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Das Universum – der erste Quantencomputer

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Das Universum – der erste Quantencomputer
Die These des Seth Lloyd: Zufälle programmieren die Welt und machen sie komplex.

Der Mann mit dem lässig zum Pferdeschwanz gebundenen schütteren Haar, der mit einem langen Ast zwischen alten Dampfloks herumfuchtelt, ist ein Computerfreak – aber kein gewöhnlicher. Und das nicht nur, weil er den ersten praktikablen Quantencomputer entwickelt hat und den Nachweis erbrachte, dass und wie sich die ominöse Quantenphysik durch Quantencomputer vollständig erfassen lässt. Seth Lloyd, Professor am renommierten Massachusetts Institute of Technology, ist so ungewöhnlich, weil er den Code des Kosmos lesen will. „Das Universum ist ein Quantencomputer”, sagt er und schwenkt den Ast hin und her. „Die Geschichte des Universums ist eine gigantische, laufende Quantenberechnung.”

Diese kühne These steht in symbolträchtigem Kontrast zu den stählernen Ungetümen in dem umgebauten Lokschuppen, die gleichsam die klassische Physik repräsentieren. Doch hier, im Deutschen Technikmuseum Berlin, haben sich namhafte Informatiker, Ingenieure, Physiker und Philosophen zusammengefunden, um genau diese These zu diskutieren – eine Überlegung, die auf Spekulationen zum „Rechnenden Raum” (1967) von Konrad Zuse zurückgeht, dem Vater des ersten Computers.

Doch klassische Computer sind viel zu ineffizient, um selbst einfache Quanteneffekte zu simulieren. Denn sie operieren nur mit Bits, mit Nullen und Einsen. „Das heißt: Tu entweder dies oder das”, wie Lloyd es ausdrückt. Quantencomputer dagegen operieren mit Qubits (Quantenbits) und können zugleich Nullen und Einsen verarbeiten: „Tu sowohl dies als auch das.” Diese bizarre quantenphysikalische Superposition, die Physiker erst seit wenigen Jahren auch rechnerisch zu nutzen lernen, stellt eine ungeheure Erweiterung der Rechenkapazität dar. So kann ein Quantencomputer mit nur 10 Qubits als Input aufgrund deren Verschränkung bereits 210 = 1024 Dinge zugleich tun, mit 20 schon 220 = 1 048 576 und mit 300 bereits mehr als die Zahl der Elementarteilchen im beobachtbaren Weltall. „Eine klassische Berechnung ist wie eine Solostimme – eine Linie reiner Töne”, vergleicht Lloyd. „Eine Quantenberechnung dagegen ist wie eine Symphonie – viele Tonreihen, die einander überlagern.”

Der massive Parallelismus der Quantencomputer mutet bizarr genug an, auch wenn Prototypen mit 16 Qubits bereits technische Realität sind. Aber wieso sollte deshalb gleich das ganze Universum ein Quantencomputer sein?

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„Nach konventioneller Auffassung ist das Universum nichts ist als seine Menge von Elementarteilchen. Aber es gilt gleichermaßen, dass das Universum nichts ist als die Menge seiner Bits – genauer: seiner Qubits.” Dass Lloyd diese Aussage mit dem Ast in seiner Hand unterstreicht, entbehrt nicht einer gewissen Selbstironie. Nachdem sein Vorredner Probleme hatte, mit einem schwächelnden Laser-Pointer – immerhin ein direktes Anwendungsbeispiel der Quantenphysik – auf die Vortragsfolien zu zeigen, entlieh sich Lloyd in der Pause kurzerhand einen klassischen Behelf aus dem kleinen Wäldchen neben dem Lokschuppen („Ich bin schließlich Ingenieur, genauer: Quanten-Ingenieur”). Seine Argumentation ist genauso pragmatisch: „Wenn alles eine Ente ist, was watschelt und quakt wie eine Ente, dann gilt auch: Da das Universum Informationen registriert und verarbeitet wie ein Quantencomputer, und da es sich durch Beobachtungen nicht von einem Quantencomputer unterscheiden lässt, ist es ein Quantencomputer.”

Dieser Schluss ist freilich nicht zwingend. Doch Lloyd geht es um weit mehr als Metaphorik. Sieht man das Universum als Quantencomputer, lassen sich nämlich seine fundamentalen Eigenschaften besser verstehen. Die physikalischen Gesetze wären gleichsam die Maschinensprache des Computeruniversums, und den kosmischen Code zu knacken, hieße, das Programm nachzuvollziehen.

Um die äußersten Grenzen der Berechnungsmöglichkeiten auszuloten, fragte sich Lloyd: Welche Rechen- und Speicherkapazitäten erlauben die bekannten Gesetze der Physik für ein Kilogramm Materie im Volumen von einem Liter? Da dies ungefähr dem Gewicht und der Größe eines heutigen Laptops entspricht, nennt er ein solches Materie-Aggregat den „ ultimativen Laptop”. Dieses Gedankenexperiment klingt vielleicht exotisch, doch Lloyd weiß die Antwort: Der ultimative Laptop hat eine Speicherkapazität von etwa 1031 Bits. Und er kann mit seiner in der Masse steckenden maximalen Energie von fast 1017 Joule rund 1051 Rechenschritte machen – das heißt logische Operationen wie „und”, „oder”, „nicht” oder „kopiere”. Nutzt der ultimative Laptop seinen gesamten Speicher – codiert als Ort, Geschwindigkeit und Spin (Eigendrehimpuls) der Partikel –, vermag er 1020 Operationen pro Bit in der Sekunde auszuführen. Ein gewöhnlicher Laptop schafft etwa 1012 Bits und 1010 Operationen pro Sekunde (10 Gigahertz Taktfrequenz).

Die „Rechnungen”, die Seth Lloyd zufolge die Natur ausführt, und damit jedes physikalische System – Wasserflaschen, Müsli-Riegel und ultimative Laptops inklusive – sind einfach die verschiedenen Wechselwirkungen. So lässt sich eine Kollision zweier Moleküle oder der Photonen-Austausch bei der Streuung von Elektronen als Rechenvorgang verstehen – als logische Operation. Tatsächlich basieren ja auch die alltäglichen mechanischen oder elektronischen Rechnungen – vom Abakus bis zum BlueGene-Supercomputer – auf physikalischen Wechselwirkungen.

Von konventionellen Computern unterscheidet sich der ultimative Laptop also extrem. Erstere arbeiten freilich hoch redundant, denn sie müssen sehr stabil, kontrollierbar und unanfällig gegen Fehler sein. Deshalb werden Trillionen von Elektronen für die Speicherung und Verwaltung eines einzigen Bits aufgewendet. Aber die konventionellen Computer haben eine rasante Entwicklung hinter sich: Vor 50 Jahren beanspruchte der Speicherplatz für ein nutzbares Bit noch einen Quadratzentimeter, heute nur noch einen Quadratmikrometer, und im Jahr 2017 – bei gleichbleibendem Tempo der Miniaturisierung und Effektivitätssteigerung – könnte ein Bit bereits mit einem einzigen Atom codiert werden.

Bei den Quantencomputern, mit denen Lloyd und seine Kollegen an vielen Orten der Welt experimentieren, ist dies heute schon der Fall: Hier repräsentiert ein Kernspin oder ein hyperfeiner atomarer Zustand ein Bit. Freilich würde es bei der gegenwärtigen Verarbeitungsgeschwindigkeit viele Jahrtausende dauern, um einen Speicher mit 1025 Atomen, wie sie ungefähr in einem Kilogramm Materie stecken, auszulesen oder zu füllen. Ein solcher Ein- und Auslesevorgang wäre beispielsweise durch Laserbeschuss und Lichtabsorption realisierbar.

Im ultimativen Laptop gibt es keine Redundanz, seine atomaren Zustände müssen daher vollständig unter Kontrolle sein. Um Rechenfehler zu vermeiden, kann er auch nicht mit maximaler Geschwindigkeit arbeiten. Doch selbst so ist seine Abwärme noch extrem: Es entsteht eine Temperatur von einer Milliarde Grad wie bei der Explosion einer 20-Megatonnen-Wasserstoffbombe. „Der ultimative Laptop sieht wie ein kleiner Urknall aus”, sagt Lloyd. „Es wären also heikle Verpackungsprobleme zu lösen.”

Diese Abschätzungen sind keine Science-Fiction, sondern die errechneten Konsequenzen von Lloyds Gedankenexperiment. Aber eine praktische Realisierung wäre es durchaus. Doch vielleicht ist sie gar nicht so weit entfernt – nicht einmal mehr 250 Jahre, wenn das Moore’sche Gesetz auch weiterhin gilt, also die 1965 vom Intel-Mitgründer Gordon Moore vorausgesagte und dann tatsächlich eingetroffene Verdopplung der Rechnerleistung alle 18 Monate.

Lloyd überschlug auch, welche Rechenkapazitäten ein Schwarzes Miniloch mit der Masse von einem Kilogramm haben würde: Es könnte maximal etwa 1016 Bits speichern – entsprechend imaginären Einsen und Nullen als physikalischen Zuständen seiner „Oberfläche”. Es wäre nur 10–27 Meter groß und würde aufgrund von Quanteneffekten (Hawking-Strahlung) in nur 10–21 Sekunden verdampfen. In dieser Zeit wären maximal 1032 Operationen möglich. Würde sich ein solches Schwarzes Loch programmieren lassen, könnte es seine Berechnungen so schnell wie der ultimative Laptop machen. Im Gegensatz zu ihm würde es aber nicht hochgradig parallel arbeiten, sondern extrem seriell: Jedes Bit ist hier gleichsam mit jedem anderen über eine logische Operation verbunden. Und die Zeit von Bit-Änderungen liegt in der Größenordnung der Signallaufzeit von einer Seite des Lochs zur anderen: bei etwa einer Milliardstel Sekunde.

Aber bei Schwarzen Löchern endet Seth Lloyds Forscherdrang keineswegs. Er hat sogar die Kapazität des gesamten beobachtbaren Universums abgeschätzt.

Bereits eine Milliardstel Sekunde nach seiner Entstehung im Urknall hatte das Universum etwa 1067 elementare Operationen vollführt und enthielt rund 1050 Bits. Das entspricht etwa einem Bit für jedes Atom der Erde heute – um diese Informationsmenge visuell zu speichern, wäre ein Foto von der Größe der Galaxis nötig. „Der Big Bang war auch ein Bit Bang”, sagt Lloyd.

Mit der Ausdehnung des Alls wurden selbst diese Zahlen noch astronomischer. Heute beträgt die Speicherkapazität aller Elementarteilchen des beobachtbaren Universums ungefähr 1092 Bits und ihr Rechentempo 1014 Hertz. Berücksichtigt man auch die Freiheitsgrade der Schwerkraft und der mysteriösen Dunklen Energie, sind es rund 10123 Bits. Und die Zahl der logischen Operationen seit dem Urknall ist ebenfalls ungefähr 10123. Zum Vergleich: Alle Computer auf der Erde, über eine Milliarde, haben bis heute gut 1021 Bits registriert und weniger als 1032 Rechenschritte ausgeführt.

Wenn Seth Lloyd Recht hat und die Welt wirklich ein Quantencomputer ist, ergibt sich eine neue Sicht der Natur:

Die Welt ist nicht bloß ein Uhrwerk oder eine Maschine, die vor sich hin tickt, wie viele Physiker und Philosophen dachten, sondern ein informationsverarbeitendes System. Dies wirft ein neues Licht auf viele Phänomene, etwa die Zusammenstöße von Partikeln in Teilchenbeschleunigern. Mit den Worten des US-Physikers Heinz Pagels, der mit Lloyd geforscht hat: „Das Plasma berechnet sich selbst” – nämlich mit 10 000 Bits und 10 000 Operationen binnen 10–25 Sekunden bei einer typischen Schwerionen-Kollision.

Die Suche nach der „Weltformel” – also nach einer Theorie der Quantengravitation, die die Allgemeine Relativitätstheorie mit der Quantentheorie vereinigt –, könnte eine neue Richtung bekommen. Seth Lloyd spekuliert bereits darüber, wie Quantenrechnungen die Raumzeit und ihre kausale Struktur festlegen beziehungsweise hervorbringen könnten.

Das vielleicht verblüffendste Ergebnis aber ist eine Erklärung, warum die Welt so komplex ist: Denn Computer, auch klassische, können mit einfachen Mitteln komplexe Strukturen erzeugen. So reichen sehr kurze Programme aus, um beispielsweise die atemberaubende Welt der Fraktale (etwa das „Apfelmännchen”) oder die sich niemals wiederholende Ziffernfolge der Kreiszahl Pi zu erzeugen.

Dass die Komplexität der Welt kein reiner Zufall sein kann, wird seit Menschengedenken behauptet. Der französische Mathematiker Emile Borel hat dies 1909 mit einem imposanten Gedankenexperiment illustriert. Angenommen, Affen würden zufällig auf der Tastatur einer Schreibmaschine tippen: Wie lange bräuchten sie, um zufällig den „Hamlet” von William Shakespeare hervorzubringen? Die aktuelle Antwort ist ernüchternd: Selbst für die ersten 20 Buchstaben wären schon eine Trillion Affen nötig, die auf ebenso vielen Schreibmaschinen seit dem Urknall herumhacken. Die Wahrscheinlichkeit einer zufällig richtigen Zeichenfolge ist geringer als die von vier Lotto-Jackpot-Gewinnen in Folge. Und für das ganze Werk (ohne Satzzeichen) beträgt sie zirka 1 zu 1018394.

Zufällig kann „Hamlet” also nicht entstanden sein, dazu bedurfte es eines Shakespeare, der freilich ebenfalls nicht rein zufällig in die Welt gekommen sein kann. „Schreibmaschine oder Computer, das macht den entscheidenden Unterschied”, sagt Lloyd. „ Affen, die auf eine Schreibmaschine einhämmern, erzeugen Kokolores. Wenn dieselben Affen auf einen Computer tippen, wird der Kokolores von dem als Computerprogramm interpretiert und erzeugt komplexe Strukturen.” Selbstverständlich nicht nur, denn es entsteht auch viel Unsinn – aber schon relativ wenig passende Eingaben schaffen Ordnung. „Einfache Programme zusammen mit viel Informationsverarbeitung bringen einen komplexen Output hervor.” So auch beim Quantencomputer-Universum.

In diesem Vergleich bilden die Gesetze der Quantenphysik den Computer, und die Affen versinnbildlichen zufällige Quantenprozesse, wie sie der Quantenphysik zufolge unvermeidlich sind und bereits mit dem Urknall entstanden. „Zufällige Bits, für sich genommen, bedeuten nichts”, sagt Lloyd. „Zufällige Bits, die in einen Computer eingespeist werden – etwa in einen wie das Universum –, können alles bedeuten.”

Damit ist auch die Annahme eines intelligenten Programmierers überflüssig. Der Zufall genügt. „Quantenfluktuationen, die von der Schwerkraft oder dem Chaos verstärkt werden, führen zu der Ordnung und Komplexität, die wir um uns herum beobachten. Quantenfluktuationen programmieren das Universum.”

Und was rechnet der universale Quantencomputer? Auch hier ist Lloyds Antwort so einfach wie ernüchternd: „Das Universum berechnet seine eigene Entwicklung. Es berechnet sich selbst.” ■

Rüdiger Vaas

Ohne Titel

· Das ganze beobachtbare Universum lässt sich als Quantencomputer deuten.

· Es enthält rund 10123 Bits an Informationen und führte seit dem Urknall ähnlich viele Rechenschritte aus.

COMMUNITY LESEN

Das Universum als Quantencomputer:

Seth Lloyd

Programming the Universe

Vintage Books, New York 2007, € 12,50

INTERNET

Homepage von Seth Lloyd:

meche.mit.edu/people/faculty/ index.html?id=55

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