Unmittelbar nach einem starken Erdbeben erzittert der Erdboden noch minutenlang weiter. Eine Untersuchung von Wissenschaftlern aus den USA und aus Frankreich zeigt, dass dies durch mehrfache Reflektion und Streuung der Erdbebenwellen an der Erdkruste verursacht wird. Dies könnte zu neuen Erkenntnissen über die Zusammensetzung der Erdkruste führen.
Auf ein starkes Erdbeben folgt in der Regel ein sogenanntes “seismisches Coda”: Der Erdboden erbebt nach Abklingen des Hauptbebens noch einige Minuten lang weiter. Dieses schwache Nachbeben ist ohne technische Hilfsmittel zwar kaum wahrnehmbar, empfindliche Seismographen können die schwachen Erdbebenwellen jedoch aufzeichnen. Ein Wissenschaftlerteam aus den USA und aus Frankreich hat das Coda nach Erdbeben in Mexiko analysiert und dabei herausgefunden, dass diese Nachbeben durch mehrfach an der Erdkruste gestreute Wellen des Hauptbebens verursacht werden. Eine genauere Analyse ihrer Aufzeichnungen könnte zu neuen Aufschlüssen über den Aufbau der oberen Erdkruste führen.
Bisher waren sich die meisten Erdbebenforscher einig, dass das Coda durch Erdbebenwellen, die genau einmal an der Erdkruste reflektiert werden, verursacht wird. Dem Forscherteam um Richard Weaver und Bart van Tiggelen aus Illinois und Grenoble ist es jedoch durch eine genaue Analyse der verschiedenen Arten von Erdbebenwellen gelungen, eindeutige Hinweise für eine Mehrfachstreuung an der Erdkruste zu finden.
Erdbebenwellen lassen sich in Oberflächenwellen, Schallwellen und Scherwellen, bei denen die Erde senkrecht zur Ausbreitungsrichtung in Schwingungen versetzt wird, einteilen. Die Energie der meisten Erdbeben wird bei dessen Ausbruch in nur einen dieser drei Schwingungstypen gesteckt. Eine Analyse des seismischen Codas hat nun aber aufgezeigt, dass dessen Energie gleichmäßig auf alle drei Arten von Wellen verteilt ist. Dies ist ein starker Hinweis auf Mehrfachstreuung von Erdbebenwellen an der Erdkruste.
Stefan Maier