Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

GENOM-REPORT: Ein neuer Blick auf uns selbst

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

GENOM-REPORT: Ein neuer Blick auf uns selbst
Es gibt eine heimtückische Tendenz, für die meisten Aspekte unseres Menschseins auf die Gene zu blicken

Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms kann in einem Atemzug genannt werden mit der Mondlandung und der Atomspaltung. Diese These vertritt Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. In einem Artikel für das Fachmagazin „Science“ zeigt er, dass die Gemeinsamkeit all dieser Ereignisse darin bestehe, dass sie unsere Sicht auf uns selbst nachhaltig verändere.

Die Mondlandung gab dem Menschen eine extraterrestrische Perspektive auf das menschliche Leben, die Atomspaltung gab dem Menschen die Macht, riesige Energiereserven zu schaffen, aber auch die Möglichkeit, alles Leben auf der Erde auszulöschen. Die Entschlüsselung des Genoms schließlich erlaubt dem Menschen einen Blick in das innere Gerüst zu werfen, um das alles, was das menschliche Leben ausmacht, gebildet ist.

Mit dem Begriff „Genom“ wird die Gesamtheit aller in der Zelle vorkommenden Erbanalagen bezeichnet. Das sind zwischen 26.000 und 38.000 Gene, die sich auf die 23 Chromosomenpaare verteilen, die ein Mensch besitzt. Da mittlerweile das Genom der Fruchtfliege mit seinen 13.600 Genen entschlüsselt ist, müssen wir Menschen uns mit der Tatsache vertraut machen, dass wir nur die doppelte oder dreifache Zahl von Genen besitzen wie dieses uns doch recht fern stehende Insekt. Doch die eigentliche Herausforderung für den Mensch liege, so Pääbo, in der Tatsache, dass die Ähnlichkeit der DNA von Mensch und Schimpanse etwa 99 Prozent beträgt. „Vielleicht erklärt unser unbewusstes Unbehagen die Langsamkeit, mit der die Idee von den Genom-Forschern aufgenommen wurde, das Schimpansen-Genom zu entschlüsseln“, vermutet Pääbo.

Die Befürchtungen, dass die Entschlüsselung des Genoms zu weiteren ethnischen Konflikten führen könnten, seien durchaus berechtigt, meint Pääbo. Allerdings zeigten glücklicherweise einige DNA-Studien bereits, dass das, was als „Rasse“ bezeichnet wird, nur von einem Bruchteil unserer Gene bestimmt werde. „Tatsächlich ist ein Punkt, in dem wir uns von den Affen unterscheiden, der, dass die Menschen genetisch sehr ähnlich sind. Das liegt mit Sicherheit daran, dass wir im Rahmen der Evolution eine recht junge Spezies sind und eine größere Tendenz zur Migration haben als andere Säugetiere. Ich vermute daher, dass Genom-Studien über genetische Variation in menschlichen Populationen nicht so einfach zu missbrauchen sein dürften – wenn man unter Missbrauch so etwas wie „wissenschaftliche Unterstützung“ für Rassismus oder andere Formen der Borniertheit versteht – wie es gegenwärtig befürchtet wird.“ Pääbo ist sogar so optimistisch, das Gegenteil anzunehmen. Vorurteile und Rassismus nährten sich von Unwissenheit, so der Anthropologe. Durch die Kenntnis des Genoms würde offenbar werden, dass unser Gen-Pool extrem vermengt ist und dass jeder Mensch mindestens einige schädliche Zustandsformen eines Gens (Allele) hat.

Anzeige

Eine Gefahr für das Gesundheitssystem sieht Pääbo vor allem in Ländern, die bisher noch kein flächendeckendes Krankenversicherungssystem wie in Westeuropa haben. Die Regierenden in Ländern ohne Krankenversicherungssystem wären gut beraten, schon jetzt künftigen Versuchen von Versicherern, das Versicherungsrisiko genetisch bestimmen zu lassen, einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben. Außerdem müsse auf der Ebene des Individuums künftig mit dem Phänomen der „genetischen Hypochondrie“ gerechnet werden, das viele dazu bringen werde, Lebenszeit in Erwartung einer Krankheit zu verschwenden, die sie möglicherweise (trotz genetischer Disposition) nie bekommen.

Die größte Gefahr sieht Pääbo jedoch in den Medien. Vor 10 Jahren noch habe ein Genetiker schwerwiegende Argumente aufbieten müssen, um den Gedanken zu vermitteln, dass die Umweltbedingungen nicht alles erklärten. Heute sei die Situation genau umgekehrt; selbst Genetiker fühlten sich genötigt zu betonen, dass die Umweltbedingungen eine wichtige Komponente in der Herausbildung von Krankheiten, Verhalten und persönlichen Zügen darstellen. „Es gibt eine heimtückische Tendenz, für die meisten Aspekte unseres Menschseins auf unsere Gene zu blicken und zu vergessen, dass das Genom nur ein inneres Gerüst für unsere Existenz ist.“ (Science, 16. Februar 2001, S. 1219-1220)

Doris Marszk

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Dossiers
Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Fleck  〈m. 1 od. m. 16〉 oV Flecken (1) 1 Stelle, Punkt, Platz … mehr

fo|ren|sisch  〈Adj.; Rechtsw.〉 gerichtlich ● ~e Medizin = Gerichtsmedizin … mehr

Sper|ber  〈m. 3; Zool.〉 dem Habicht ähnelnder, aber kleinerer Raubvogel mit graubraunem Gefieder: Accipiter nisus [<mhd. sperwære … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige