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Krieg stärkt eine neue Protestkultur

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

Krieg stärkt eine neue Protestkultur
Die zunehmende Dauer des Krieges in Afghanistan stärkt die sozial und kulturell stark zersplitterte Protestkultur in Deutschland. Eine Beteiligung deutscher Soldaten beim Kampf der USA gegen den Terrorismus unter ungewissen Vorzeichen lässt junge Globalisierungs-Gegner, empörte Schüler und ältere Linke und Liberale auf bunte, mitunter sogar schrille Weise zusammenrücken. „Aus den Neuen Sozialen Bewegungen heraus entwickelt sich ein Mobilisierungs-Schub“, sagt der Berliner Forscher Dieter Rucht. Für eine neue Massenbewegung fehlen nach Ansicht von Experten jedoch einigende Symbole und Songs, ideologische Gemeinsamkeiten und die Nestwärme aus alten friedensbewegten Zeiten.

Allein in Berlin waren am Wochenende zwischen 4000 und 7000 Menschen gegen eine deutsche Militärbeteiligung am Krieg auf die Straße gegangen. Verschiedene Gruppen haben zu weiteren Protesten bis zur Bundestagsentscheidung an diesem Donnerstag aufgerufen. „Da treffen Welten aufeinander“, sagt Rucht, „Menschen mit Krawatte demonstrieren neben Punks.“ Seit Jahren untersucht der Leiter der Arbeitsgruppe Politische Öffentlichkeit und Mobilisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung die Wellen politischen Protestes, die seit den 50er Jahren regelmäßig auf- und abschwellten. Heute tun sich nach seiner Beobachtung Kritiker der neoliberalen Globalisierung zunehmend mit alten und jungen Kriegsgegnern zusammen – vor wenigen Jahren noch undenkbar.

„An den Universitäten formiert sich heute nur wenig Protest“, sagt Rucht, „ganz anders jedoch sieht es an den Schulen aus.“ Viele 16- bis 19-Jährige seien wegen des Krieges, der Propaganda, des Tötens unschuldiger Zivilisten empört. „Jetzt kommen die ehemals öffentlich engagierten 40- bis 50-Jährigen wieder aus ihren Winkeln und haben gemeinsame Anliegen mit vielen ganz Jungen“, sagt Rucht. Bei vielen 20- bis 40-Jährigen herrsche dagegen eine indifferente Haltung vor.

Friedenstauben, Turnschuhe, schwarze Kleider, bunte Frisuren, Crossover-Weltmusik von Manu Chao, Woodstock-Songs, Designerklamotten, High Tech – zwischen Hippie und Hipness purzeln die äußeren Zeichen von grundlegender Gesellschaftskritik oder spontaner Wut heftig durcheinander. „Es gibt keinen gemeinsamen Nenner“, sagt Norbert Bolz, Professor für Kommunikationstheorie an der Essener Universität, „aber einen Negativgott, den man gemeinsam anbetet.“ Einig seien sich viele Protestierende in der Ablehnung von Rolle und Verhalten der USA in der Welt.

Direkt nach den Terroranschlägen vom 11. September hielten viele Kommentatoren die Kritiker von Globalisierung, entfesseltem Kapitalismus, Klimawandel, Marken- und Logo-Wahn für stark geschwächt. Schließlich schwingen bei ihnen oft antiamerikanische Töne mit – sei es als generelle Haltung, sei es als Kritik an bestimmten US-Entscheidungen. „Je stärker der Eindruck der Anschläge vom 11. 9. jedoch abflaut, desto lauter werden die kritischen Stimmen“, sagt Bolz. Nun sieht der Wissenschaftler sogar eine „neue Allianz zwischen Globalisierungsgegnern und altem Antiamerikanismus“.

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Die unterschiedlichen Wurzeln des Protests machten eine breite Renaissance der Friedensbewegung unwahrscheinlich, meint Dieter Rucht. Bei andauerndem Krieg treibe die deutsche Protestkultur jedoch möglicherweise neue Blüten. Der „infrastrukturelle Unterbau“ sei stabil, sagt der Forscher. „Über Jahrzehnte hinweg hat sich ein relativ weit verzweigtes Netz an links-alternativen Gruppen mit großer Mobilisierungsfähigkeit gebildet.“ Traditionell treten sie für Frieden, Ökologie, Frauenrechte oder die Dritte Welt ein. Der oft jugend- und subkulturelle Background sei allerdings vielfältig.

Bolz spricht von einem „sozialen Flickenteppich des Protests“. Insofern hält der Wissenschaftlicher die politische Durchschlagskraft zwischen Lichterketten, Spontandemos und aktiven Protestzellen – anders als bei den mitunter fast revolutionären Protesten nach dem für viele magischen Jahr 1968 – für begrenzt. „Man hat Politik und Protest geradezu konsumiert“, sagt Bolz. „Das ist aus der Mode.“

Basil Wegener, dpa
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