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Raffinierte Täuschung

Erde|Umwelt

Raffinierte Täuschung
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DIe Fallschirm-Leuchterblume lockt ihre Bestäuber auf ungewöhnlich raffinierte Weise (Foto: Stefan Dötterl)
Wenn es um die Bestäubung geht, wird im Pflanzenreich reichlich getrickst, denn es gilt, die Bestäuberinsekten mit allen Mitteln anzulocken. Eine besonders raffinierte Täuschung haben nun Biologen bei der tropischen Leuchterblume aufgedeckt: Die Pflanze ahmt den Alarmduft von Bienen nach – und lockt so fleischfressende Fliegen an, die sich normalerweise an verletzten oder von Spinnen gefangenen Biene gütlich tun.

Viele Blumen sorgen für ihre Bestäubung, indem sie Insekten durch bunte Farben oder lockende Düfte signalisieren: Hier ist Nahrung in Form von Nektar verfügbar. Die Beziehung von Pflanze und Insekt ist in diesem Falle zu beiderseitigen Vorteil, denn das Tier bekommt reichhaltiges Futter und die Blüte wird bestäubt. Doch es gibt auch Blender und Betrüger im Pflanzenreich – sie machen immerhin vier bis sechs Prozent der Blütenpflanzen aus. Diese „Betrüger“ locken ihre Bestäuber mit leeren Versprechen an – indem sie Futter nur vorgaukeln oder mit ihrem Duft oder ihrer Blütenform einen Paarungspartner der Insekten imitieren. Die Blüte der zu den Orchideen gehörenden Spinnenragwurz beispielsweise ähnelt verblüffend einer weiblichen Sandbiene und ihr Duft enthält die typischen Sexualpheromone der Bienenweibchen. Von diesen Merkmalen angelockt, lassen sich die Bienenmännchen auf der Blüte nieder und stellen erst dann fest, dass hier weit und breit kein paarungswilliges Weibchen vorhanden ist. Eher an die Essgelüste ihrer Bestäuber appelliert dagegen ein im Mittelmeerraum verbreiteter Aronsstab. Er riecht nach verrottendem Fleisch und gaukelt damit seinen Bestäuberfliegen eine leckere Mahlzeit vor.

Ein weiteres, ungewöhnlich raffiniertes Beispiel für eine solche Täuschung durch Pflanzen haben nun Annemarie Heiduk von der Universität Salzburg und ihre Kollegen entdeckt. Sie untersuchten die Bestäubungsökologie der tropischen Leuchterblume Ceropegia sandersonii. Die kissenartigen, hohlen Blüten dieser Pflanzen werden durch Fliegen der Gattung Desmometopa bestäubt – so viel war bereits bekannt. „Diese Blüten haben fallenartige Strukturen, mit denen sie ihre Bestäuber vorübergehend einfangen und nach Kontakt mit dem Pollen wieder freilassen“, erklärt Heiduks Kollege Stefan Dötterl.  Unklar war aber, wie die Leuchterblume diese Insekten anlockt und sie dazu bringt, in ihre Blüte hineinzukriechen. Die Forscher vermuteten, dass die sehr spezielle Ernährungsweise der Fliegen dafür eine Rolle spielen könnte. „Sie sind dafür bekannt, dass sie Bienen fressen, die von Spinnen gefangen wurden“, erklären Heiduk und ihre Kollegen. Weil sich die gefangene Biene nicht mehr wehren kann, können die Fliegen gefahrlos von ihren Körpersäften zehren und so wertvolle Proteine zu sich nehmen. Die Forscher haben nun untersucht, wie die Fliegen die Bienen in Not aufspüren – und ob die Leuchterblume möglicherweise diese Signale nachahmt.

Duft wie eine wehrlose Biene

Bei Beobachtungen von Bienen, die in Spinnennetzen hingen, stellten die Forscher zunächst fest, dass das gefangenen Insekt oft seinen Stachel ausfuhr und einen Tropfen Bienengift abgab. Von diesem Gift ist bekannt, dass es neben den Toxinen auch Alarmpheromone enthält. Diese Duftstoffe signalisieren den Artgenossen der Biene, dass Gefahr droht. Für ihre Studie analysierten Heiduk und ihre Kollegen dieses Bienensekret und verglichen seine Zusammensetzung mit den Duftstoffen der Leuchterblume. Dabei zeigten sich überraschend große Ähnlichkeiten: „Wir haben festgestellt, dass 60 Prozent der chemischen Verbindungen aus der Blüte mit denen übereinstimmten, die Europäische und Afrikanische Honigbienen bei Angriffen abgeben“, berichten die Forscher. „Die Mischung der von Ceropegia sandersonii abgegebenen Duftstoffe ist dadurch sehr ungewöhnlich für eine Blütenpflanze.“

Dieses Ergebnis legt nahe, dass die Leuchterblume den typischen Geruch einer angegriffenen Biene imitiert, um ihre Bestäuberfliegen anzulocken. Dass sich die Fliegen täuschen lassen, bewiesen Lockexperimente der Forscher. Dafür stellten sie die vier gemeinsamen Hauptkomponenten von Bienen- und Blütenduftstoff synthetisch her und boten Fliegen eine Mischung davon im Vergleich zu einer Kontrollflüssigkeit an. Tatsächlich flogen die Insekten zielsicher zur Lockstoffmischung und ließen sich dort nieder, wie Heiduk und ihre Kollegen beobachteten. „Das belegt, dass die Leuchterblumen die Alarmpheromone der Honigbienen nachahmen, um die kleptoparasitischen Fliegen als Bestäuber anzulocken“, sagt Dötterl. „Die Fliegen werden angelockt und erwarten eine Mahlzeit, doch statt eine angegriffene Biene zu finden, werden sie eingefangen und als Bestäuber missbraucht.“ Dies sei eines der ersten Beispiele für eine Pflanze, die zum Zweck der Bestäubung den Futtergeruch eines ausgewachsenen Fleischfressers nachahme.

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„Das Zusammenspiel von pflanzlichen und tierischen Organismen bei der Befruchtung verspricht noch viele spannende Entdeckungen, Täuschung und Betrug eingeschlossen“, sagt Heiduk. „Allein in der Gattung der Leuchterblumen gibt es rund 250 Arten, von denen wir wissen oder ahnen, dass sie Mimikry-Tricks einsetzen, um ihre Bestäubung sicherzustellen.“

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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