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Die Zukunft lässt sich Zeit

Allgemein

Die Zukunft lässt sich Zeit
Vor zehn Jahren erschien der letzte Delphi-Report – mit über 1000 Thesen für die Zukunft, die Experten damals für realistisch hielten. Heute weiß man: Viele Erwartungen waren zu optimistisch, während manche Trends überraschend kamen.

Morgens in der S-Bahn: Leise vermischt sich Musik mit dem Rattern des Zuges. Woher sie kommt, lässt sich schwer ausmachen. Denn in dem überfüllten Zug sitzen etliche Schüler und Pendler mit Kopfhörern. Kleine elektronische Geräte in der Hand oder Hosentasche versorgen sie mit den Klängen von Rock, Pop oder Klassik. Andere Passagiere tippen eifrig Texte in ihr Mobiltelefon oder vertreiben sich die Zeit mit Spielchen auf einer tragbaren Konsole. Vor zehn Jahren hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass so der morgendliche Alltag 2008 aussehen würde. Selbst die meisten Experten ahnten damals nichts vom forschen Siegeszug der digitalen Musik im MP3-Format, von der enormen Beliebtheit der SMS-Kurznachrichten und vom Kultstatus, den mobile Computerspiele einmal erreichen würden. In der dritten und bislang letzten deutschen Delphi-Studie waren diese Trends jedenfalls kein Thema. Die Resultate der Studie wurden 1998 veröffentlicht – und waren auch bdw eine große Geschichte wert (bild der wissenschaft 3/1998, „Was die Zukunft bringen soll“ ).

Ein Team des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe befragte für die Delphi-Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) rund 2000 Experten aus Universitäten, Forschungsinstituten und Unternehmen. Die Wissenschaftler baten die Fachleute um ihre Einschätzung zu möglichen künftigen Entwicklungen, etwa in der Medizin, bei Verkehr, Raumfahrt, Industrieproduktion und Kommunikationstechnik. In einer zweiten Fragerunde wurden die Experten mit den Meinungen ihrer Kollegen konfrontiert und konnten ihr Urteil überdenken und ändern.

DICKER KATALOG VON THESEN

Am Ende kam ein dicker Katalog mit 1070 Thesen zur Zukunft heraus, die eine Mehrheit der befragten Spezialisten für plausibel hielt – jeweils versehen mit einem geschätzten Zeithorizont für die Realisierung und einer Abwägung, wie bedeutsam die Entwicklung für Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitsmarkt sein würde. Zehn Jahre nach Abschluss dieser bisher umfassendsten deutschen Zukunftsstudie ist es Zeit nachzusehen, wie treffsicher die Delphi-Studie die Trends vorausgesagt hat. „ Die Welt hat sich weniger stark verändert als gedacht“, lautet das Resümee von Kerstin Cuhls. Die ISI-Forscherin leitete in den Neunzigerjahren die Konzeption und Umsetzung des Delphi-Projekts und befasst sich nach wie vor mit der Zukunftsforschung und den dabei angewendeten Methoden der Wissenschaftler. „Viele Innovationen dauern länger als vor zehn Jahren vermutet“, sagt Cuhls mit Blick auf die Erwartungen der damals befragten Experten. Zwar hat bisher niemand eine objektive und detaillierte Auswertung der Zukunftsthesen aus der Delphi-Studie erstellt, doch die Schieflage etlicher Vorhersagen fällt schon beim Durchblättern des Wälzers von 1998 auf.

So schätzten die Fachleute 1998, dass viele Autos, die etwa ab dem Jahr 2007 neu auf die Straßen rollen, im Schnitt rund 30 Prozent weniger Sprit verbrauchen würden als vor zehn Jahren. Doch von einer solchen Genügsamkeit sind die Automobile, die heute in den Verkaufsräumen der Händler stehen, weit entfernt. Zwar sank der Durchschnittsverbrauch der Pkw stetig, wie Daten des Bundeswirtschaftsministeriums zeigen – allerdings nur um magere 10 Prozent. Zugleich werden die Wagen immer schwerer. So beklagt das österreichische Umweltbundesamt, dass das Gewicht von Neufahrzeugen allein zwischen 2000 und 2005 im Schnitt um 11 Prozent zugelegt hat. Ein genau gegenläufiger Trend zu den Annahmen der Delphi-Experten: Sie rechneten damit, dass bis 2010 besonders leichte Pkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht unter 1000 Kilogramm weit verbreitet sein würden.

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Kein Wunder, dass sich der Fortschritt im Verkehrsbereich auch sonst als Schnecke erweist. „Auf die Verkehrsentlastung durch Kommunikationssysteme, die 1998 einige Experten vorausgesehen haben, warten wir noch heute“, sagt Kerstin Cuhls. „Allerdings waren schon damals viele Experten sehr skeptisch, ob neue Kommunikationstechnologie zur Reduzierung des Verkehrs beitragen würde.“ Tatsächlich nimmt der Verkehr immer weiter zu. Laut Statistik des ADAC ist die gesamte Fahrleistung der Pkw auf deutschen Straßen zwischen 1998 und 2006 um 7 Prozent gestiegen: von 550 auf 586 Milliarden Kilometer jährlich.

KEINE INTELLIGENTEN VIRENSCANNER

Auch bei vielen anderen Prognosen haben sich die Experten gründlich verschätzt. Systeme, die automatisch bis dahin unbekannte Computerviren entdecken und selbstständig „digitale Impfstoffe“ dagegen bilden, gibt es bislang nicht. Genauso wenig wie ein wirksames Insulinpräparat, das Diabetiker in Tablettenform einnehmen können. Solche Medikamente durchlaufen derzeit das Teststadium. Dass sich „die Tendenz zu immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen zugunsten einer Intensivierung und Verlängerung der Nutzungsdauer umgekehrt“ hat, wie es die Fachleute für etwa 2008 erwartet haben, ist in Anbetracht der Flut neuer Produkte und Gerätegenerationen kaum vorstellbar. Und dass „detaillierte individuelle Gesundheitsbiographien auf einer Art medizinischer Smart Card aufgezeichnet sind und unter individueller Kontrolle für medizinische Dienstleistungen zur Verfügung stehen“ (Einschätzung für 2007), ist zwar in Deutschland seit vielen Jahren geplant – doch genauso lange wird die „elektronische Gesundheitskarte“ schon von Ärzten und Datenschützern blockiert. Ein Praxistest von Prototypen der digitalen Patientenkarte ging im Frühjahr 2008 wegen technischer Mängel in die Hose und wurde abgebrochen.

Auch andernorts sind die Anwendungen der Elektronik bei Weitem noch nicht so weit fortgeschritten, wie es die Fachleute 1998 für möglich hielten. So sind längst nicht alle öffentlichen Verkehrsmittel in Deutschland mit einer standardisierten Smart Card bezahlbar und benutzbar, „sodass Fahrscheine entfallen und nur über die Karte abgerechnet und kontrolliert wird“.

MEHR MÄUSE FÜR DIE FORSCHUNG

Wenig rühmlich fällt auch die Bilanz der Hoffnung aus, dass bis etwa 2008 „aufgrund von Fortschritten bei der Entwicklung von Ersatzmethoden die Zahl der Tierversuche in Deutschland auf 50 Prozent“ im Vergleich zu 1998 sinken würde. Tatsächlich werden heute deutlich mehr Versuchstiere eingesetzt als vor zehn Jahren – vor allem wegen der Verfügbarkeit von gentechnisch veränderten Mäusen. Der Trend hat sich just mit der Publikation der Delphi-Studie umgekehrt: Bis 1997 war die Zahl der Tierversuche gesunken, seitdem weist die Tendenz wieder nach oben. Die Entwicklung von Ersatzmethoden ist keineswegs so schnell vorangekommen wie erhofft. „Oft liegt es an technischen Problemen, wenn sich die Praxisreife einer Entwicklung verzögert – diese wurden dann in der Studie auch als größtes Hindernis genannt“, sagt Kerstin Cuhls und nennt zwei Beispiele für Technologien, deren Realisierung immer wieder verschoben wird: die Möglichkeit zu frühzeitigen, verlässlichen Erdbebenvorhersagen sowie eine zuverlässige Spracherkennung durch elektronische Geräte. „Aber auch politische, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Gründe verhindern, dass Fortschritte aus der Forschung in Produkte umgesetzt werden“, betont die ISI-Forscherin. „So wäre es in den letzten Jahren zwar technisch möglich gewesen, leichte und spritsparende Fahrzeuge zu bauen – doch die hätten sich vermutlich nicht verkaufen lassen.“ Der Druck zum Sparen, den die Autofahrer durch die enorm gestiegenen Kraftstoffpreise heute spüren, fehlte noch vor ein paar Jahren.

Doch die Delphi-Studie hat nicht nur Flops produziert. Bei manchen Thesen erwiesen sich die damals befragten Fachleute sogar als ausgesprochen clever. So rechnete die Mehrheit von ihnen erst um das Jahr 2016 mit der Einführung von Autos, die durch Energie aus Brennstoffzellen angetrieben werden – während etwa Daimler-Chrysler die Serienfertigung von Brennstoffzellenfahrzeugen schon für 2004 in Aussicht stellte. Inzwischen hat man sich auch bei dem Stuttgarter Automobilkonzern von dieser optimistischen Einschätzung verabschiedet. Den Start für die Fertigung einer ersten kleinen Serie von Autos der Mercedes-B-Klasse mit Brennstoffzellenantrieb verspricht das Unternehmen nun für 2010. Bis Autos mit dieser Technologie für jedermann zur Verfügung stehen, wird es mindestens bis 2015 dauern, schätzt man beim Ingenieurdienstleistungsunternehmen Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH in Ottobrunn.

UND DAS ELEKTRO-AUTO KOMMT DOCH

Vieles deutet mittlerweile sogar darauf hin, dass rein elektrisch betriebene Autos den Fahrzeugen mit Brennstoffzellen den Markt abgraben könnten, noch bevor die richtig Gas geben. Fast alle großen Automobilhersteller planen die baldige Einführung von Elektroautos – Vehikeln, denen vor zehn Jahren kaum jemand eine Zukunft zugetraut hätte. Voll ins Schwarze getroffen hat die Delphi-Studie mit den Prognosen, dass ab 2006 „ die Mehrzahl aller Privathaushalte elektronische Post sendet und empfängt“ und dass zur selben Zeit „Electronic Banking in Privathaushalten weit verbreitet“ sein werde. Laut Bundesverband Informationswesen Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) besaßen 2007 tatsächlich über zwei Drittel aller Menschen in Deutschland eine private E-Mail-Adresse. Und die Abwicklung von Bankgeschäften via Internet ersetzt – wie erwartet – immer häufiger den Gang zur Bankfiliale: 35 Prozent der Deutschen führen ihr Konto inzwischen online. Ein weiterer Volltreffer: die Annahme, dass nationale Schnellbahnsysteme über die Grenzen hinweg kompatibel werden. Der deutsche ICE und der französische TGV verkehren seit Juni 2007 fahrplanmäßig zwischen Frankfurt, Stuttgart oder München und Paris. Und: Wie von den Delphi-Experten erwartet, haben digitale Kameras die herkömmlichen Fotoapparate „weitgehend abgelöst“.

Selbst bei den großen gesellschaftlichen Trends bewiesen die Delphi-Spezialisten einen anerkennenswert guten Riecher: Sie sagten 1998 für den Zeitraum zwischen 2003 und 2009 voraus, dass Deutschland „nach Durchsetzung von Reformen wieder ein international sehr attraktiver Investitionsstandort“ werde – und das zu einer Zeit, als viele Politiker und Ökonomen diese Qualitäten des Standorts Deutschland schon abgeschrieben hatten.

KEINER HAT DAS VORAUSGESEHEN

Die letzten zehn Jahre hatten auch etliche faustdicke Überraschungen zu bieten. Der riesige Erfolg der MP3-Player ist nur ein Beispiel dafür. Zwar gab es das am Erlanger Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen entwickelte MP3-Verfahren, mit dem sich Musikstücke komprimieren und in sehr kleine digitale Dateien packen lassen, schon seit Anfang der Neunzigerjahre. Und das erste tragbare Abspielgerät dafür hatte die deutsche Firma Pontis 1995 auf den Markt gebracht. Doch der Boom der digitalen Musik kam erst mit der Vorstellung des iPod von Apple im Jahr 2001 richtig in Schwung. Danach schnellte der Absatz von tragbaren Audio Playern nach oben. So verkauften die Hersteller in Deutschland 2005 über 8 Millionen MP3-Player. Inzwischen lassen sich die MP3-Dateien auch mit vielen Handys und Autoradios abspielen, und die tragbaren Audio Player werden bereits vom nächsten Trend überholt: Portable Video Player – handtellergroße Geräte, mit denen man, etwa in der S-Bahn, nicht nur Musik hören, sondern auch Videofilme anschauen kann.

Geradezu kometenhaft verlief der Aufstieg von Navigationsgeräten, die Autofahrern und Fußgängern mithilfe einer Verbindung zu den Satelliten des amerikanischen Navigationssystems GPS den Weg weisen. Für das GPS hatten die Delphi-Experten vor allem große Anwendungen in der Landwirtschaft im Visier: Satellitengestützte geographische Informationssysteme sollten zum Beispiel „für die großräumige Bewirtschaftung des Wasserhaushalts in der Landwirtschaft, die Forstüberwachung und die Modellierung von Gefährdungspotenzialen“ durch Erdbeben, Vulkanausbrüche oder Überschwemmungen „bald realisierbar sein und genutzt werden“ – eine Prognose, die zutraf. „Dass heute Millionen Menschen ihr tragbares Navigationsgerät haben, stand vor zehn Jahren jedoch nicht zur Debatte“, sagt Cuhls.

Das Internet hat sich rasant weiterentwickelt, doch der Trend bei seiner Nutzung wies in eine andere Richtung, als es die Experten 1998 erwarteten. „Damals sah man die Entwicklung des Internets vor allem von der technischen Warte aus“, meint Cuhls: schnelle Breitbandzugänge, eine leistungsfähige und weitgehend sichere Übertragung der Daten. Die dafür nötigen Technologien gibt es heute. Sie sorgen dafür, dass man übers Internet Telefongespräche führen, TV-Programme empfangen und Videos herunterladen kann. „Doch dass sich Tauschbörsen und Auktionen, Online-Handel, Second Life und andere virtuelle Welten so stark ausbreiten würden wie in den letzten Jahren geschehen, stand bei der Delphi-Studie gar nicht zur Abstimmung“, räumt die Forscherin ein.

ÜBERRASCHENDE REDSELIGKEIT

Heute hat jeder fünfte Deutsche zwischen 16 und 74 Jahren selbst schon einmal Waren übers Web verkauft, 2,2 Millionen Menschen wetten bundesweit im Internet, 38 Prozent aller Urlaubsreisen wurden 2007 online gebucht und über 6 Millionen einsame Herzen tummeln sich mindestens einmal monatlich in Singlebörsen, um sich im Web auf die Suche nach dem großen Glück zu begeben. Die Offenheit, mit der viele Webnutzer heute ihre eigene Person in Online-Gemeinschaften und durch das Verbreiten selbst gedrehter Videoclips zur Schau stellen, wäre 1998 undenkbar gewesen. Die Fachleute nahmen damals an, dass nur wenige Menschen ihre persönlichen Daten freiwillig preisgeben würden. Ein Irrtum: Die Selbstvermarktung und der soziale Aspekt des Internets sind enorm wichtig geworden.

Damit Entwicklungen, die unvermittelt auftauchen, künftig nicht mehr durchs Raster der Zukunftsforscher fallen – weil sie nicht bemerkt oder in ihrer Bedeutung unterschätzt werden –, wollen die Wissenschaftler am ISI ihre Methoden erweitern. „Das bei der Delphi-Studie angewandte Verfahren der Experten-Befragungen mit einer nachfolgenden Abstimmungsrunde war darauf ausgerichtet, festzustellen, ob es einen Konsens unter den Fachleuten gibt“, erklärt Cuhls. „Dadurch wurden Hinweise auf damals noch unbedeutend erscheinende Entwicklungen quasi herausgebügelt.“ Daher soll diese Vorgehensweise bei einer neuen Zukunftsstudie ergänzt werden: Im Foresight-Prozess, den das BMBF im September 2007 gestartet hat, und bei dem die ISI-Forscher wieder entscheidend mitwirken, setzen Cuhls und ihr Team unter anderem auf Recherchen, Expertengespräche und ein „ Inventoren-Scouting“. Dazu werden junge Nachwuchswissenschaftler aufgespürt, die etwa Patente für innovative Technologien angemeldet haben oder mit Preisen für ihre Forschungsarbeiten ausgezeichnet wurden. Die Erwartungen dieser Trendsetter wollen die Wissenschaftler am ISI in Interviews erfahren – in der Hoffnung, dadurch auch den schwachen Puls von neu aufkeimenden Entwicklungen fühlen zu können.

METHODEN WERDEN KOMBINIERT

„Die bei den Delphi-Studien angewandte Methodik diente eher der Bewertung bereits identifizierter Trends“, sagt Cuhls. „ Daraus haben wir gelernt.“ Deshalb kombinieren die Wissenschaftler bei dem neuen Foresight-Projekt verschiedene Verfahren: die Analyse von wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Datenbank-Suche, Workshops und „Zeitreisen“, virtuelle Ausflüge in eine mögliche Zukunft. Anders als bei den Delphi-Studien der Neunzigerjahre steht dabei nicht nur die Technik im Fokus. Stattdessen wollen die Forscher Verbindungen zu gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Themen aufspüren, die mit technologischen Trends verschmelzen. Wenn beispielsweise die Mehrheit der Menschen aus Angst vor einem Unglück und radioaktiver Verstrahlung keine Kernkraftwerke haben will, nützen auch innovative neue Technologien nichts. Auch Verbesserungen bei den Möglichkeiten der Genmanipulation von Tieren und Pflanzen verpuffen, wenn sich die Bevölkerung dagegenstellt.

Das Ziel von Foresight ist es, die wichtigsten Schwerpunkte der Forschung in den nächsten 20 Jahren zu ermitteln und herauszufinden, wie sie sich am effizientesten vorantreiben lassen. Darin sieht man beim BMBF die entscheidende Voraussetzung, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands für die Zukunft zu sichern. „Die Gewichtung von Themengebieten hat sich gegenüber der Delphi-Studie von 1998 stark verschoben“, stellt Kerstin Cuhls fest. Das gilt etwa für die Themen aus dem Bereich Energie und Umwelt, für die das Interesse – nach Jahren der Flaute – wieder stark gestiegen ist. Auch Entwicklungen bei der Landwirtschaft und Ernährung sind plötzlich wieder interessant, nachdem die meisten Experten lange Zeit der Meinung waren, ein Fortschritt auf diesen Gebieten habe für das industriell hoch entwickelte Deutschland keine Bedeutung mehr. Im Mittelpunkt des neuen Foresight-Prozesses stehen quer liegende, interdisziplinäre Themen.

LEHRER MACHTEN SICH SCHLAU

Trotz ihrer Schwächen ist die Delphi-Studie von 1998 stark beachtet worden. Die 6000 gedruckten Exemplare des Berichts sind längst vergriffen, die Zugriffszahlen auf die Online-Version im Internet übertrafen die Erwartung der ISI-Forscher bei Weitem. In Folgeprojekten haben die Karlsruher die Delphi-Einschätzungen als Auftragsarbeit für Forschungsinstitute und Unternehmen spezifisch aufbereitet und analysiert. Etliche Unternehmen haben daran ihre strategische Planung neu formuliert und ausgerichtet. Viele Lehrer informierten sich in Fortbildungsseminaren über die Ergebnisse der Delphi-Umfrage – um dieses Wissen im Unterricht an ihre Schüler weiterzugeben.

„Dass wir mit unseren Prognosen mitunter danebenlagen, ist manchmal sogar gut“, sagt Kerstin Cuhls. „Denn bei der Delphi-Studie ging es nicht nur darum, möglichst präzise Vorhersagen zu machen, sondern auch um eine gemeinsame und konstruktive Gestaltung der Zukunft.“ Im Klartext: Die Forscher wollten mögliche Entwicklungen aufzeigen. Vor allem gute, in einigen Fällen schlechte – manchmal mit der Hoffnung, dass sich die negativen Trends, etwa durch politische Weichenstellungen, doch noch abwenden lassen. So wird es für viele beruhigend sein, dass sich eine Einschätzung nicht bewahrheitet hat: dass nämlich ab 2008 Versicherte, bei denen Gentests ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krankheiten gezeigt hätten, höhere Krankenkassenbeiträge zahlen müssten. In anderen Fällen wäre es aber gut gewesen, wenn die Erwartungen der Delphi-Experten sich erfüllt hätten oder übertroffen worden wären – etwa bei der Entwicklung neuer Medikamente gegen Krebs, Aids oder Diabetes. ■

von Ralf Butscher

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