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IQ – Das Mass aller Dinge

Allgemein

IQ – Das Mass aller Dinge
Trotz aller Unkenrufe hat sich das Konzept des Intelligenzquotienten bewährt. Was die Wissenschaftler dabei genau messen, wissen sie aber immer noch nicht.

In New York zahlen Familien bis zu 500 Dollar pro Stunde an private Tutoren, damit sie ihren Sprössling auf den SAT (Scholastic Assessment Test) vorbereiten. Über zwei Millionen angehende Studenten unterziehen sich jährlich diesem Test. Er entscheidet mit darüber, ob der Aspirant an einer Elite-Uni oder an einem wenig prestigeträchtigen College irgendwo im Ländlichen landet. Über 100 Millionen Dollar setzt die so genannte Testvorbereitungs-Industrie im Jahr um. Der schicksalhafte Test misst hauptsächlich Intelligenz. Auf der anderen Seite hat sich eine Parallel-Industrie von Kritikern etabliert. Sie mokieren sich über jeden Versuch, den menschlichen Geist auf eine einzige Zahl zu reduzieren, den berühmt-berüchtigten Intelligenz-Quotienten (IQ). Bei den Medien und ihren Konsumenten finden die Attacken so viel Widerhall, dass Intelligenz inzwischen weithin als veraltetes Konzept gilt. Ex-Anglistik-Professor Dietrich Schwanitz klärt über den angeblichen „Wandel in der Begabungs- und Intelligenzforschung” auf: „Der zentralistische IQ wurde zerlegt in verschiedene Intelligenzkomponenten, die als recht unabhängig voneinander gedacht werden.” Viele Intelligenzen soll es also geben. Das zeigt Toleranz, denn so haben auch die eine Chance, bei denen es mit der althergebrachten Intelligenz eher hapert. Howard Gardner, Psychologe in Harvard und Gewährsmann von Schwanitz, hat inzwischen acht Intelligenzen im Angebot – von der klassischen sprachlichen über die musikalische bis zur naturkundlichen Intelligenz. Psychologie-Professor Robert Sternberg von der Universität Yale wiederum hält in seinem Buch die „ Erfolgsintelligenz” feil. Allerdings: Bei der Mehrzahl der Intelligenzforscher haben beide einen schweren Stand (siehe Kasten „Viele Intelligenzen”). Der neueste Hit ist die als Bestseller gehandelte „Sexuelle Intelligenz” der Bostoner Psychologie-Professoren Sheree Conrad und Michael Milburn, über die selbst das deutsche Magazin Focus mit ironischem Unterton berichtete – was einer Titelstory natürlich nicht im Weg stand. In der Wissenschaft dagegen feiert die klassische, einheitliche Intelligenz Triumphe. Vor fast hundert Jahren postulierte der britische Psychologe Charles Spearman den so genannten g-Faktor (g=generelle Intelligenz). Mit ihm erklärte Spearman seine Entdeckung, dass auch bei anscheinend völlig unterschiedlichen Intelligenz-Aufgaben immer wieder dieselben Leute besonders gut abschnitten. Sein zumindest auf den ersten Blick simpler g-Faktor wurde selbst in psychologischen Lehrbüchern schon oft tot gesagt. Doch das war verfrüht. Der g-Faktor ist „am Leben und wohlauf”, stellt der Berkeley-Psychologe Arthur Jensen fest. Anders als in populären testkritischen Büchern behauptet wird, hat sich der IQ bewährt, wenn für eine offene Stelle der fähigste Bewerber auszuwählen ist. Die wissenschaftlichen Belege für Maße der generellen Intelligenz sind „stärker als für jede andere Methode” , bilanzieren Frank Schmidt von der Universität Iowa und John Hunter von der Michigan State University. Die beiden Psychologen haben in breit angelegten Studien die Daten von über 32000 Arbeitnehmern aus gut 500 Berufen ausgewertet. Schlichte Intelligenztests sagten mit einer Korrelation von 0,51 den späteren Berufserfolg sogar besser vorher als etwa aufwändige Assessment-Center (0,37). Bei denen schwitzen vor allem Manager in Gruppendiskussionen oder simulierten Entscheidungssituationen. Kaum eine deutsche Firma will ihren zukünftigen Führungskräften hingegen Intelligenztests zumuten. Doch die Zahlen von Schmidt und Hunter beweisen, dass die Intelligenz gerade bei anspruchsvollen Berufen über den Erfolg entscheidet. Es gibt nur ein Problem: Was eigentlich ist Intelligenz? Eine radikale Definition besagt, Intelligenz sei das, was der Intelligenztest misst. Doch damit mochten sich die Psychologen nie zufrieden geben. Schon im Jahr 1911 klagte ein Schüler Spearmans, die Macher von Tests „wissen nicht, was diese Tests messen oder bedeuten”. Bereits früh kam der Verdacht auf, die Wurzeln der Intelligenz könnten in der menschlichen Biologie liegen. Für den englischen Philosophen Thomas Hobbes war Intelligenz die Geschwindigkeit, mit der Gedanken aufeinander folgen. Francis Galton, ein Vetter von Charles Darwin, tippte Ende des 19. Jahrhunderts auf die Wahrnehmung. Intelligentere Menschen könnten beispielsweise Farben, Töne und Gewichte feiner unterscheiden. Galton fühlte sich bestätigt, als sich von ihm untersuchte Wollsortierer, Teekoster und Klavierstimmer als kluge Leute entpuppten. Mit weit modernerer Methodik begab sich ein gutes Jahrhundert später ein Team um die Gehirnforscher John Duncan in Cambridge und Rüdiger Seitz in Düsseldorf auf die Spuren der Intelligenz: Mithilfe der Positronen-Emissions-Tomographie beobachteten sie, welche Teile des Gehirns aktiv werden, wenn Versuchspersonen Aufgaben lösen, die hohe Anforderungen an die generelle Intelligenz stellen. Als Vergleich dienten äußerlich ähnliche Aufgaben, bei denen der g-Faktor jedoch keine große Rolle spielte. Die so entstandenen Bilder enthüllen eine „ neuronale Basis für die generelle Intelligenz”, wie die Wissenschaftler stolz ihren Bericht im Wissenschaftsmagazin „ Science” überschrieben: Immer dann, wenn der g-Faktor ins Spiel kam, leuchtete eine bestimmte Region im seitlichen Stirnlappen auf. Auch andere Befunde deuten auf biologische Grundlagen der Intelligenz, etwa den Einfluss der Ernährung in der Kindheit. Je ausdauernder Babys gestillt werden, desto intelligenter sind sie demnach mit fünf Jahren. Länger als ein halbes Jahr gestillte Kinder schaffen im Schnitt sechs IQ-Punkte mehr als jene, die höchstens drei Wochen die Mutterbrust bekamen. Das zeigt eine neue Studie des Mater Hospital im australischen Brisbane. Denkbare andere Erklärungsfaktoren wie die Bildung der Mutter wurden dabei herausgerechnet. Selbst die unterschiedlichen Gehirnstärken von Männern und Frauen gehen laut Studien nicht nur auf die Erziehung und andere gesellschaftliche Ursachen zurück. Der durchschnittliche Mann kann eine geometrische Figur besser in Gedanken drehen als drei Viertel der Frauen. Die Durchschnittsfrau hingegen übertrumpft mindestens so viele Männer, wenn es gilt, schnell auf Worte zu kommen. Doch die Fähigkeiten schwanken im Rhythmus der Hormone. Bei Männern funktioniert das räumliche Vorstellungsvermögen am besten morgens, wenn der Testosteronspiegel hoch ist. Bei Frauen werden typisch weibliche Fähigkeiten im Laufe des Menstruationszyklus unter dem Einfluss weiblicher Hormone stärker. Bekommen weibliche Transsexuelle zur Vorbereitung auf eine Geschlechtsumwandlung männliche Hormone, verbessert sich binnen drei Monaten ihr räumliches Vorstellungsvermögen drastisch. Dagegen fallen ihnen Worte längst nicht mehr so schnell ein. In der Summe sind Frauen und Männer jedoch gleich intelligent – was chauvinistische männliche Forscher vergangener Jahrhunderte allerdings bezweifelten. Daher passte es gut in ihr Weltbild, dass Frauen kleinere Gehirne als Männer haben. Denn die männlichen Vordenker waren überzeugt, dass mehr Intelligenz ein größeres Gehirn brauche. Das versuchten sie zu beweisen, indem sie in die Schädel Verstorbener Füllmaterial rinnen ließen. Das so ermittelte Volumen verglichen sie dann mit der mutmaßlichen Intelligenz des Verblichenen. Viel heraus kam dabei allerdings nicht. Der britische Statistiker Karl Pearson hielt Anfang des 20. Jahrhunderts fest: „Wir können nicht Landarbeiter und Männer der Wissenschaft vergleichen und dann triumphierend auf große Unterschiede im Volumen ihrer Köpfe als Belege gewaltiger intellektueller Unterschiede verweisen.” Das blieb bis 1991 Stand der Erkenntnis und passte gut zu den neuen aufgeklärten Zeiten, in denen auch Frauen Intelligenz zugebilligt wird. Dann kam ein neues bildgebendes Verfahren, die Magnetresonanztomographie. Sie machte es auf einmal möglich, die Hirngröße Lebender direkt zu bestimmen, statt sie grob irgendwie aus der Schädelgröße zu erschließen. Auf einmal erwiesen sich Menschen mit mehr Hirn doch als deutlich intelligenter. Besonders wichtig ist wiederum der Stirnlappen. Die Größe seine grauen Masse erklärt ungefähr 20 Prozent der Intelligenzunterschiede zwischen den Menschen, meint der Neurologie-Professor Paul Thompson von der Universität Kalifornien in Los Angeles. Im Fachblatt „Nature Neuroscience” wies er vor wenigen Monaten mit einer Zwillingsstudie obendrein nach: Die Größe der für die Intelligenz entscheidenden Hirnregionen wird stark von den Genen bestimmt. Aber wie können Frauen dann genauso intelligent sein, wo sie doch nach einer Schätzung über durchschnittlich vier Milliarden Gehirnzellen weniger verfügen? Offenbar ist für die Intelligenz nicht die schiere Masse der Hirnzellen entscheidend, sondern etwas anderes. Der Psychologe Dennis Garlick von der Universität Sydney hat vor kurzem im angesehenen Fachblatt „Psychological Review” eine neue Theorie darüber vorgestellt, was die wahre Grundlage „jener als Intelligenz bekannten mysteriösen Eigenart” sein könnte: Die Fähigkeit der Nervenzellen, aufgrund von Erfahrungen mit der Außenwelt neue Verknüpfungen zu bilden. Laut Garlick unterscheiden sich die Menschen in dieser Fähigkeit ihrer Nervenzellen, und darum werden sie unterschiedlich intelligent. Die neue Theorie bietet elegante Erklärungen für viele unbestrittene, aber unverstandene Phänomene der Intelligenz. So wäre das größere Hirnvolumen intelligenter Menschen lediglich eine Begleiterscheinung der vielen Verknüpfungen zwischen ihren Nervenzellen. Die aber finden bei Bedarf auch auf kleinerem Raum Platz: Bei Frauen sind die Hirnzellen dichter gepackt. Auf einmal wäre auch klar, warum es überhaupt einen g-Faktor gibt: Ein flexibles Gehirn entwickelt sämtliche geistigen Fähigkeiten besonders gut, die im Leben normalerweise gefragt sind. Spezielle Fähigkeiten entstehen nur bei einzelnen Menschen, die besondere Lernerfahrungen machen. Garlicks Ansatz löst sogar ein Paradox, das die Intelligenzforscher in den vergangenen Jahren umtrieb. Einerseits beweisen Zwillingsstudien, dass Intelligenz zu großen Teilen erblich ist. Andererseits nimmt sie aber weltweit zu – jede Generation weist stolze 10 bis 20 IQ-Punkte mehr auf als ihre Eltern. Dies ist der Flynn-Effekt, benannt nach dem neuseeländischen Politikwissenschaftler James Flynn, der ihn entdeckt hat. Wie lässt sich beides vereinbaren? Steigt vielleicht gar nicht die wirkliche Intelligenz, sondern kommen die Leute nur besser mit Tests klar? Zu dieser Annahme neigte anfangs auch Flynn. Doch inzwischen glaubt er, dass die Zuwächse „ real und von sozialer Bedeutung sind”. Allerdings warnt er vor der Hoffnung, sämtliche Schulanfänger würden wie Hochbegabte brillieren. Andere Psychologen wollen bereits im wirklichen Leben Indizien für eine Zunahme der Intelligenz gefunden haben. Robert Howard von der Universität Sydney verweist auf die Ergebnisse von Schach-Meisterschaften, wo eindeutig Intelligenz verlangt ist. Ein jüngster Großmeister aller Zeiten nach dem anderen löst seinen Vorgänger ab. Das Durchschnittsalter der weltbesten 50 Spieler sank von 38 in den siebziger Jahren auf 29 anno 1995. Der Anteil der unter 25-Jährigen verdoppelte sich. Das Paradox löst sich jedoch auf, falls sich die Einflüsse der Vererbung und der Umwelt gegenseitig hochschaukeln. Das ist inzwischen Flynns These, und ähnlich sieht es auch Garlick. Die Vermutung: Wenn die Umwelt etwa dank besserer Schulen oder gesünderer Nahrung mehr Möglichkeiten für die geistige Entwicklung bietet, profitieren vor allem die begabten Kinder. Sie nutzen das Denkfutter, und die Nerven in ihren Gehirnen verzweigen sich eifrig. Umwelteinflüsse verhelfen also den Genen zum Durchbruch – der Widerspruch zwischen beiden verschwindet.

Kompakt

IQ-Tests sagen den beruflichen Erfolg besser voraus als viele andere Einstellungstests. Der IQ steigt von Generation zu Generation. Das Wechselspiel von Genen und Umwelt treibt ihn in die Höhe. Bei Männern und Frauen ändern sich die Intelligenzleistungen mit dem Hormonspiegel. Viele Intelligenzen – Für Jeden was dabei

Manchmal ist Howard Gardner schon schockiert, was er mit seiner Theorie der multiplen Intelligenzen angerichtet hat. „Ich habe Klassen gesehen, in denen die Kinder dazu ermuntert wurden, mit den Armen zu fuchteln oder im Kreis herumzulaufen, in der Annahme, solche Übungen förderten die Körperintelligenz.” Das glaubt nicht einmal Gardner. Während Pädagogen Gardners Ideen gerne aufgreifen, halten die meisten Psychologen von seiner ganzen Theorie nicht viel. Nicht weniger als sieben Intelligenzen propagiert er seit fast 20 Jahren: Neben der sprachlichen, räumlichen und logisch-mathematischen auch noch eine musikalische, eine interpersonale („andere verstehen”), eine intrapersonale („sich selbst verstehen”) und eben eine körperliche Intelligenz. Vor einiger Zeit kam auch noch die naturkundliche Intelligenz dazu, die Menschen wie Charles Darwin auszeichnen soll. Kritiker finden die Sammlung sehr willkürlich. Als Parodie schlug das Internet-Magazin „Slate” bereits eine kulinarische Intelligenz vor. Experten bemängeln die fehlende wissenschaftliche Untermauerung. Gardners Belege hätten „kaum einen vorläufigen Screening-Ausschuss für eine Examensarbeit in Psychologie erfolgreich passiert”, höhnte das Fachblatt „ Contemporary Psychology”. Selbst der Gardner eher freundlich gesinnte Robert Sternberg mahnte schon Beweise für dessen Thesen an. Die vermissen Kollegen allerdings auch bei Sternbergs eigener Theorie. Sternberg postuliert neben der generellen Intelligenz eine kreative und eine praktische Intelligenz. Angeblich dank letzterer verfiel beispielsweise ein Müllmann darauf, nicht mehr jede Tonne an ihren ursprünglichen Platz zurückzuschieben, sondern sie gegen die nächste volle und ansonsten identische auszutauschen, was einen Weg spart. Beobachtet wurde er dabei von Sternbergs damaligem Studenten und heutigem Ko-Autor Richard Wagner, dem diese Lösung trotz mutmaßlich höherer genereller Intelligenz nicht einfiel. Viel mehr als solche hübschen Geschichten hat Sternberg allerdings nicht zu bieten. In einem Verriss von Sternbergs jüngstem Werk lästert die Intelligenz-Forscherin Linda Gottfredson von der Universität Delaware: „Die stolzen Behauptungen des Buchs schweben praktisch frei von jeder empirischen Absicherung.”

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