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Die genetische Verbesserung des Menschen

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Die genetische Verbesserung des Menschen
Ein neues Werkzeug der Gentechnik, „CRISPR“ genannt und „Krisper“ ausgesprochen, belebt eine ethische Debatte: Wie tief darf man ins Erbgut von Menschen eingreifen? Mit CRISPR erscheinen Manipulationen möglich, die bisher zu riskant und teuer waren – das ist das Titelthema der neuen Ausgabe von „bild der wissenschaft“. In diesem Zusatz-Interview erläutert der Genetiker Olaf Rieß von der Uniklinik Tübingen, welche Chancen und Risiken er sieht. Es geht letztlich um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.

Herr Professor Rieß, was erwarten Sie von dem neuen gentechnischen Werkzeug CRISPR?

Es ist eine einfache, effiziente und günstige Methode, die man in allen Spezies anwenden kann. Sie hat bei der Entschlüsselung von Funktionen der Gene praktisch alle anderen Methoden abgelöst. Wenn man zum Beispiel die Rolle eines Gens bei Parkinson untersuchen will, hat man früher in den Zellen eines Versuchstieres dafür gesorgt, dass dieses Gen übermäßig oft als Bauplan für Proteine genutzt wird, um zu beobachten, wie sich das auswirkt. Aber das Gen der Maus gleicht nicht völlig dem des Menschen. Da darf man sich nicht wundern, dass wir nicht alle Merkmale von Parkinson beim Menschen in den Versuchstieren abbilden können. Mit CRISPR können wir nun ein komplettes Gen der Maus durch das entsprechende Gen eines Menschen ersetzen.

Welche Fortschritte erhoffen Sie sich durch die verbesserten Tiermodelle?

In den letzten Jahren haben viele Pharmaunternehmen den Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen verlassen. Novartis hat zum Beispiel seine große Forschungsabteilung in Basel geschlossen und unterhält nur noch eine Abteilung in Boston. Die Universität Tübingen hat deutlich mehr Wissenschaftler auf dem Gebiet von Alzheimer und Parkinson als Novartis. Das darf nicht sein! Schließlich wird jeder Vierte von uns einmal eine dieser Krankheiten bekommen. Das kostet viele Milliarden und ist eine große Belastung für die Patienten und die Angehörigen. Da müssen wir mehr investieren. Die Modelle haben früher nicht zu brauchbaren Ergebnissen geführt, aber jetzt können wir es anders machen – und müssten eigentlich von vorn beginnen.

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Mit CRISPR könnte man auch Gentherapien für Menschen entwickeln. Das sei jetzt noch nicht zuverlässig machbar, sagen viele. Rechnen Sie damit, dass diese Einschränkung bald wegfällt?

Man muss unterscheiden zwischen Therapien an den Keimzellen und der Veränderung einzelner Zellen eines Patienten. Für mich gibt es eine moralische Hürde: Wir dürfen nicht am Genom herummanipulieren, wenn es um den gesamten Menschen geht. Aber in der somatischen Therapie, die auf bestimmtes Gewebe oder einzelne Organe ausgerichtet ist, sehe ich ein großes Potenzial. Nehmen Sie zum Beispiel Diabetes-Patienten, bei denen der Insulinmangel eine genetische Ursache hat. Schon für diesen kleinen Prozentsatz der Diabetes-Patienten könnte es sich lohnen, Hautzellen in Betazellen des Pankreas zu verwandeln, den ursächlichen genetischen Defekt zu korrigieren und diese körpereigenen Zellen dann zu re-implantieren, damit sie Insulin produzieren. Bei dieser Transplantation müssen wir nicht mit Abstoßungsreaktionen rechnen.

Um Gentherapien zu entwickeln, muss man wissen, wie genetische Varianten und Krankheiten zusammenhängen. Stehen Ihnen die nötigen Daten zur Verfügung oder müsste man Ihrer Meinung nach die Regelungen anpassen?

Das Gendiagnostikgesetz soll Menschen mit einer genetisch bedingten Erkrankung davor schützen, dass dieses genetische Wissen missbraucht wird, etwa von Arbeitgebern oder Versicherungen. Hierbei hat sich das Gesetz bewährt. Eine Schwierigkeit sehe ich jedoch darin, dass die Patienten ausdrücklich wählen können, wer über das Ergebnis eines genetischen Tests informiert wird. Wir hatten leider schon zwei Patientinnen an unserem Institut, bei denen wir den Hausarzt nicht über die genetische Ursache ihres Brustkrebses informieren durften. Diese beiden Mütter von Kindern haben später ein Rezidiv entwickelt und sind daran verstorben. Sie hätten mit dem Wissen des behandelnden Arztes und einem frühen Nachweis des Rezidivs gerettet werden können. Darüber hinaus wir fragen uns auch oft, ob wir die Genehmigung haben, im großen fachübergreifenden Klinikteam über einen Patienten zu sprechen. Vor Kurzem war ich bei einer Anhörung im Bundestag und habe dort vorgeschlagen, dass die Genehmigung des Patienten immer für das ganze Ärzteteam gelten sollte, sofern der Patient die Vorsorge und Therapie nicht rundheraus ablehnt. Man kann nicht seine Krankendaten für sich behalten, aber wenn es ernst wird, die bestmögliche medizinische Versorgung verlangen. Wir müssen auch die Möglichkeit haben, mit Fachkollegen an anderen Kliniken über die Daten zu sprechen – dann natürlich anonymisiert.

Wie waren die Reaktionen bei der Anhörung?

Ich hatte den Eindruck, dass die Abgeordneten und die Vertreter der Ministerien das Problem sehr gut verstanden haben. Parallel entwickeln wir aber schon heute entsprechende Einwilligungserklärungen mit den zuständigen Ethikkommissionen.

Warum lehnen Sie genetische Manipulationen vor der Geburt ab, selbst wenn die Eingriffe in einigen Jahren zuverlässig funktionieren sollten?

Jeder von uns hat 50 bis 100 genetische Veränderungen, die mit einer genetisch bedingten Erkrankung einhergehen. Das haben wir von der Natur mitbekommen. Vielleicht sehe ich die Möglichkeiten zu visionär, aber ich frage mich: Was, wenn wir uns einmal daran machen, einen Mann und eine Frau zu kreieren, die diese 50 bis 100 genetischen Veränderungen nicht mehr in sich tragen? Es können dann natürlich neue Mutationen entstehen, aber erst einmal hätten wir den Grundstein für eine „Rasse“ gelegt, in der es kein Risiko für genetische Erkrankungen mehr gibt. Für die Kinder dieses Paars könnten die Versicherungen sehr günstig werden. Der Film „Gattaca“ hat dieses Szenario schon vor 20 Jahren ausgemalt. Es ist heute viel realer, als man damals dachte.

Warum greifen Sie gleich zu einer Schreckensvision? Man könnte die Auswirkungen auch begrenzen.

Wie zum Beispiel?

Indem man verhindert, dass Versicherungen von den genetischen Manipulationen erfahren.

Trotzdem würden wir Menschen gezielt züchten. Es gibt schon heute einige ethnischen Gruppen, in denen erwartet wird, dass sich Mann und Frau testen lassen, bevor sie Kinder zeugen – etwa bei den Ashkenasi-Juden, bei denen einige genetisch bedingte Krankheiten häufig vorkommen. Schon da bin ich sehr skeptisch, zumal man diese Krankheiten heute gut behandeln kann.

Sie haben es oft mit Menschen zu tun, in deren Familien genetische Krankheiten häufiger auftreten. Hören Sie manchmal den Wunsch, die Krankheit einmal loszuwerden?

Ja, das wird aber schon seit Jahrzehnten gemacht: Man testet den Embryo gezielt auf die genetischen Anlagen für eine in der Familie bereits aufgetretene Krankheit. Es gibt immer auch Embryonen ohne die Anlage für die Krankheit – die muss man nicht mit CRISPR manipulieren. Die Pränataldiagnostik ist in Deutschland bei verschiedenen Erkrankungen erlaubt, die schon im Kindesalter auftreten und schwerwiegende Auswirkungen auf das Leben des Kindes haben und gegebenenfalls sogar zum Tode führen. Allerdings kann ich einige diese Einschränkungen nicht ganz verstehen, da es Krankheiten wie Chorea Huntington gibt, die erst später im Leben auftreten, aber die nach kontinuierlichem Fortschreiten der Symptome über mehrere Jahre ebenfalls zum Tode führen – und für die es bis heute noch keine Therapie gibt.

Werden Sie trotzdem mit dem Wunsch konfrontiert, CRISPR einzusetzen?

Nein, aber die neuen Möglichkeiten sind vielleicht auch noch nicht allen bekannt.

Halten Sie dennoch eine ethische Debatte über die Keimbahn-Eingriffe für nötig?

Die ist dringend nötig, damit sich die Öffentlichkeit mit den Möglichkeiten vertraut macht und nicht irgendwann ein böses Erwachen erlebt.

Im Juni, auf einer Tagung des Deutschen Ethikrats, haben Soziologen Umfragen zitiert. Ein Wunderkind zu züchten, lehnen praktisch alle Menschen ab. Aber die Gene so zu verändern, dass es ein geringeres Krebsrisiko hat oder wenigstens durchschnittlich intelligent ist, würden einige begrüßen.

Diese genetische Verbesserung des Menschen sehe ich als große Gefahr, weil man die Technik nicht mehr nutzt, um Menschen zu heilen, sondern stattdessen einer Perfektionierung entgegengeht. Ich würde eine Gegenfrage stellen: Wann ist ein Mensch glücklich? Das hat überhaupt nichts mit Intelligenz zu tun. Das Ziel unserer Gesellschaft müsste doch sein, einen Lebensstandard zu ermöglichen, auf dem die Leute glücklich sind. Dazu gehört die Gesundheit, aber es gibt noch viele andere Faktoren. Und wir wollen doch keine Gesellschaft, in der lauter Alphatiere den Ton angeben.

Sie sprechen jetzt vom oberen Ende des Spektrums – davon, das Gute noch besser zu machen. Ich hatte jedoch daran gedacht, fundamentale Benachteiligungen zu vermeiden, um allen ein selbstständiges Leben zu ermöglichen.

Ich glaube, dass es sehr schwer ist, die richtige Grenze zu ziehen. Und ich empfehle Ihnen, mit Kindern und Erwachsenen mit Down-Syndrom zu sprechen. Die sind in aller Regel glücklich. In ihrer Jugend haben sie dieselben Probleme wie andere Jugendliche auch. Natürlich ist ihr Leben eine Herausforderung, auch für die Eltern, aber ich würde das nicht darauf reduzieren. Oder nehmen wir Autisten als Beispiel: Wie würden Sie da verfahren? Manche von ihnen haben einen hohen IQ, aber viele nicht. Wollen Sie deren IQ anheben oder den Autismus ändern? Oder beides, aber dann sind Sie wieder bei der Perfektionierung.

Wenn Journalisten leichtfertig schreiben, ein Mensch leide am Down-Syndrom, bekommen sie Post von aufgebrachten Eltern. Zu Recht. Und es gibt heute noch keine Anwendungsfälle für die genetische Verbesserung von Menschen. Aber könnte es nicht doch einmal einen Fall geben, über den es sich zu diskutieren lohnt? Warum wollen Sie ihn heute schon ausschließen?

In Deutschland kennen wir die Debatte über Herrenmenschen. Nun stelle ich mir vor, wir hätten in Deutschland irgendwann einmal die Möglichkeiten der genetischen Verbesserung. Eigentlich ist „Verbesserung“ der falsche Begriff, aber sei’s drum. Weil Wissen unsere wichtigste Ressource ist, investieren wir in diesem Szenario nicht nur in Bildung, sondern auch in die genetische Verbesserung. Wenn wir das machen würden, würden wir wieder den Rest der Welt abkoppeln. Es würde schnell das Gefühl aufkommen, dass wir etwas Besseres sind. Ich habe davor Angst, denn das kann man gesellschaftlich nicht mehr steuern. Beim Brexit und in vielen anderen Ländern sehen wir doch, wie schnell Nationalismus aufflammen kann. Und nicht zuletzt braucht eine Gesellschaft doch alle unterschiedlichen Menschentypen und nicht nur die Spitzenleister.

Dass eine Gesellschaft vielfältig sein muss, verstehe ich sofort. Aber warum muss eine vernünftige Gesellschaft zwangsläufig in den Exzessen landen, die Sie andeuten?

In Kanada gibt es eine Sekte, die Raelianer, die vor einigen Jahren Schlagzeilen gemacht haben, als sie behaupteten, dass Frauen mit Klonen des Sektenführers schwanger seien. Ich weiß nicht, ob tatsächlich ein solches Kind geboren worden ist, aber ich kann mir gut vorstellen, dass es bei diesem Experiment zu Fehlbildungen kam. Was ich damit sagen möchte: Es wird immer wieder Fanatiker geben, die neue Technologien missbrauchen werden. Deshalb sollten wir eigentlich ein weltweites Klonierungsverbot haben – und schon das haben wir nicht.

Das Gespräch führte Alexander Mäder.

Einen ausführlichen Schwerpunkt zum neuen gentechnischen Werkzeug CRISPR finden Sie in der Oktober-Ausgabe von „bild der wissenschaft“. Dort stellen wir die möglichen Anwendungen von CRISPR in der Medizin vor, die Olaf Rieß erwähnt. In einem weiteren Artikel geht es um den Ansatz des „Gene Drive“, mit dem eine ganze Tierart ausgerottet werden könnte: etwa die Mücken, die Malaria übertragen. In einem Kommentar diskutieren wir die ethischen Fragen, die sich daraus ergeben.

   

  
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© wissenschaft.de – Alexander Mäder
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