Thomas Arendt und seine Mitarbeiter vom Paul-Flechsig-Institut vermuten die Ursache in der – wie Arendt es formuliert – „delikaten Balance“ dieses ungeheuer flexiblen Nervensystems. Je nach Bedarf können sich in bestimmten Regionen, vorzugsweise in der Großhirnrinde, Myriaden von Synapsen zu „neuronalen Verbänden“ zusammenschließen. Diese Verbinden können auch wieder gelöst werden, wenn sich deren Funktion überholt hat. Durch diese neuronale Freiheit werden jene geistigen Leistungen, die den Mensch zum Menschen machen, erst möglich.
Doch diese Flexibilität hat ihren Preis. Die plastisch reagierenden Nervenzellen sind für Störungen anfälliger als jene Neuronen, die nach Abschluss der kindlichen Hirnentwicklung nur noch spezielle Aufgaben erledigen.
Für die Hypothese, dass die Alzheimerkrankheit eine Störung der strukturellen Selbstorganisation ist, gibt es mehrere Hinweise. Als besonders aufschlussreich könnte sich das „Rückfallen“ ausgereifter Nervenzellen in kindliche Wachstumsmuster erweisen, das Arendt und seine Kollegen erstmals nachgewiesen haben. Dabei kommt es zu einer Entdifferenzierung der betroffenen Neuronen, die wiederum in einen Konflikt mit dem „erwachsenen“ Umfeld des Nervensystems geraten und dabei zugrunde gehen.
Auch könnten Lebensereignisse einen früheren Ausbruch der Krankheit auslösen: weil sie die Felxibilität des Gehirns zusätzlich belasten oder von ihm ein besonderes Anpassungsvermögen verlangen.
Wenn sich die Hypothesen der Forscher bewahrheiten, müsse jede Hoffnung auf eine baldige grundlegende Behandlung der Alzheimerkrankrankheit gedämpft werden, so die Forscher. „Auf der Basis dieser Hypothese“, sagt Thomas Arendt, „lässt sich vorhersagen, dass therapeutische Eingriffe in diese Krankheitsmechanismen eine besonders große Herausforderung sind. Denn sie greifen potenziell auch in jene Mechanismen ein, die zugleich die Basis für die ‚höheren Hirnfunktionen‘ bilden.“