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Schlaf macht Traumatisches hartnäckiger

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Schlaf macht Traumatisches hartnäckiger
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Tagsüber gemachte negative Erfahrungen verfestigen sich während des Schlafens (Foto: ruigsantos/iStock))
Eine alte Weisheit besagt, dass man nicht mit Wut, Angst oder anderen negativen Gefühlen ins Bett gehen soll. Die Erklärung dafür liefern nun Hirnforscher: Wie sie feststellten, fällt es uns nach dem Schlafen schwerer, unangenehme Erinnerungen wieder zu verdrängen. Denn das Gehirn nutzt die Nacht, um diese Erfahrungen dauerhafter abzuspeichern und in die Hirnrinde zu übertragen. Das erschwert das nachträgliche Verblassen der Erinnerungen.

Schlaf ist lebenswichtig: Der Körper braucht Schlafphasen, um sich zu erholen und zu regenerieren. Während wir ruhen und unser Bewusstsein ausgeschaltet ist, macht unser Gehirn jedoch keineswegs Pause – im Gegenteil. Zum einen findet eine Art Großreinemachen statt: Während der Nacht werden Zellreste und molekulare Abfälle aus dem Gehirn ausgespült. Zum anderen aber sortiert unser Gehirn nachts all jene Dinge, die wir tagsüber gelernt haben und legt mit dem Abspeichern von Erinnerungen den Grundstein für neue Lernprozesse. Alte, nicht mehr benötigte Synapsenverbindungen werden gelöst, so dass Platz für Neues geschaffen wird. Gleichzeitig werden nach dem Schlafengehen neue Erkenntnisse ins Langzeitgedächtnis übertragen. Bisherigen Erkenntnissen nach geschieht dies, indem die Informationen vom Hippocampus, dem Arbeitsspeicher des Gehirns, in verschiedenen Speicherareale der Hirnrinde verschoben werden.

Doch es gibt Erfahrungen, die die meisten Menschen so schnell wie möglich wieder vergessen möchten – traumatische Erlebnisse, emotionale Verletzungen oder andere negative Erfahrungen. Vielen gelingt es, solche Erinnerungen zu verdrängen und zu vergessen. Andere Menschen jedoch durchleben im Geiste das traumatische Erlebnis wieder und wieder, ohne dass es verblasst, beispielsweise beim posttraumatischen Stresssyndrom (PTSD). Doch woran liegt es, dass manche negative Erinnerungen weniger leicht verblassen als andere? Das haben Yunzhe Liu von der Beijing Normal Universität und seine Kollegen in einer Reihe von Gedächtnis-Experimenten untersucht. Dafür prägten sich 73 Probanden zunächst Bildpaare ein, bei denen eines ein neutrales Gesicht zeigte, das andere ein negatives Ereignis. Anschließend zeigten die Forscher den Teilnehmern nur die neutralen Gesichter und baten sie, aktiv die Erinnerung an das verknüpfte Ereignis zu unterdrücken. Mittels funktioneller Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) verfolgten sie dabei die Hirnaktivität der Probanden, Leitfähigkeitsmessungen der Haut zeichneten ihre unwillkürliche emotionale Reaktion auf. Der Clou dabei: Eine Hälfte der Probanden führte die Verdrängungsaufgabe kurz nach dem Einprägen der Bilder durch, die anderer aber nach einer Nacht des Schlafens.

Unterdrückung fehlgeschlagen

Dabei zeigte sich: Die Teilnehmer, die kurz nach der Einprägephase erneut mit den Gesichtern konfrontiert wurden, konnten die damit verknüpften negativen Ereignisse besser verdrängen. Ihre unwillkürliche emotionale Reaktion fiel schwächer aus, wie die Leitfähigkeitsmessungen belegten. Gleichzeitig zeigten sich in ihrem Gehirn Aktivitätsmuster im Hippocampus, wie sie für ein aktives Unterdrücken von Erinnerungen typisch sind, wie die Forscher berichten. Anders dagegen die Teilnehmer, die zwischendurch eine Nacht geschlafen hatten: „Das Einschieben einer 24-stündigen Verzögerung machte die negativen Erinnerungen widerstandsfähiger gegen das Verdrängen“, berichten Liu und seine Kollegen. Dadurch reagierten diese Probanden stärker emotional auf die eigentlich neutralen Gesichter und in ihrem Gehirn fehlten die typischen Verdrängungssignale im Hippocampus. Dafür waren beim Versuch, die negativen Erinnerungen zu unterdrücken, mehrere Areale in der Hirnrinde aktiv, wie die Hirnscans zeigten.

„Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass die neu erworbenen Erinnerungen über Nacht auf verschiedene Regionen des Neocortex verteilt werden“, schlussfolgern die Forscher. „Das macht diese Erinnerungen widerstandsfähiger gegenüber einer Verdrängung durch die gängigen Hemm-Schaltkreise von Hippocampus und präfrontalem Cortex.“ Nach Ansicht von Liu und seinen Kollegen bestätigt dies, dass die eigentlich positive und wichtige Verarbeitung neuer Informationen während der Nacht im Falle von negativen Erlebnissen eher kontraproduktiv ist. Denn diese Gedächtnisinhalte können nun weniger gut verdrängt und unterdrückt werden als im frischen Zustand. Das Wissen um die entscheidende Rolle des Schlafes für traumatische Erinnerungen bietet aber auch Chancen: „So könnte zum Beispiel ein Schlafentzug unmittelbar nach traumatischen Erfahrungen verhindern, dass diese Erinnerungen in stabilere Form konsolidiert werden“, sagen Liu und seine Kollegen. „Das könnte dabei helfen, die Bildung traumatischer Erinnerungen zu blockieren.“ Für den Alltag bleibt der Rat: Wer am Tage etwas Unangenehmes erlebt hat, sollte vor dem Schlafengehen bewusst versuchen, es zu verarbeiten oder zu verdrängen. Das erhöht die Chance, das Geschehene vergessen zu können.

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Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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