Die Erlebniswelt und die geistigen Fähigkeiten von Kindern im ersten Lebensjahr galten lange als vergleichsweise simpel – doch die Forschung der letzten Jahre hat zunehmend gezeigt, dass die Kleinen bereits überraschend komplex auf bestimmte Erfahrungen reagieren. Die Forscher um Katherine Kinzler von der Cornell University in Ithaca haben sich in diesem Zusammenhang nun in spezieller Weise mit dem Thema Nahrung beschäftigt: Sie sind der Frage nachgegangen, ob Kinder die Nahrungsvorlieben einer Person mit deren Merkmalen verknüpfen.
Babys schauen bei Ess-Szenen zu
Sie führten dazu etwa 200 Babys im Alter von einem Jahr Videos vor, auf denen jeweils zwei Schauspieler an einem Esstisch zu sehen waren. In der Kategorie „fremd“ sprachen sie unterschiedliche Sprachen und benahmen sich demonstrativ unvertraut. Im anderen Fall zeigten die beiden hingegen freundschaftliches Verhalten und sprachen die gleiche Sprache. In beiden Kategorien saßen die Personen vor farblich gekennzeichneten Nahrungsgefäßen. Sie kosteten die darin enthaltenen Speisen und äußerten sich entweder klar abgeneigt oder aber sehr erfreut über den Geschmack.
Um festzustellen, worauf die Kinder besonders reagierten, nutzten die Forscher einen im Rahmen der Entwicklungspsychologie allgemein anerkannten Hinweis: die Blickdauer. Verdutzte Kinder schauen bei überraschenden Szenen länger hin, als wenn das Gesehene ihren Erwartungen entspricht. Dadurch war es den Forschern möglich, folgenden Fragen nachzugehen: Wenn Babys sehen, dass jemand eine Speise mag, erwarten sie dann, dass auch andere Menschen sie mögen werden? Und wenn ja, denken sie, dass alle Menschen die gleichen Nahrungsmittel schätzen, oder nur bestimmte Leute?
Hinweise auf „Baby-Gedanken“
In den Auswertungen der Blickdauer bei den verschiedenen Szenarien zeichnete sich ab:
Wenn die Babys zwei Personen in dem Video sahen, die gleich sprachen oder sich vertraut benahmen, erwartete sie offenbar, dass diese auch die gleichen Nahrungsmittel mögen. Wenn sie hingegen zwei Schauspieler sahen, die in verschiedenen Sprachen redeten beziehungsweise sich klar fremd waren, erwarteten die Babys eher unterschiedliche Nahrungsvorlieben. „Die Kleinen erfassen bereits früh Hinweise auf Gruppenzugehörigkeiten“, schließt Kinzler aus den Ergebnissen. „Wenn Babys jemanden essen sehen, lernen sie demnach nicht nur etwas übers Essen, sie lernen auch bereits, wer was isst. Den Forschern zufolge spiegelt sich darin die frühe Fähigkeit zur Kategorisierung von Menschen als ähnlich oder verschieden wider – möglicherweise sogar eine Abgrenzung von „wir“ im Gegensatz zu „den anderen“.
Kinzler und ihre Kollegen stellten im Rahmen der Studie noch einen weiteren interessanten Aspekt fest: Äußerten die Schauspieler einen klaren Ekel vor einer Speise, zeichnete sich in der Blickdauer die Erwartung der Kinder ab, dass alle anderen ebenfalls ablehnend reagieren würden – egal ob sie gruppenzugehörig waren oder nicht. Darin könnte sich widerspiegeln, dass Babys bereits besonders wachsam gegenüber Informationen sind, die Gefahren anzeigen, sagen die Forscher.