Ein deutlich sichtbares Geschlechtsmerkmal bei Drosophila melanogaster ist die Körperpigmentierung: Das Hinterende des Männchens ist tiefschwarz gefärbt, das des Weibchens nicht. Dieser Unterschied wird durch ein Gen bewirkt, das in weiblichen Fliegen die Pigmentierung unterdrückt. Die Entstehung dieses Gens im Verlauf der Evolution beruhe auf dem Mechanismus der sexuellen Selektion, sagt Sean Carroll, einer der Autoren der in Nature veröffentlichten Arbeit. Die Ausbildung eines auffälligen Pigmentmusters erhöhe die Wahrscheinlichkeit, einen Geschlechtspartner zu finden und sich fortzupflanzen. Dieses Phänomen kennt man auch bei Vögeln und Fischen, die durch bunte Färbung und anderen Körperschmuck Aufmerksamkeit erzeugen und so ihren Paarungserfolg erhöhen.
Wie die Wissenschaftler herausfanden, nutzt sich der Sexappeal des pigmentierten männlichen Hinterteils mit der Zeit ab: Das Interesse der Weibchen an einem immer gleichen Farbmuster lässt nach. Um erfolgreicher zu sein als die Konkurrenz, müssen sich die Männchen ständig etwas Neues einfallen lassen. Das könne man als „sexuelles Wettrüsten“ bezeichnen, meint Mitautor Artyom Kopp. „Die Bedeutung der Pigmentierung für die Weibchen sinkt, wenn es sich nur um die Mode des Vorjahres handelt“, berichtet Kopp.
Der ständige Garderobenwechsel durch Mutationen im neu entdeckten Gen führe – über einen längeren Zeitraum betrachtet – schließlich zur Entstehung einer neuen Art, sagt Carroll. „Wir verstehen jetzt besser, wann und wie Änderungen auf DNS-Ebene zu veränderten äußerlichen Merkmalen führen.“
Auch wenn die Wirkung des geschlechtsspezifischen Farbmusters auf die Weibchen nachgelassen hat, profitieren die Männchen davon, weil sie männliche und weibliche Fliegen besser unterscheiden können. „Die Männchen brauchen ihre Zeit nicht damit zu vergeuden, dass sie versehentlich ein anderes Männchen umwerben“, sagt Carroll. Für ihn liegt die Hauptbedeutung dieser Ergebnisse aber weniger in der Aufklärung der genetischen Ursache für die Entstehung des Geschlechtsdimorphismus. Wichtiger sei, dass ein Fenster geöffnet wurde, das den Blick auf einen gerade ablaufenden Evolutionsprozess ermögliche. „Eine so schnelle Veränderung gibt uns die Gelegenheit, Zeuge einer evolutionären Entwicklung zu sein, anstatt nur das Endergebnis zu betrachten“, bestätigt Kopp. (Nature, Nov. 30)