Ein Gummiball prallt auf dem Boden auf und springt wieder in die Höhe, ein Turm aus Bauklötzen stürzt um und das Wasser in der Badewanne fließt, dem Gefälle folgend, zum Ausfluss: All dies sind ganz alltägliche Ereignisse – und in allen steckt Physik. Schon von Kindheit an beobachten wir in der Welt um uns herum Abläufe, die klaren Gesetzmäßigkeiten folgen – und schon Kleinkinder stutzen, wenn diese ungeschriebenen Regeln verletzt werden, wie Studien zeigen. Unbewusst erkennen wir schon sehr früh physikalische Grundregeln wie die Wirkung der Schwerkraft, die Impulserhaltung oder die Ballistik des Werfens. „Diese physikalischen Regeln zu erkennen, gehört zu den wichtigsten mentalen Fähigkeiten für unser Überleben“, erklärt Erstautor Jason Fischer von der Johns Hopkins University. „Im Kopf führen wir ständig Physik-Simulationen durch, um uns auf Handlungen vorzubereiten.“ Wir müssen daher nicht lange nachdenken, wo eine fallende Tasse landen wird oder wieviel Kraft wir benötigen, um einen Ball zu werfen. Doch wie und wo unser Gehirn diese instinktiven Physik-Berechnungen anstellt, war bisher unbekannt.
Fischer und seine Kollegen haben nun eine Reihe von Experimenten durchgeführt, um dem Physik-Zentrum unseres Gehirns auf die Spur zu kommen. Sie zeigten dafür Probanden verschiedene Videos, während sie deren Hirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) aufzeichneten. Im ersten Durchgang sahen die Teilnehmer Filmclips von wackeligen Türmen aus gelben und blauen Holzklötzen. Sie sollten nun entweder schätzen, wo die Klötze beim Einsturz des Turmes hinfallen würden, oder aber raten, ob es mehr gelbe oder blaue Klötze im Turm gibt. Während die zweite Frage vor allem die visuelle Wahrnehmung aktivierte, zielte die erste auf die Physik-Intuition – und müsste daher das Physikzentrum im Gehirn aktivieren. Ebenfalls auf das physikalische Verständnis kam es im zweiten Video an, in dem die Probanden zwei Punkte sahen, die sich über den Bildschirm bewegten und deren weiteren Weg sie vorhersagen sollten.
Dieses Video zeigt eine der Aufgaben, bei denen unser Physik-Zentrum aktiv ist (Video: Johns Hopkins University)
Physik-Intuition und Handeln eng verknüpft
Die Auswertung der Hirnscans ergab: Immer dann, wenn die Probanden physikalische Gesetzmäßigkeiten in ihre Schätzungen und Vorhersagen einbezogen, wurden ganz bestimmte Hirnareale aktiv. Wie ein weiterer Test ergab, feuern diese Hirnareale umso intensiver, je mehr Physik hinter dem von den Probanden beobachteten Vorgängen steckte. Diese aktiven „Physikzentren“ lagen jedoch nicht im visuellen Cortex, wie man es aufgrund der optischen Darstellung vielleicht erwarten würde, sondern im prämotorischen und motorischen Bereich der Großhirnrinde, wie die Forscher berichten. Diese Hirnbereiche sind dafür zuständig, unsere Bewegungen zu planen, aber auch Informationen, beispielsweise über die Bewegung anderer Körper im Raum, zu verarbeiten.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die physikalische Intuition und die Handlungsplanung im Gehirn eng verknüpft sind“, sagt Fischer. Deshalb liegt das Physikzentrum unseres Gehirns in der Region, die für unsere motorische Interaktion mit der Außenwelt zuständig ist. „Wir glauben, dass das der Fall ist, weil Kinder physikalische Modelle der Welt lernen, während sie ihre motorischen Fähigkeiten trainieren – während sie mit Objekten hantieren, lernen sie, wie sich diese verhalten.“ Wenn ein Kind beispielsweise nach etwas greift, muss sein Gehirn lernen und vorausberechnen, wie schwer dieses Objekt wohl sein könnte, mit wie viel Kraft man es anfassen und heben muss. Noch mehr Physik ist beim Laufenlernen nötig: Wie viel Vorwärtsschub braucht man, wie viel ist zuviel und führt zum Sturz? All diese unbewussten Kalkulationen führt unser Physikzentrum im Gehirn von Kindesbeinen an durch und formt letztlich so unser intuitives Verständnis der Physik im Alltag. „Wir ziehen ständig physikalische Schlussfolgerungen, selbst wenn wir nicht bewusst darüber nachdenken“, so Fischer.