Als wichtiges Argument für das Projekt wird immer wieder vorgebracht, dass es Pharmaunternehmen zur Entwicklung neuer Medikamente befähigt. „Individualmedizin – das ist die Hoffnung der Zukunft“, meint Pikani. Dass die Gendatenbank missbraucht werden könnte, halten er und seine Kollegen durchweg für „unmöglich“. Eine 16-stellige Verschlüsselungstechnik werde künftig für Sicherheit sorgen. Man orientiere sich dabei an den Praktiken, die Banken für ihre Internet-Geschäfte verwenden, erklärt Pikani.
Kersti Kaljulaid, wirtschaftspolitische Beraterin des estnischen Regierungschefs Mart Laar, sagt: „Wir haben den Eindruck, dass die Wissenschaftler sehr sensibel an die ethischen und moralischen Fragen herangehen“. Ausschließen will aber auch sie als Aufsichtsratsmitglied der Genbank nicht, dass das vom Parlament beschlossene Spezialgesetz nach ersten praktischen Erfahrungen womöglich nochmals geändert werden muss.
Tatsächlich betreten die Balten Neuland. Nur auf der Nordatlantikinsel Island mit insgesamt 275.000 Einwohnern hat eine private Firma seit 1996 ebenfalls flächendeckend Gendaten gesammelt. Im Gegensatz zum isländischen Projekt wird es in Estland aber grundsätzlich möglich sein, die individuellen Daten auch im Nachhinein dem jeweiligen Spender zuzuordnen. Proteste oder auch nur eine öffentliche Diskussion finden dennoch nicht statt.
„Die Menschen sind besorgt über ihre Gesundheit“, sagt Hannes Danilov, Vizeminister im zuständigen Sozial- und Gesundheitsministerium: „Sie wollen lieber alles als nichts wissen.“ Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung haben sich in einer Testumfrage zur Teilnahme bereit erklärt.
Ungelöst sind Probleme wie die noch nicht fertig gestellte Computersoftware und nicht zuletzt Finanzierungsfragen. Zwischen umgerechnet 400 Millionen und mehr als einer Milliarde Mark werde das Projekt kosten, schätzen Experten. Der Betrag soll zu großen Teilen von der Privatwirtschaft aufgebracht werden. Estnische Vertreter sind zu den Biotechnikfirmen weltweit ausgeschwärmt, um für Investitionen zu werben. Später soll sich, so hofft man in Tallinn, eine boomende Gen- und Biotechniksparte im Universitätsstädtchen Tartu ansiedeln.
Das estnische Genbankgesetz verbietet, die Daten außer Landes zu schaffen. So bleibt den interessierten Unternehmen gar nichts anderes übrig, als Niederlassungen nahe dem Zentralcomputer zu gründen. Die Universität baut bereits Kapazitäten aus, um die erwartete Arbeitskraftnachfrage bedienen zu können. Pikani erhofft sich dadurch 200 Millionen Mark Direktinvestitionen jährlich, was die derzeitige Gesamtmenge von Auslandsinvestitionen um etwa 30 Prozent steigern würde.
Zu den Mitbegründern der Datenbank gehört auch Außenminister Toomas Ilves. Von Herbst an werden die ersten 10.000 Proben von Gendaten rund um Tartu gesammelt, um Logistik und Verfahren zu testen. 2002 soll das Projekt auf Hochtouren laufen.