Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Deutsches Sprach, schweres Sprach

Allgemein

Deutsches Sprach, schweres Sprach
Das sprachliche Niveau vieler wissenschaftlicher Arbeiten ist eine Zumutung, sagt Prof. Hans-Wolfgang Arndt. Ein Preis für stilistisch herausragende Arbeiten soll dem entgegenwirken.

Prof. Hans-Wolfgang Arndt ist seit Sommer 2001 Rektor der Universität Mannheim mit 12000 Studierenden. Der gebürtige Prager (Jahrgang 1945) promovierte 1972 in Bochum zum Dr. jur. 1980 wurde Arndt Professor in Konstanz, seit Oktober 1983 arbeitet er in Mannheim, wo er sich seit 1985 sehr stark in der akademischen Selbstverwaltung der Universität engagiert (zwei Amtszeiten als Prorektor, eine als Dekan der Fakultät für Rechtswissenschaften). Arndt ist Sachverständiger des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags und Mitautor des Karlsruher Entwurfs zur Reform des Steuerrechts. Sein Augenmerk auf eine präzise und verständliche Sprache kennt an der Universität Mannheim fast jeder.

bild der wissenschaft: Im Herbst verleiht die Universität Mannheim erstmals einen Preis für sprachlich brillante Forschungsarbeiten. Warum dies, Herr Prof. Arndt?

Arndt: Die akademischen Welt und die übrige Öffentlichkeit driften auseinander. Doktorarbeiten werden nicht mehr zur Kenntnis genommen – selbst wenn sie vorzüglich sind. Das liegt mit daran, dass die Bedeutung einer ausdrucksstarken Sprache von Wissenschaftlern unterschätzt wird. Viele Doktoranden bemühen sich bei ihren Dissertationen überhaupt nicht um sprachliche Brillanz. Was mir in den 20 Jahren meiner Arbeit als Gutachter für Dissertationen oder Habilitationsschriften an Verkrampfungen begegnet ist, an Wortungetümen oder an verqueren Sätzen hätte ich nie für möglich gehalten. Mehr noch: Sehr oft musste ich selbst den roten Faden herausarbeiten, der es dem Leser leicht macht, einer Argumentationskette zu folgen. Ich schätze, dass ich 60 Prozent meiner gutachterlichen Arbeitszeit damit zubringe, wissenschaftlich gute Dissertationen auch sprachlich auf Niveau zu bringen.

bdw: Hat sich das sprachliche Niveau in den 20 Jahren verschlechtert?

Anzeige

Arndt: Ich gehöre nicht zu denen, die behaupten, um die sprachliche Ausdrucksfähigkeit sei es schlechter bestellt als damals. Das Problem ist mir bereits vor 20 Jahren begegnet.

bdw: Welche Probleme müssen vordringlich angegangen werden?

Arndt: Ich sehe zwei Gefahren. Die eine ist die Sprachverschlampung, wenn man sich nicht mehr um den besten Ausdruck bemüht, um die Gedanken nach außen zu bringen. Die zweite ist eine zu breite Darstellungsform. Nicht zuletzt dank des PC werden die Dissertationen umfangreicher, weil man ja dieses oder jenes mühelos in einen bestehenden Text einweben kann. 200 Seiten sind genug – auch um gute Gedanken darzulegen, Habilitationsschriften von 1000 oder mehr Seiten Umfang dringen nicht mehr nach draußen. Die Wirtschaft nimmt das nicht an – oder wer auch immer an neuer Erkenntnis interessiert ist.

bdw: Mehr denn je ist Englisch die Umgangssprache der Wissenschaften. Warum – so denken sicher viele junge Wissenschaftler – sich also noch mit sorgsam ausgewählten einprägsamen deutschen Formulierungen aufhalten?

Arndt: Noch werden an der Universität Mannheim die meisten Dissertatio-nen in deutscher Sprache verfasst. Eine überdurchschnittliche, gleichwohl nachvollziehbare Ausdrucksfähigkeit in der deutschen Sprache gehört für mich zur Grundausstattung eines Wissenschaftlers. In Großbritannien oder den USA, wo ich viel unterrichte, ist es das Höchste, komplexe wissenschaftliche Gedanken sprachlich klar, eindeutig und präzise darzustellen. Ich selber bin Rechtswissenschaftler und als solcher der Auffassung, dass eine verständliche Ausdrucksform das A und O ist, um sich mitzuteilen. Gerade die Rechtswissenschaften bauen auf gesundem Menschenverstand auf und müssen überzeugen. Überzeugen kann ich nur mit klarer Sprache.

bdw: Warum bringen es die Angelsachsen besser fertig, Komplexes einfach zu formulieren?

Arndt: Ich bin mir sicher, dass man Wissenschaft auch auf Deutsch spannend vermitteln kann – selbst in einer scheinbar drögen Materie wie dem Steuer- oder Staatsrecht. Doch an was arbeitet der typische deutsche Doktorand? Daran, seine zwei Gutachter zu befriedigen und ihre Werke häufig zu zitieren. Die wenigsten deutschen Doktoranden haben das Interesse, mit ihrer Arbeit etwas in der Gesellschaft bewirken zu wollen. Amerikanern ist das sehr viel wichtiger. Deshalb arbeiten sie in ihren Darstellungen ungleich deutlicher als unsere Landsleute heraus, was die Öffentlichkeit davon hat.

bdw: Ist ein Preis für die sprachlich brillanteste Forschungsarbeit dann nicht das falsche Zeichen? Wäre es nicht besser, sich dafür stark zu machen, dass junge Wissenschaftler auf breiter Front durch Seminare erlernen, wie man komplizierte Sachverhalte allgemein verständlich unter die Leute bringt und warum das wichtig ist?

Arndt: Natürlich ist dieser Preis nur einer von vielen Wegen, die deutschsprachliche Kompetenz der Wissenschaftler zu verbessern. Ich glaube, dass wir erst daran arbeiten müssen, überhaupt das Bewusstsein zu wecken, das eine brillante akademische Arbeit auch eine brillante Sprache verdient. Obwohl der Preis in einigen Monaten erstmals vergeben wird, hat er im Hochschulbereich weit über Mannheim hinaus bereits für Furore gesorgt. Prof. Manfred Erhardt, der Generalsekretär des Stifterverbands der Deutschen Wissenschaften, möchte dieses Modell auf andere Universitäten übertragen. Gegen eine massenweise Nachahmung hätte ich nichts einzuwenden. Nur sie führt letzten Endes auch dazu, dass sich die Schulen innerhalb des Deutschunterrichts intensiv mit der verständlichen Vermittlung komplexer Sachverhalte beschäftigen. 2003 und 2004 wollen wir den Preis allerdings auf Mannheim beschränken – auch um den guten Ruf unserer Universität zu mehren.

bdw: Wie wird die Arbeit ausgesucht?

Arndt: Vorbedingung für die eingereichten Arbeiten ist, dass sie keinen wissenschaftlichen Makel haben. Vor diesem Hintergrund ist jede der sechs Fakultäten der Universität Mannheim aufgerufenen, eine Dissertation oder Habilitationsschrift vorzuschlagen. Aus diesen Arbeiten wählt ein vierköpfige Jury jene aus, die stilistisch herausragt. Ihr Autor erhält als Preis 3000 Euro. Die Rezeptionsforschung hilft mit ihren Erkenntnissen bei der Auswahl. So erhöhen Beispiele die Verständlichkeit eines Textes. Kurze Sätze erleichtern den Lesefluss. Eine gekonnte Variation der Satzlänge steigert das Lesevergnügen. Das sind drei von vielen Möglichkeiten.

bdw: An einer pointierten Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnis mangelt es nicht nur jungen Wissenschaftlern. Talkrunden im Fernsehen gibt es über alles und jedes. Wissenschaftler sucht man dabei meist vergebens. Und wenn überhaupt, sind es immer dieselben, die zu Wort kommen. Sind die meisten Ihrer Kollegen außerstande, sich fernsehgerecht und dennoch präzise auszudrücken?

Arndt: Wer Dinge auf den Punkt bringen und sie überzeugend vermitteln kann, strahlt in die Öffentlichkeit aus. Dieses Prinzip gilt auch für Wissenschaftler. Wissenschaft ist kein Selbstzweck, sondern dient der Gesellschaft. Viele meiner Kollegen sind professoral, belehrend, langweilig. Außerdem scheuen sie davor zurück, sich auch mal drastisch, sinnlich, ironisch zu äußern.

bdw: Jede wissenschaftliche Disziplin sollte demnach ihre Forschungsinhalte so kommunizieren, dass ein interessierter Bürger die Informationen nachvollziehen kann?

Arndt: Wenn ich einen spannenden Roman lese, genieße ich dazu gerne ein gutes Glas Wein, um die Stimmung noch zu steigern, in die mich der Autor bringt. Warum schafft das die wissenschaftliche Literatur so selten? Selbst in Gebieten, in denen ich mich sehr gut auskenne, ist es fast immer ein hartes Stück Arbeit, einen Forschungsbericht zu lesen – und ich bin weg davon, mir neben der Lektüre genüsslich ein Glas Wein zu genehmigen.

Wolfgang Hess

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

An|ion  〈n. 27; Chem.〉 negativ geladenes Teilchen, das im elektr. Feld zur (positiv geladenen) Anode wandert; Ggs Kation … mehr

E–Pa|per  〈[ipp(r)] n.; – od. –s, –; IT; kurz für〉 Electronic Paper

Po|ly|gy|nie  〈f. 19; unz.; Soziol.〉 Ehegemeinschaft eines Mannes mit mehreren Frauen; Sy Vielweiberei; … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige