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DER STAMMBAUM DES LACHENS

Allgemein

DER STAMMBAUM DES LACHENS

Elke Zimmermann und ihre Kollegen Michael J. Owren und Marina Davila Ross haben Aufzeichnungen vom Gelächter gekitzelter Affen- und Menschenkinder miteinander verglichen. Durch eine genaue Analyse der akustischen Eigenschaften entstand dieser Stammbaum: Demnach gab wohl bereits der gemeinsame Vorfahr von Menschenaffen und Menschen beim Kitzeln charakteristische Laute von sich. Beim Orang-Utan klingt das Kichern wie Schnarchen, beim Gorilla enthält es viele Vibrationen, beim Schimpansen und Bonobo sind die Lachsalven länger. Beim Menschen kommt die besondere Stimmqualität hinzu, die mit der Sprachentwicklung einhergeht. Außerdem lachen Menschen nicht nur beim Spielen, sondern auch in vielen anderen sozialen Situationen.

KITZEL MICH!

Zu Klauen geformt streckt ein Pfleger drohend seine Hände aus. Er wartet kurz. Dann schlägt er zu. Ruckartig lässt er seine Finger über das Fell des Gorillas sausen, der vor ihm am Gitter seines Geheges sitzt. Das massige Tier stößt ein abgehacktes Hecheln und Röcheln aus – das Maul aufgerissen, die untere Zahnreihe entblößt. Und streckt dann seine Fußsohle vor, um eine neue Kitzelattacke zu empfangen.

Elke Zimmermann beobachtet die Szene an ihrem Bildschirm und lächelt. Die zierliche Frau mit den halblangen, lockigen Haaren ist die Direktorin des Instituts für Zoologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover und hat in den vergangenen Jahren oft dabei zugesehen, wie Gorillas und andere Menschenaffen gekitzelt wurden. Zusammen mit der Biologin Marina Davila Ross, die heute an der britischen University of Portsmouth arbeitet, und dem Psychologen Michael J. Owren von der US-amerikanischen Georgia State University erforschte sie die Lautäußerungen von jungen Gorillas, Schimpansen, Bonobos und Orang-Utans während einer Kitzelattacke. „Es war gar nicht so einfach, geeignete Lautproben zu erhalten“, erklärt Zimmermann, die auch als Sprecherin der Gruppe „Akustische Kommunikation von Affekten bei nonhumanen Säugetieren und dem Menschen“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft fungiert. „An Menschenaffen kommt man ja nicht so leicht heran.“

Deshalb suchten Zimmermann und ihre Kollegen fast zehn Jahre lang nach Menschenaffen-Kindern, die in Aufzucht-Stationen von Hand großgezogen wurden. Fündig wurden sie unter anderem in Zoos in Berlin, Stuttgart und München sowie im Sepilok Orang Utan Rehabilitation Center in Malaysia. Insgesamt 21 junge Menschenaffen ließen die Forscher für die Wissenschaft wieder und wieder kitzeln – von Pflegern, die den Tieren vertraut waren. Am Ende hatten die Forscher von allen vier Primaten-Gattungen über 100 Lautäußerungen auf Band.

ScHnarchen, RÖHREN, HECHELN

Das Ergebnis war eindeutig: Werden Orang-Utan, Gorilla, Schimpanse oder Bonobo gekitzelt, lachen sie. Doch anders als bei kleinen Kindern, die in regelmäßigen Salven kichern, klingt das Lachen der Menschenaffen hechelnd und wenig tonal. Man muss schon genau hinhören, um bei unseren nächsten Verwandten einen Lacher auszumachen: Bei Orang-Utans etwa klingt das Kichern eher wie ein Schnarchen oder Röhren. Schimpansen hecheln nach einer Kitzelattacke, die Äußerungen sind rhythmisch und strukturiert, ähnlich wie bei Bonobos. Die kichernden Menschenaffen reihen sich ein in eine immer größer werdende Gruppe von Tieren, bei denen Wissenschaftler Kitzellachen nachgewiesen haben. Bereits 1997 kam der Psychologe Jaak Panksepp von der Bowling Green State University in den USA auf die Idee, Laborratten zu kitzeln, nachdem er gemerkt hatte, dass taube Ratten weniger spielen als hörende. Er vermutete, dass die Nager beim Spiel Laute äußern, die für Menschenohren – und für taube Artgenossen – nicht wahrnehmbar sind. Er behielt recht. Wurden junge Ratten am Bauch gekitzelt, stießen sie für Menschen unhörbare Töne im Bereich von 50 Kilohertz aus, die Panksepp mit einem hohen Zirpen vergleicht.

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Auch Hunde scheinen Studien zufolge lachen zu können. Und Elke Zimmermann wurden Videos vorgeführt, auf denen sogar Flughunde, die mit den Fledermäusen verwandt sind, nach einer Kitzelattacke zu lachen scheinen. So unterschiedlich die Tiere sind, gemeinsam ist allen: Gelacht wird in der Regel beim Spiel. „Die Aufforderung zum Spiel scheint die ursprüngliche Funktion des Lachens zu sein“, sagt Elke Zimmermann. Bei den Menschenaffen, die sie untersucht hat, lief dies meist folgendermaßen ab: Ein junges Tier zeigt seinem Gegenüber das sogenannte Spielgesicht. Der Mund ist aufgerissen, die untere Zahnreihe entblößt, die Mundwinkel sind leicht nach oben gezogen. „Dieses Spielgesicht löst beim Gegenüber ebenfalls ein Spielgesicht aus, es ist ansteckend“, sagt Zimmermann.

DARWIN HAT’S GEAHNT

Diese Reaktion ist der Startschuss für ein wildes Gerangel, bei dem die Forscher oft Mühe hatten zu verfolgen, welches Tier in dem Knäuel aus zappelnden Armen und Beinen gerade gekitzelt wird. In diesen Situationen zeichneten die Forscher das Lachen der Tiere auf. Dabei machten sie eine erstaunliche Entdeckung. Zimmermann verglich die Lautäußerungen der Tiere mithilfe von Sonagrammen auf ihren Frequenzverlauf, überprüfte Unterschiede und Ähnlichkeiten bei der Abfolge von hohen und tiefen Tönen, der Rhythmik oder den Lautmelodien. Dann verglich sie die Ergebnisse mit den Sonagrammen von lachenden Menschenbabys. Diese Parameter übertrug sie in eine Art „Lachstammbaum“ (siehe Grafik rechte Seite, „Der Stammbaum des Lachens“) – und belegte damit eine These, die schon Charles Darwin aufgestellt hatte: Kitzeln, vermutete er in seinem Buch „Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren“, sei der Ursprung allen Humors.

Ob Tiere aber auch Humor haben, konnte bislang nicht überprüft werden. Die meisten Forscher glauben, dass selbst Menschenaffen hierfür die kognitiven Fähigkeiten fehlen. Eine Anekdote aus dem Zoo im niederländischen Arnhem aber macht zumindest stutzig: Um Verhaltensforschern, die zu Besuch waren, ein Beispiel für die Kooperation von Schimpansen unter dem Eindruck von Gefahr zu vermitteln, versteckte sich ein Pfleger in einem Gebüsch des Schimpansengeheges. Vor dem Gesicht trug er eine Leopardenmaske. Als er plötzlich aus dem Busch hervorlugte, geriet die Gruppe, wie erwartet, in helle Aufregung. Die Tiere schrien und warfen Stöcke nach dem Eindringling. Weil die geplante Demonstration damit zu Ende war, zog der Pfleger die Maske ab und stand auf. Da kam die Überraschung: Eine ältere Schimpansendame schaute auf den Pfleger, den sie gut kannte, dann auf die Gruppe am Rand des Geheges – und zeigte plötzlich ihr Spielgesicht, wie um zu sagen: Hey, ihr habt mich erwischt, das war ein guter Witz! ■

von Tanja Krämer

KOMPAKT

· Alle vier Menschenaffenarten lachen, wenn sie gekitzelt werden.

· Auch andere Tiere, zum Beispiel Ratten und Hunde, können lachen.

· Die Fähigkeit zu lachen ist mindestens 16 Millionen Jahre alt.

LACHEN ODER LÄCHELN?

Verließe man sich allein auf die Sprache, so wäre es eindeutig: Lächeln ist die kleine Form des Lachens. Im Französischen etwa sagt man „rire“ und „sourire“, was so viel heißt wie „unter-lachen“. Im Niederländischen spricht man von „ lachen“ und „glimlachen“, also vom Lächeln als einer Art Aufglimmen von Lachen. Doch die Wissenschaftler sind sich nicht sicher, ob beide Ausdrücke tatsächlich einen gemeinsamen Ursprung haben. Denn während das Lachen mit weit geöffnetem Mund und einer sichtbaren unteren Zahnreihe bei Primaten grundsätzlich in Spielsituationen auftritt, wird ein Ausdruck, der unserem Lächeln ähnelt, oft in Situationen der Unterordnung genutzt, um Aggressionen abzuwehren.

Ein typisches Beispiel sei der Streit um Früchte bei Makaken, schreibt der inzwischen pensionierte Primatenforscher Jan van Hooff von der Universität Utrecht. Wenn das überlegene Tier eine Drohung ausstoße, antworte der unterlegene Affe häufig , indem er still die Lippen schürze und bei geschlossenen Kiefern die Zähne zeige. „Das ist ein Ausdruck der Furcht“, erklärt van Hooff. „Man könnte es etwa übersetzen mit: Bitte, greif mich nicht an. Ich habe Angst vor dir und werde mich dir nicht widersetzen.“

Doch wie passt dieser Ausdruck zu unserer menschlichen Form des Lächelns als einem Ausdruck der Freude oder zumindest der Freundlichkeit? Für Jan van Hooff gibt es eine Verbindung: Er entdeckte, dass Makaken auf der indonesischen Insel Sulawesi das Lächeln auch als Friedensangebot einsetzen – etwa dann, wenn ein Männchen sich einem Weibchen nähern will. Van Hooff ist überzeugt: „Von hier ist es nur ein kurzer Weg zu einer freundlichen Bedeutung wie: Keine Angst, ich bin dir nicht feindlich gesonnen, sondern ich mag dich.“

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