Anders als uns die Geschichtsbücher lehren, waren es anscheinend doch nicht die Römer, die einst die britischen Barbaren zivilisierten. Auch die große Keltenwanderung an den Atlantik soll es in Wirklichkeit nicht gegeben haben. Denn dort lebten bereits hochentwickelte Kulturen, die vor allem auf den Gebieten Schifffahrt, Schiffsbau und ihrem Wissen über den Lauf der Sonne ihren mediterranen Nachbarn weit voraus waren. Das meint Barry Cunliffe, Professor für Europäische Archäologie in Oxford.
Lange Zeit haben wir die Komplexität dieser Gesellschaften unterschätzt, waren geblendet von unserem Glauben an griechische und römische Geschichtstexte, in denen die Hochkulturen des Mittelmeerraumes das barbarische europäische Hinterland aus seinem Dunkel erheben, so Cunliffe. Jedoch haben sich die Atlantischen Gesellschaften bereits während des Mesolithikums, also um 6.000 vor Christus entwickelt. Sie siedelten an den Küsten Spaniens, Galiziens, Britanniens, Cornwalls und den westlichen Schottlandinseln, wo sie sich zu den am weitesten entwickelten und stabilsten Gesellschaften Europas mauserten.
Es stimmt nicht, dass nur die Schrift eine hochentwickelte Gesellschaft auszeichnet. Die „Atlantiker“ hatten keine Schrift und waren doch auf vielen Gebieten sehr fortschrittlich. Nicht nur waren sie exzellente Bootsbauer und Seeleute, sie waren auch bestens mit dem Lauf der Sonne und den Sternen und deren Zusammenwirken mit den verschiedenen Jahreszeiten vertraut. Außerdem hatten sie sorgfältige Bestattungsrituale entwickelt. Sie legten ihren Toten Opferbeigaben mit ins Grab und zogen einen Kreis aus rotem Ocker um den Kopf der Toten. Diese Bestattungssitten findet man an den Küsten Spaniens, bis Irland und sogar Dänemark.
Cunliffe hat seine Theorien in seinem neuen Buch „Facing The Atlantic“ zusammengefasst.
Birgit Kahler