Russland ist groß, und der Zar ist weit, sagen die Russen zur Begründung, warum sie ihre Probleme gern unter sich lösen – ohne Behörden, ohne Polizei und ohne politische Parteien. Mit letzteren können die Russen kaum etwas anfangen, sie stehen ihnen gleichgültig bis ablehnend gegenüber. Warum das so ist, hat Daniel Droste von der Ruhr-Universität Bochum in seiner jüngst erschienenen Dissertation untersucht. Seine Kernthese ist, dass seit den Zeiten des Zarismus ein ausgeprägter Antipluralismus gepflegt wurde und die Russen keine demokratische Streitkultur entwickeln konnten.
Seit der vorrevolutionären Zeit laufen politische Prozesse sehr personenzentriert ab. Die Gesellschaft wurde von oben gesteuert und blieb unselbstständig. Nach der Revolution wurde der antipluralistische Charakter im Einparteiensystem weiter zementiert. Die Propagandamaschinerie und staatliche Mobilisierungsprogramme für die Erfüllung diverser Aufgaben wie etwa Ernteinsätze, “freiwillige” Arbeitseinsätze an Sonnabenden oder die Massenteilnahme an politischen Großveranstaltungen bewirkten zwar eine breite politische Partizipation der Bevölkerung, doch eine Chance auf politische Einflussnahme bekamen die Russen nicht. Ihre Probleme lösten die meisten Russen eher auf der persönlichen Ebene – und je weniger Leute davon wussten, desto besser.
Die Russen sind daher zutiefst davon überzeugt, dass weder Wahlen noch Massenproteste am System etwas ändern. Zu sehr sind sie es gewohnt, dass “die da oben” Andersdenkenden entweder kein Gehör schenken oder sie gleich ins Abseits drängen. Viele Russen sind daher unsicher, was Demokratie überhaupt ist und soll. Politische Parteien, die als typisch westlich gelten, werden von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt. Teilweise machen die Russen sie auch für Missstände verantwortlich. Doch dafür, so Droste, seien diese Parteien viel zu machtlos, da ihnen die Unterstützung der Bevölkerung fehle.
Bibliographischer Hinweis: Droste, Daniel: Politische Kultur und politische Parteien in der russischen Föderation. Bochum: projekt verlag 2001, ISBN 3-89733-057-1.
Doris Marszk