuchtungen der Darmwand. Auf ihrem Weg zur äußeren Gewebeschicht wandeln sie sich dann zu Dickdarmzellen um. Die zu
Darmkrebs führende so genannte familiäre adenomatöse Polyposis beginnt damit, dass sich die Zone der Zellvermehrung von der inneren Gewebeschicht nach außen verlagert. Die Gründe für diese Veränderung sind noch ungeklärt. Für die Untersuchung der komplexen Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Zellen entwickelten Bruce Boman und seine Mitarbeiter ein Computerprogramm.
Zunächst simulierten sie Wachstum und Entwicklung der Zellen im Normalzustand. Dann veränderten die Wissenschaftler einzelne Faktoren wie Teilungs- und Absterberate. Aber erst als sie die Zahl der Stammzellen erhöhten, lösten sie Veränderungen aus, die den beobachteten Vorgängen bei der Krebsentstehung entsprachen. „Das lässt darauf schließen, dass eine Vermehrung von Stammzellen Darmkrebs auslöst“, sagt Boman. Er hält es für möglich, dass auch andere Krebsarten auf einer Fehlentwicklung von Stammzellen beruhen. „Krebs könnte eine Stammzellen-Krankheit sein“, so Boman.
Bei der hier im Modell untersuchten Krebsart kommt es aufgrund einer angeborenen Genmutation zur Bildung zahlreicher Darmpolypen, die, wenn sie nicht entfernt werden, später zu bösartigen Geschwülsten werden. Das Computermodell, so Boman, sei möglicherweise aber auch für die Untersuchung anderer Krebsarten verwendbar.
Joachim Czichos