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EIN GUTER VORTRAG: IN ZWIEBELSCHALEN

Allgemein

EIN GUTER VORTRAG: IN ZWIEBELSCHALEN
Immer wieder wird Wissenschaftlern vorgeworfen, dass sie sich in den Elfenbeinturm zurückziehen. Dabei ist das Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit weit besser geworden, wie der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Peter Gruss im bild der wissenschaft-Interview belegt.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess

Prof. Dr. Peter Gruss

ist seit 2002 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und seit 2008 Schirmherr des Klaus Tschira Preises für verständliche Wissenschaft. Gruss (Jahrgang 1949) wurde bereits mit 33 Jahren Professor für Mikrobiologie in Heidelberg. 1986 berief ihn das Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen zum Direktor der Abteilung für molekulare Zellbiologie. 1999 wurde er zusammen mit Herbert Jäckle von Bundespräsident Johannes Rau mit dem hochangesehenen Deutschen Zukunftspreis geehrt. Wenn Peter Gruss einmal nicht an die Max-Planck-Gesellschaft denken will, joggt und schwimmt er oder fährt Ski. Seine zweite Amtszeit läuft bis 2014.

bild der wissenschaft: Den Klaus Tschira Preis erhalten Wissenschaftler, die ihre Doktorarbeit anschaulich beschreiben können – und dies kurz und knapp. Kann auch der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft kurz und knapp schildern, was er macht?

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GRUSS: Der Präsident repräsentiert die Max-Planck-Gesellschaft und entwirft die Grundzüge der Wissenschaftspolitik der MPG, zum Beispiel bei der wissenschaftlichen Fortentwicklung der Gesellschaft etwa bei Neugründungen. Das geht natürlich nicht im Alleingang, sondern im Zusammenspiel mit den Wissenschaftlern und den unterschiedlichen Gremien. Damit der Organismus MPG funktionieren kann, muss er für die vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb der Gesellschaft sorgen. Daneben hat er zahlreiche weitere Aufgaben, die, plakativ gesprochen, überwiegend das Ziel haben, der Max-Planck-Gesellschaft eine auskömmliche Finanzierung und angemessene Forschungsrahmenbedingungen zu sichern.

bdw: Der Max-Planck-Präsident ist also kein Frühstücksdirektor?

GRUSS: Nein, wenn ich meinen Terminkalender anschaue, kann ich das mit Fug und Recht behaupten.

bdw: Welche Erinnerungen haben Sie an Ihren ersten Vortrag als Wissenschaftler, bei dem es auf Allgemeinverständlichkeit ankam?

GRUSS: Den Vortrag habe ich auf einer prominent angekündigten Veranstaltung in Genf gehalten. Er fand in einer Reihe statt, in der über eine Woche hinweg jeden Abend zwei bekannte Wissenschaftler vortrugen. Niemals zuvor und nachher habe ich mich so intensiv vorbereitet.

bdw: Warum?

GRUSS: Den Kollegen Ergebnisse zu vermitteln, ist deutlich einfacher als ein wissenschaftliches Thema so in einen Rahmen einzubinden, dass es zumindest gebildete Laien verstehen können. Trotz des Zeitaufwands hat mir die Arbeit Spaß gemacht. Nachher hatte ich das Gefühl, dass mein Vortrag gut angekommen ist.

bdw: Haben Sie sich als Wissenschaftler jemals in Richtung Öffentlichkeitsarbeit weitergebildet?

GRUSS: Nach einem wissenschaftlichen Auslandsaufenthalt war ich zunächst einmal Professor an einer Universität und musste unter anderem Allgemeine Mikrobiologie für Anfänger unterrichten. Dabei bekommt man schon ein Gefühl dafür, wie Material interessant aufbereitet werden kann. Für Presse und Fernsehen reicht das natürlich nicht. Hier musste ich weiter dazulernen. Ein formales Medientraining habe ich allerdings nie gemacht.

bdw: Bei der Klaus Tschira Stiftung könnten Sie das nachholen! Doch Spaß beiseite. Warum sind Sie beim Klaus Tschira Preis für verständliche Wissenschaft Schirmherr geworden? Solche Posten werden Ihnen gewiss zuhauf angetragen.

GRUSS: Schirmherrschaften suche ich mir gut aus und habe noch nicht viele angenommen. Beim Klaus Tschira Preis geht es aber um ein Feld, das für uns Wissenschaftler von essenzieller Bedeutung ist: die verständliche Vermittlung der Wissenschaft in breite Bevölkerungskreise. Wenn wir da heute erfolgreich sind, fällt das auf uns morgen wieder zurück. Denn wir werden nur dann Unterstützung für die Wissenschaft aus der breiten Bevölkerung gewinnen, wenn wir Akzeptanz für unsere Forschung schaffen können, das heißt die Bevölkerung mitnehmen, einbinden, Verständnis und Begeisterung wecken. Das ist eine Basis dafür, dass sich die Bundesrepublik Deutschland innerhalb der breiten internationalen Konkurrenz besser positioniert.

bdw: Welchen Stellenwert sollten Nachwuchswissenschaftler der Öffentlichkeitsarbeit beimessen?

GRUSS: In unserer medienbeherrschten Welt muss jeder zu jedweder Zeit in der Lage sein, sich und seine Forschung nach außen so zu vermitteln, dass gebildete Frauen und Männer verstehen, von was die Rede ist. Ich rate deshalb, schon frühzeitig damit anzufangen: zum Beispiel, indem man als Doktorand in Schulen geht, Vorträge hält und sich in der Darstellung übt. Wer vorne steht, bekommt rasch eine Antwort darauf, ob das ankommt oder ob die Augen nach hinten klappen. Hierzu haben wir sogar ein spezielles Programm: Jedes Jahr schwärmen im Rahmen unserer Hauptversammlung Max-Planck-Wissenschaftler aus, um an den Gymnasien Vorträge zu halten. In Mainz wurden in diesem Jahr in über 20 Gymnasien mehr als 80 Schulvorträge gehalten. Besonders gut kommen bei den Schülern junge Wissenschaftler an.

bdw: Was erwarten Sie von Ihren Direktoren?

GRUSS: Natürlich steht ein Direktor auch im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Er soll kompetent zu kontroversen Themen Stellung beziehen können – etwa zu Themen wie Stammzellen oder Grüne Gentechnologie.

bdw: Die Max-Planck-Direktoren werden berufen, weil sie in ihrer Disziplin weltweit an der Spitze sind. Welche Rolle spielt ihr öffentliches Auftreten bei der Berufung?

GRUSS: Natürlich zählt in erster Linie die wissenschaftliche Leistung. Doch viele dieser Wissenschaftler sind nur dorthin gekommen, weil sie ihre Leistung in enger Rückkopplung mit dem Wissenschaftsfeld gekonnt präsentiert haben. Es gibt eine Reihe von Direktoren, die wirklich Talent haben, Wissenschaft im öffentlichen Raum zu präsentieren. Das sehen Sie allein an unseren Veranstaltungen, wie dem immer gut besuchten Max-Planck-Forum hier in München. Da ist das Haus voll.

bdw: In solchen Foren geben Wissenschaftler meist einen Überblick. Bleibt die Frage, ob das, was sie aktuell erforschen, wirklich so dargestellt werden kann, dass es Außenstehende begreifen?

GRUSS: Das Geheimnis eines guten Vortrags ist das Zwiebelschalenmodell. Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, an welche Zielgruppe man sich wendet. Im ersten Ansatz wird man die Erkenntnis daher sehr allgemein formulieren – das ist quasi die äußere Schale. Man muss aber den Anspruch haben, sich im weiteren Verlauf des Vortrags zum Kern des aktuellen Wissens hin zu arbeiten und sich dabei eine Schale nach der anderen vornehmen. Das bedingt beim Vortragenden entsprechende Vorbereitungszeit und beim Zuhörer die intellektuelle Arbeit, dem Vortragenden folgen zu wollen. Und das heißt nichts anderes, als dass den inneren Kern oft nur wenige verstehen. Eine Reihe von Zuhörern wird nur bis zur einen oder anderen Schale folgen.

bdw: Inwieweit akzeptieren Politiker das Zwiebelschalenmodell, das sich bewusst von populistischen Formulierungen abgrenzt?

GRUSS: Bei Politikern muss man rasch zum Punkt kommen und die Grundprinzipien der Neuerung oder Änderung zügig darstellen. Wir müssen ihnen beispielsweise ohne Umschweife erklären, auf welchem Weg Stammzellen herzustellen sind oder nachweisen, warum allen anderen Aussagen zum Trotz bislang eben keine gesundheitlichen Gefährdungen durch transgenen – also gentechnisch modifizierten – Mais ermittelt wurden.

bdw: Sie sind seit 2002 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Hat sich die Stimmung der Politiker hinsichtlich Wissenschaft und Forschung verändert?

GRUSS: Ja. Als ich das Amt des Präsidenten übernahm, hatten wir in Deutschland bei Weitem nicht das parteiübergreifende Bewusstsein, dass die Zukunft unseres Landes erstens von einer Wissensgesellschaft abhängt. Und zweitens, dass diese Wissensgesellschaft nur über zusätzliche Förderung bei Bildung und Forschung zu erreichen ist. Der Hochschulpakt, die Exzellenzinitiative und der Pakt für Forschung haben viel bewirkt.

bdw: Was ist für die Max-Planck-Gesellschaft wichtiger – hervorragende Nachwuchsforscher zu beschäftigen oder mehr Geld zugewiesen zu bekommen?

GRUSS: Das eine bedingt das andere. Wir müssen einfach mehr Mittel bekommen, um auch mehr Nachwuchsforscher beschäftigen zu können. Würde die weitere Förderung bescheiden ausfallen oder gar zurückgehen, so müssten wir zwangsläufig bei Nachwuchsforschern einsparen. Sie sind befristet beschäftigt und diese Stellen können in finanziell knappen Zeiten nicht wiederbesetzt werden – mit verheerenden Auswirkungen. Denn wenn wir jungen Wissenschaftlern keine Perspektive bieten, werden sie ihre Karriere sicher nicht in Deutschland weiterverfolgen. Und das bei einer demografisch besorgniserregenden Entwicklung: Wir haben bis 2030 aufgrund der Veränderung in der Alterspyramide 50 000 Studienabgänger weniger als 2005!

bdw: Was muss man leisten, um bei der Max-Planck-Gesellschaft angestellt zu werden?

GRUSS: Sie müssen ein hohes Maß an Begabung für die Wissenschaft haben und sie müssen in Ihrem Forschungsfeld gut sein. Dann geht im Prinzip alles ganz von allein. Man fragt beispielsweise bei Herrn Müller, der an einem Max-Planck-Institut gute Forschung macht, ob man bei ihm seine Doktorarbeit schreiben kann.

bdw: Um einen Doktorgrad vergeben zu können, muss Herr Müller aber an einer Universität forschen und lehren …

GRUSS: … kein Problem. Wir unterhalten mit fast allen Universitäten gute Beziehungen. Rund 80 Prozent unserer habilitierten Wissenschaftler haben eine Professur an einer Universität. Und wir haben die International Max Planck Research Schools. Davon gibt es 54, in die über 2000 Doktoranden integriert sind. 60 Prozent davon kommen aus dem Ausland, was für die Attraktivität dieser Graduiertenschulen spricht. Sie werden von Universitäten und den jeweiligen Max-Planck-Instituten gemeinsam geführt und können problemlos Doktoranden ausbilden.

bdw: Nochmals konkret: Wie startet man seine wissenschaftliche Karriere bei der Max-Planck-Gesellschaft?

GRUSS: Der direkte Weg ist, sich seine Doktorarbeit bei den Max-Planck-Kollegen zu sichern, die dem Studierenden über das Hauptstudium bekannt sind. Eine andere Möglichkeit ist, während des Hauptstudiums konkret jene Wissenschaftler zu suchen, die in dem Gebiet, für das man sich wirklich stark interessiert, die Besten sind. Eigeninitiative kommt bei den Professoren gut an. Man sollte sich seine Weichenstellung gut überlegen. Ich habe meinen Doktoranden immer wieder gesagt: Überlegen Sie genau, wohin Sie wechseln. Wenn Sie da einen Fehler machen, müssen Sie eine Ehrenrunde drehen.

bdw: Kann man als Wissenschaftler sitzenbleiben?

GRUSS: Eine Ehrenrunde heißt hier: Wer während der Promotion in einem schwächeren Labor war, muss einen zusätzlichen Forschungsaufenthalt einschalten, um in ein Spitzengebiet reinzukommen.

bdw: Wer über ein Max-Planck-Forschungsthema promoviert, bleibt dann am besten gleich da?

GRUSS: Ganz im Gegenteil! In den Naturwissenschaften sollte sich ein Auslandsaufenthalt in einem guten Labor anschließen. Das müssen nicht die USA sein. Auch im europäischen Ausland, in Australien und in Japan gibt es hervorragende Forschungsstätten. Ein solcher Auslandsaufenthalt führt zu völlig neuen Erfahrungen. Wer so gerüstet ist, hat einen guten Überblick, wie das Geschäft der Wissenschaft wirklich läuft, und findet dann zu Hause oft eine ausbaufähige Position.

bdw: In den ausländischen Labors wird Englisch gesprochen, auch in deutschen Labors ist das immer häufiger der Fall. Wer sich tagtäglich nur noch auf Englisch ausdrückt, hat möglicherweise Probleme, seine Wissenschaft der deutschen Öffentlichkeit zu vermitteln. Stellen Sie da bereits Defizite fest?

GRUSS: Das Englisch, das man für seine Wissenschaft braucht, ist zunächst einmal ein fachspezifisches Vokabular und kann deshalb einfach sein. Aber wer längere Zeit im Ausland gearbeitet hat, braucht nach seiner Rückkehr in der Regel schon zwei, drei Vorträge, bis er seine Forschung wieder gut in seiner Heimatsprache präsentieren kann. Als ich nach viereinhalb Jahren USA-Aufenthalt wieder Vorträge auf Deutsch hielt, musste ich beispielsweise nach dem deutschen Wort für „spinal cord“ suchen, was bei uns schlicht Rückenmark heißt.

bdw: Unterstützen Sie Ihre Wissenschaftler dabei?

GRUSS: Es gibt Einrichtungen, beispielsweise unsere Research Schools, die das Erstellen von Präsentationen und das adressatenbezogene Verfassen von Texten anbieten.

bdw: Welchen Stellenwert hat die Auszeichnung mit dem Klaus Tschira Preis bei der Max-Planck-Gesellschaft?

GRUSS: Das ist ein wichtiger Teil im Curriculum. Bei einer Bewerbung schaut man natürlich besonders genau auf den Teil „ Preise und Ehrungen“. Wenn man sieht, dass da jemand für verständliche Wissenschaft ausgezeichnet worden ist, erzeugt das eine positive Grundstimmung.

bdw: US-Forscher seien bessere Wissenschaftskommunikatoren, heißt es häufig. Können Sie das bestätigen, Herr Gruss?

GRUSS: Der öffentlichkeitswirksame Auftritt hat dort einen anderen Stellenwert. In den USA wird oft schon in der Vorschule verlangt, dass sich die Kleinen vor ihrer Gruppe präsentieren – mit Stücken, Spielen, Liedern. Das fördert das Bewusstsein für den öffentlichen Auftritt. Es wäre schön, wenn dieses Auftreten auch in unseren Schulen stärker geübt würde.

bdw: Anfang Oktober eines jeden Jahres werden die neuen Nobelpreisträger bekannt gegeben. Christiane Nüsslein-Volhard sowie 16 männliche Forscher der Max-Planck-Gesellschaft haben diese höchste wissenschaftliche Auszeichnung bisher erhalten. Während Ihrer Amtszeit konnten Sie mit Theodor Hänsch und Gerhard Ertl bereits zwei Preisträger persönlich beglückwünschen. Steigt in dieser Zeit der Blutdruck des Präsidenten?

GRUSS: Nein, der bleibt normal. Natürlich erwarte ich die Bekanntgabe mit Interesse. Man braucht ein Forschungsplateau, das hoch genug ist, um einen Nobelpreis zu erreichen. Wann die Auszeichnung kommt, ist aber nicht vorhersehbar. In unseren Instituten haben wir eine Reihe von Leuten, die diesen Preis verdienen. Deshalb bin ich optimistisch, dass es auch in Zukunft den einen oder die andere von uns treffen wird.

bdw: Sie behaupten damit, dass die meisten Max-Planck-Institute in der Weltliga ganz vorne spielen?

GRUSS: Das sagen zumindest unsere wissenschaftlichen Fachbeiräte, die zu 80 Prozent aus dem Ausland stammen und sich aus Nobelpreisträgern und anderen Wissenschaftlern erster Güte zusammensetzen. ■

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