Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Auf das Timing kommt es an

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

Auf das Timing kommt es an
16-08-15-viren.jpg
Wie gut sich Viren in unseren Zellen vermehren können, hängt auch von der Tageszeit ab (Grafik: bodym/iStock)
Ob wir nach Ansteckung mit einem Virus krank werden, hängt auch von unserer inneren Uhr ab: Forscher haben herausgefunden, dass der Tag-Nacht-Rhythmus mitbestimmt, wie gut sich Viren in unserem Körper vermehren können. Bei Mäusen und in Zellkulturen vermehrten sich Herpes- und Influenza-Viren zu bestimmten Tageszeiten bis zu zehnfach stärker als zu anderen. Wurde die innere Uhr dagegen ganz blockiert, hatten die Viren immer leichtes Spiel.

Wir leben nach der Uhr – der inneren Uhr: Die meisten Prozesse in unserm Körper folgen einem regelmäßigen Rhythmus. Unsere Körpertemperatur schwankt im Tagesverlauf, die Hormonspiegel verändern sich und auch das Immunsystem reagiert nicht zu jeder Zeit gleich. Die Triebkraft dieses biologischen Tag-Nacht-Rhythmus sind spezielle Gene, die in jeder unserer Zellen sitzen. Sie geben – geeicht durch den Wechsel von Tag und Nacht – den Takt vor, nach dem sich die meisten zellulären und zellübergreifenden Prozesse richten. Aus Studien weiß man, dass eine Störung unseres natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus, beispielsweise durch Schichtarbeit oder häufigen Jetlag, die Synchronisation dieser Prozesse beeinträchtigt. Das wiederum macht anfällig für bestimmte Krankheiten, darunter auch Infektionen. So zeigen Studien, dass beispielsweise ein Influenza-Impfstoff je nach Tageszeit der Impfung unterschiedlich effektiv wirken kann. Unklar blieb bisher jedoch, ob und wie die innere Uhr auch unsere Reaktion auf Virusinfekte bestimmt.

Rachel Edgar von der University of Cambridge und ihre Kollegen haben dies nun am Beispiel des Herpes- und des Influenza A-Virus genauer untersucht. Für ihre Studie führten sie zunächst einen Versuch mit Mäusen durch. Sie infizierten die Tiere zu unterschiedlichen Tageszeiten mit einem Herpesvirus und verglichen, wie stark sich der Erreger im Körper der Tiere vermehren konnte. Wie sich zeigte, gab es tatsächlich deutliche Unterschiede:  „Mäuse, die am Anfang ihrer Ruhephase infiziert wurden, zeigten eine zehnfach stärkere Virenvermehrung als die zu Beginn ihrer aktiven Phase infizierten Tiere“, berichten die Forscher. Ähnliches beobachten sie auch mit einer weiteren Virenvariante. „Der Zeitpunkt der Infektion kann demnach einen großen Einfluss darauf haben, wie anfällig wir gegenüber einer Krankheit sind“, sagt Seniorautor Akhilesh Reddy von der University of Cambridge. „Eine Ansteckung zur falschen Tageszeit kann eine sehr viel stärkere akute Infektion hervorrufen.“

Takt der Zellen ist entscheidend

Was aber ruft diese zeitspezifischen Unterschiede hervor? Theoretisch könnte die schwankende Anfälligkeit damit zusammenhängen, dass auch das Immunsystem zu bestimmten Tageszeiten aktiver ist als zu anderen. Die Forscher jedoch vermuteten hinter diesem Phänomen einen noch grundlegenderen Mechanismus – einen Effekt der inneren Uhr direkt in den vom Virus befallenen Zellen. Um das zu überprüfen, führten Edgar und ihre Kollegen ihre nächsten Tests mit Zellkulturen durch. „Diese zeigen zwar auch einen robusten 24-Stunden-Rhythmus, werden aber nicht vom Immunsystem beeinflusst“, erklären sie. Für den Versuch, blockierten sie bei einem Teil der Zellkulturen das Uhrengen Bmal1 und legten damit die innere Uhr in diesen Zellen still. Dann infizierten sie alle Zellen mit Herpes- oder Influenza-Viren. Das Ergebnis: Bei den Zellen, die noch ihren normalen zirkadianen Rhythmus besaßen, schwankte die Virenvermehrung ähnlich wie zuvor bei den Mäusen. „Wenn wir aber die innere Uhr bei Zellen oder Mäusen blockierten, spielt das Timing der Infektion keine Rolle mehr – die Virenvermehrung war immer hoch“, berichtet Edgar.

Nach Ansicht der Forscher könnte dies erklären, warum Menschen mit gestörtem Tagesrhythmus oft anfälliger für Viruserkrankungen sind: Ist ihre innere Uhr durch Schichtarbeit oder Jetlag beeinträchtigt, erleichtert dies die Vermehrung der Viren im Körper. Und noch etwas könnte dieses zelluläre Wechselspiel von Uhrengenen und Viren erklären: unsere erhöhte Anfälligkeit gegenüber Virusinfekten im Winter. Denn das Uhrengen Bmal1 ist im Winter weniger aktiv als im Sommer, wie die Forscher berichten. Dies könnte dazu beitragen, dass sich Grippe und andere Krankheiten in der kalten Jahreszeit stärker verbreiten, spekulieren Edgar und ihre Kollegen. Noch raffiniert jedoch geht das Herpesvirus vor, wie die Experimente enthüllte. Denn dieser Erreger wartet nicht erst auf eine günstige Zeit, er wirkt selbst auf die Uhrenkomponenten in der Zelle ein. Dadurch schafft er sich selbst einen Zustand, der seiner Vermehrung entgegenkommt. „Die Viren manipulieren die innere Uhr damit zu ihrem eigenen Nutzen“, so die Forscher.

Anzeige

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

lern|schwach  〈Adj.〉 an einer Lernschwäche, Lernstörung leidend; Ggs lernstark … mehr

le|ga|to  〈Mus.; Abk.: leg.〉 gebunden (zu spielen) [ital., ”gebunden“, Part. Perf. von legare … mehr

Oku|lar  〈n. 11; Fot.; Opt.〉 dem Auge zugewandte Linse od. Linsensystem; Ggs Objektiv … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige