Während Instandhaltungsarbeiten an einem tropischen Aquarium hatten Chisholm und Kelley beobachtet, dass drei kleine Korallenkolonien ihren Standort auf dem sandigen Boden des Aquariums im Laufe einer Nacht um 6 bis 16 Zentimeter verlegt hatten. Die Korallen waren mit einer klebrigen Substanz zu einem faustgroßen Brocken zusammengekittet. Die beiden Forscher lösten die Korallen wieder ab und brachten sie an deren ursprüngliche Position. Innerhalb eines Monats gingen die Korallen 21 mal auf die gleiche mysteriöse Nachtwanderung.
Mit Infrarot-Kameras kamen die Wissenschaftler dem Phänomen auf die Spur: Etwa eine Stunde nach Eintritt der Dunkelheit kroch ein Wurm aus einem Loch des Gesteins. Das Tier saugte eine Koralle auf und schleppte sie beiseite. Bis zu 10 Gramm schwere Bröckchen transportierte der Wurm auf diese Art und verklebe sie miteinander. Dieses Material-Sammelverhalten zur Schaffung eines eigenen, geeigneten Lebensraumes muss nach Ansicht der Forscher genetisch bedingt sein. Ausgewachsene – bis zu 2 Meter lange – Exemplare, so schätzen Chisholm und Kelley, können so richtige kleine Hügel harter Substrate erzeugen. Diese können anschließend zu Keimzellen eines neuen Riffes werden.
Die scheinbar spontane Bildung von Riffstrukturen irgendwo auf dem marinen Untergrund und die fleckenhafte Verbreitung junger Riffe ist seit langem ein Problem bei der Interpretationen heutiger und fossiler Riffe. Das Habitatverhalten der beobachteten Würmer könnte für beides eine Erklärung bieten – sowohl für die unregelmäßige räumliche Verteilung erster Riffansätze als auch für die Ansiedelung auf einem eigentlich instabilen und damit ungeeigneten Untergrund. Durch das Zusammentragen und Verkitten von Komponenten wird so eine Basis geschaffen, die sich zu einem wellenresistenten, dreidimensionalen Sedimentations- und Lebensraum für viele Organismen entwickeln kann – einem Riff. (Nature vol. 409, S. 152)
Olaf Elicki