Tsien und seine Mitarbeiter haben genetisch veränderte Mäuse gezüchtet, bei denen die Forscher die sogenannten NMDA (N-Methyl-D-Aspartat)-Rezeptoren, im Hippocampus (einem kleinem Bereich tief im Gehirn, der unter anderem für das Lernen und Erinnern zuständig ist) beliebig ein- und ausschalten konnten. Von den NMDA-Rezeptoren weiß man seit langem, dass sie eine wichtige Rolle beim Lernen neuer Inhalte spielen.
Für die Studie mussten die Mäuse eine versteckte Plattform in einem Wasserbecken suchen. Nach einigen Trainingsstunden hatten alle Versuchstiere den Weg zur Plattform gelernt und fanden ihn in derselben Zeit. Dann wurden den genetisch veränderten Mäusen die NMDA-Rezeptoren ausgeschaltet, indem sie eine Woche lang Doxycycline, ein herkömmliches Antibiotikum, ins Trinkwasser gemischt bekamen. Darauffolgende Tests zeigten, dass diese Mäuse ihren Weg nun deutlich langsamer als die normalen Mäuse fanden.
Dieses Ergebnis widerspricht der herkömmlichen Theorie der Etablierung des Langzeitgedächtnisses. Die besagt, dass das zelluläre Ereignis, das zu Beginn einer Erinnerungsbildung stattfindet, einmalig eine Kaskade biochemischer Reaktionen auslöst, die die Erinnerung festigt. Demnach hätte das Ausschalten der NMDA-Rezeptoren zu diesem Zeitpunkt – die Mäuse hatten den Weg schon gelernt und konnten sich scheinbar auch daran erinnern – keinen Effekt mehr haben dürfen.
Um auszuschließen, dass Doxycycline einen Einfluss auf das Wiedererinnern hat, führten die Forscher weitere Tests durch. Sie warteten bis sich die Langzeiterinnerungen festgesetzt hatten und verabreichten dann erst das Antibiotikum. Nun haben die Mäuse den Weg ohne Schwierigkeiten wiedergefunden. Diese Ergebnisse deuten daraufhin, dass die NMDA-Rezeptoren im Hippocampus für den Prozess der „Erinnerungs-Stärkung“ eine wichtige Funktion einnehmen. Um einmal gelernte Informationen abzurufen, sind sie anscheinend nicht nötig.
„Es ist wirklich überraschend, dass es nötig ist, dieses Ausgangsereignis des Lernens zu reaktivieren,“ sagt Tsien. „Es ist, als ob das Gehirn wieder und wieder neu lernt.“ Er nennt diesen Prozess „synaptic reentry reinforcement“ (synaptischer Wiedereintritt zur Verstärkung) oder SRR. Dieser sei der entscheident, um gespeicherte Informationen durch kontinuierliches Festigen zu sichern, meint Tsien. An der alten Theorie hat er hingegen Zweifel. Denn die nur einmal ausgelöste Kaskade biochemischer Reaktion zur Ausbildung von Langzeiterinnerungen dauert höchstens einige Stunden, vielleicht Tage. Eine viel zu kurze Zeitspanne, da das Festigen neuer Erinnerungen im Säugetierhirn mehrere Jahre beanspruchen könne, sagt Tsien.
Diese Erkenntnisse könnten eines Tages helfen, Krankheiten wie Schizophrenie zu verstehen, so Tsien. Wenn neue Erfahrungen nicht richtig als Langzeiterinnerung gespeichert werden, könnte das Resultat eine falsche Assoziation einer realen mit einer mental entstandenen Erinnerung sein. Er glaubt, dass es dadurch zu Täuschungen und Wahnvorstellungen kommen könnte.