Seinerzeit war die Theorie zu revolutionär, doch nun konnten Wolf Singer, Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt und der Jülicher Hirnforscher Andreas Engel mittels zahlreicher Experimente nachweisen, dass es tatsächlich zeitlich synchronisierte Entladungen von Nervenzell-Verbänden (neuronalen Ensembles) im tierischen und menschlichen Gehirn gibt.
Wolf und Engel gehen davon aus, dass die zeitliche Korrelation nicht nur bei der Verarbeitung von Sinneseindrücken und beim Steuern von komplizierten Bewegungsabläufen eine Bindungsfunktion hat. „Sie könnte auch entscheidend für die Entstehung von Bewusstsein sein“, so Engel.
In der Fachzeitschrift Trends in Cognitive Sciences stellten die beiden Wissenschaftler ihre neue Hypothese der „neuronalen Korrelate des Bewusstseins“ (englisch: Neural Correlates of Consciousness, NCC) vor. „Die Hypothese beruht auf der Annahme, dass die ,Mechanismen der zeitlichen Bindung‘ entscheidend an den vier Hirnleistungen beteiligt sind. Dies sind Gewahrwerden, Integration von Sinneswahrnehmung, Auswahl der Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis. Fürs erste konzentrieren wir uns auf einen elementaren Aspekt, nämlich das primäre Wahrnehmungsbewusstsein“, so Singer und Engel.
Dieses Wahrnehmungsbewusstsein haben nicht nur Menschen, sondern auch hoch entwickelte zentrale Nervensysteme anderer Säugetiere. „Somit bildet dieses Bewusstsein eine frühe ? vorsprachliche und vorbegriffliche ? Verarbeitungsstufe“, sagt Engel.
Darüber hinaus vermuten beide Forscher, dass die zeitliche Bindung auch zusammenhängende großräumige neuronale Muster fördern könnte, wie sie für hohe geistige Leistungen notwendig sind. Die einfache Synchronisation neuronaler Prozesse reiche dazu nicht mehr aus. Daher vermuten sie ein übergeordnetes System im menschlichen Gehirn. Dieses ordnet die Nervenzell-Verbände wahrscheinlich hierarchisch und bildet somit die Grundlage für das Selbstbewusstsein des Menschen.