Gerade die “gut gemeinte” These Marquards, die Geisteswissenschaften füllten das Sinn-Defizit der Naturwissenschaften, findet Professor Ludger Honnefelder (Universität Bonn) fatal. Eine solche Auffassung verschärfe die Gegensätzlichkeit der beiden Systeme und befördere ihre Verselbstständigung. “Die Kluft zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften hat sich erheblich vertieft”, sagte der Philosoph.
Honnefelders Diagnose: Den geisteswissenschaftlichen Fakultäten mangelt es an Gesprächsfähigkeit. Sie seien zu sehr in ihre eigenen Debatten verstrickt. Schon innerhalb der geisteswissenschaftlichen Disziplinen gebe es kaum einen Dialog. Umso weniger gelinge es, seine Stimme in so komplizierten Fragen wie die der Genforschung zu erheben. Wenn die Geisteswissenschaften ihren Beitrag leisten wollten zu einer sozialen Welt, müssten sie “Gesprächsparter” der Naturwissenschaften werden, forderte er. “Leitwissenschaft wird man durch Gesprächsfähigkeit. Und Gesprächsfähigkeit erwirbt man durch Kompetenz.”
Die Geisteswissenschaften erhöben zu Recht einen “geistigen und ethischen Führungsanspruch”, befand Professor Wolfram Martini (Universität Gießen), der in Frankfurt den Philosophischen Fakultätentag vertrat. Aber sie müssten ihn sich auch erwerben – mit Kompetenz. Wenn das gelinge, seien Ethiker, Philosophen, Theologen, Soziologen und Historiker als Autoren von “Handlungsanleitungen” als “Sinn- und Bedeutungsgeber” unerlässlich.
Bedroht sehen sich die Geisteswissenschaftler indes von der “Ökonomisierung der gesamten Gesellschaft”, wie Schiedermair es nannte. Das hatte jüngst auch der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Wolfgang Frühwald, in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” beklagt. Er kritisierte die “tägliche Abwertung der Geisteswissenschaften” als Folge einer allgemeinen “Kommerzialisierung und Kapitalisierung von Wissenschaft”.
Auch Schiedermair befand, Universitäten würden in erschreckendem Maße zu Wirtschaftunternehmen zurecht gestutzt. “Die Wissenschaft wird zur käuflichen Ware.” Wer in diesem System keinen Gewinn erziele, verliere seine Existenzberechtigung. “Wenn es danach geht, können wir die philosophischen Fakultäten allesamt dicht machen”, wetterte Schiedermair.