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„Lucy“ fiel vom Baum

Geschichte|Archäologie

„Lucy“ fiel vom Baum
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Das Ende von Lucys Speiche vor der Computertomografie (Foto: Marsha Miller, UT Austin)
„Lucy“ ist vielleicht die berühmteste Urahnin des Menschen. Kaum ein anderes Vormenschenfossil ist so bekannt wie das der 3,2 Millionen Jahre alten Australopithecus afarensis-Frau. Jetzt haben Forscher erstmals herausgefunden, wie Lucy damals gestorben sein könnte: Sie fiel wahrscheinlich von einem Baum. Darauf deuten feine Brüche an einigen ihrer Knochen hin, wie sie typischerweise bei einem Sturz aus größerer Höhe auftreten.

Am 30. November 1974 schreiben der US-Forscher Donald Johanson und sein Team Geschichte: Im trockenen Geröll des Afar Dreiecks in Äthiopien entdecken sie Überreste einer noch unbekannten Vormenschenart: Arm- und Beinknochen, große Teile des Beckens, aber auch Teile des Schädels. Insgesamt 40 Prozent des 3,2 Millionen Jahre alten Skeletts können Forscher bergen – so viel wie noch nie von einem so alten Menschenvorfahren. Die neue Art bekommt den Namen Australopithecus afarensis, das Skelett selbst aber wird schnell unter dem Spitznamen „Lucy“ bekannt. Nähere Untersuchungen des Beckens und der Füße legen den Schluss nahe, dass diese Vormenschen-Frau bereits aufrecht gehen konnte – wie gut, darüber wird allerdings bis heute gestritten. Einige Anthropologen sprechen „Lucy“ maximal eine Art halbaufgerichtete Schlurfen zu, andere gehen aufgrund der Anatomie der Fußknochen davon aus, dass sie bereits einen erstaunlich modernen Gang besaß. Eng verknüpft mit dieser Debatte ist die Diskussion, ob Australopithecus afarensis noch teilweise auf Bäumen lebte – beispielsweise um dort nach Nahrung zu suchen oder nachts zu schlafen. Auch in dieser Frage scheiden sich bis heute die Geister.

Ungewöhnliche Frakturen

Um mehr über Lucys Lebensweise herauszufinden, hatten John Kappelman von der University of Texas in Austin und seine Kollegen die Knochen der berühmten Vormenschenfrau bereits 2008 in einem hochauflösenden Computertomografen (CT) gescannt. „CT ist nicht destruktiv, daher kann man sehen, was im Inneren ist, die interne Struktur und die Details der Knochen“, erklärt Kappelman. Als dann einige Jahre später die mehr als 35.000 Aufnahmen analysierten, stießen sie auf etwas Ungewöhnliches: Das Ende von Lucys rechtem Oberarmknochen war von vier feinen Brüchen durchzogen. „Unter natürlichen Bedingungen wird ein solcher Bruch am häufigsten durch einen Sturz verursacht, bei dem das Unfallopfer den Arm ausstreckt, um seinen Fall zu bremsen“, erklärt Kappelman. Der Kontakt mit dem Boden führt zu einer abrupten Stauchung von Hand und Arm, die den Oberarmknochen gegen die Schulter schlagen lässt. „Dabei brechen einige oder alle proximale Bestandteile des Humerus und das hinterlässt eine einzigartige Signatur“, erklären die Forscher.

Bei der Auswertung weiterer Knochen-Scans entdeckten Forscher auch beim linken Oberarmknochen, am rechten Knöchel, dem linken Knie und der Hüfte Frakturen. Bisher waren diese Brüche als postmortem eingestuft worden – Schäden, die erst nach dem Tod der Vormenschenfrau aufgetreten waren. Doch Kappelman und seine Kollegen sehen dies anders: „Ihre große Ähnlichkeit zu typischen klinischen Fällen deutet darauf hin, dass dies perimortale Verletzungen waren“, so die Wissenschaftler. Die Tatsache, dass die Fragmente und Knochensplitter in Position blieben, spreche dafür, dass Lucy sich diese Brüche durch einen Sturz aus großer Höhe zuzog – und dabei starb. Aus der Schwere der Frakturen schließen sie, dass die Vormenschenfrau aus mindestens zwölf Metern Höhe auf den Boden gefallen sein muss. Als Ausgangspunkt dieses Falls kommt nach Angaben der Forscher am ehesten ein Baum in Frage. „Rekonstruktionen der damaligen Umwelt haben ergeben, dass Hadar, wo Lucy gefunden wurde, damals eine von Gras durchsetzte Waldung mit großen Bäume war“, berichten sie.

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So haben die Forscher Lucys Todesursache aufgeklärt (Video: Nature)

Tod beim Sturz

Aus den Ergebnissen ihrer Analysen haben Kappelman und seine Kollegen die Ereignisse bei Lucys Tod rekonstruiert. Demnach verlor die Vormenschenfrau beim Klettern den Halt und stürzte aus zwölf Metern Höhe vom Baum. Am Boden prallte sie mit den Füßen zuerst auf und brach sich dabei den Knöchel, das Knie und die Hüfte. Dann fiel sie nach vorne und streckte in letzter Sekunde ihre Arme, um den Aufprall abzufangen. „Die Brüche in ihren Armen liefern den Beleg dafür, dass sie bei Bewusstsein war, als sie dies tat“, betonen die Forscher. Doch der Aufprall war zu stark, so dass Lucy schließlich auch mit Brust und Kopf aufschlug. Der Tod folgte dann wahrscheinlich relativ schnell. „Als ich dieses Bild von Lucy vor Augen sah, fühlte ich einen Schwall von Mitleid über Zeit und Raum hinaus“, sagt Kappelman. „Lucy war nicht mehr nur ein Kasten voller Knochen, sondern wurde in ihrem Tod zu einer realen Person – einem kleinen, verletzten Körper, der hilflos unter einem Baum lag.“

Nach mehr als drei Millionen Jahren könnten die Anthropologen damit den Todesfall einer unserer berühmtesten Urahninnen aufgeklärt haben. Darüberhinaus aber liefert ihr Szenario neuen Stoff für die Debatte um Lucys Lebensweise. Wenn die Vormenschenfrau damals tatsächlich von einem Baum stürzte, spricht dies dafür, dass sie und ihre Artgenossen zumindest einen Teil ihrer Zeit noch auf Bäumen verbrachten. Kappelman vermutet, dass diese Australopithecinen wegen ihrer eher schmächtigen Größe nachts auf Bäumen geschlafen haben könnten, um sich vor größeren Raubtieren zu schützen. Auch einen Teil ihrer Nahrung könnten sie auf Bäumen gesucht haben. Weil Lucy und ihre Artgenossen aber anatomisch bereits an den aufrechten Gang angepasst waren, beeinträchtigte dies ihre Kletterfähigkeiten. „Ihre Kombination von Merkmalen könnte diese Vormenschenart dazu prädestiniert haben, häufiger den Halt zu verlieren und zu Fallen“, sagen Kappelman und seine Kollegen.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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