Eine geringfügige Veränderung in einem Gen genügt, um ein relativ harmloses Grippevirus in einen todbringenden Erreger zu verwandeln. Wissenschaftler der University of Wisconsin berichten im Fachblatt Science , wie der ungewöhnlich virulente Stamm H5N1 entstanden sein könnte. Infektionen mit diesem Influenzavirus führten 1997 in Hongkong bei sechs von 18 bekannt gewordenen Erkrankungen zum Tod.
Yoshihiro Kawaoka und seine Mitarbeiter untersuchten zwei Varianten des Virus, die aus verschiedenen Patienten isoliert worden waren. Als Infektionsquelle hatte man damals infizierte Hühner, Enten und Gänse nachgewiesen. Der aggressivere der beiden Virustypen war ungewöhnlicherweise direkt auf den Menschen übertragbar und für Mensch und Tier gleichermaßen gefährlich. „Er tötet Hühner innerhalb von 36 Stunden“, sagt Kawaoka. Zwei Viruspartikel seien ausreichend, um eine Maus zu töten. Normalerweise kann ein Virus erst dann auf einen neuen Wirt übergehen, nachdem es sich durch genetische Veränderungen angepasst hat. Die zweite, weniger aggressive Variante verursachte nur schwache Infektionen der Atemwege bei Mensch und Tier. Dabei erwies sich der Unterschied im Erbgut beider Erreger als minimal.
Infektionsversuche ergaben, dass das erhöhte Krankheitspotenzial im Wesentlichen auf einer Punktmutation im Gen PB2 beruht. Diese führte zum Austausch einer einzigen Aminosäure im PB2-Protein des Virus. Die Funktion des Proteins ist noch nicht aufgeklärt. Als Folge der Mutation konnten die Viren, die sonst nur die Atemwege infizierten, auch Zellen anderer Organe befallen. „Sie verursachten eine systemische Infektion und vermehrten sich sogar im Gehirn“, sagt Kawaoka.
In Hongkong verhinderte die Regierung vor vier Jahren, dass sich die Influenzaviren in der Bevölkerung weiter ausbreiteten, indem sie über eine Million Tiere töten ließ. Inzwischen sind aber ähnliche Virusvarianten auf den Geflügelmärkten aufgetaucht. Der Ausbruch einer Grippeepidemie sei jederzeit möglich, warnt Kawaoka.
Joachim Czichos