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Auf der Suche nach Planet X

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Auf der Suche nach Planet X
Gibt es einen zehnten Planeten im Sonnensystem? Seit Jahrzehnten spukt ein geisterhafter Himmelskörper jenseits von Pluto in den Köpfen der Astronomen herum. Nun mehren sich die Anzeichen, daß er tatsächlich existiert.

Der Buchstabe X steht schon lange für das Mysteriöse, Unbekannte, Geheimnisvolle und sorgt inzwischen sogar in Fernsehserien wie „X-Factor“ und „Akte X“ für Einschaltquoten. „ Die Wahrheit ist irgendwo da draußen“, ist aber nicht nur ein TV-Slogan, sondern auch ein Wahlspruch von Astronomen, die ein X im All suchen – Planet X, um genau zu sein. Denn seit der Entdeckung des sonnenfernsten Planeten Pluto im Jahr 1930 wird vermutet, daß unser Sonnensystem noch einen weiteren großen Trabanten beherbergt: Planet X, manchmal auch Transpluto genannt. Das X steht als Symbol für das Rätselhafte, kann aber auch als römische Zehn gelesen werden. Nun behaupten zwei Astronomen, dem Geheimnis dicht auf der Spur zu sein. Planet X befindet sich im Sternbild Delphin, etwa ein halbes Lichtjahr entfernt, vermutet John Matese von der University of Louisiana in Lafayette. Er schloß das aus der Analyse der Bahndaten von langperiodischen Kometen. Diese Schweifsterne umlaufen die Sonne auf weiten, exzentrischen Bahnen, so daß sie nur alle paar Jahrhunderte, Jahrtausende oder in noch größeren Zeiträumen in die Nähe unseres Zentralgestirns kommen – und damit auch ins Blickfeld der Teleskope. Sonst sind sie viel zu lichtschwach, um beobachtet werden zu können.

Im Gegensatz zu den kurzperiodischen Kometen, die aus dem Kuipergürtel jenseits des Planeten Neptun stammen – einem riesigen Reservoir eisiger Körper, zu denen auch Pluto und sein Mond Charon gehören (bild der wissenschaft 8/1998, „Die Außenseiter“) – kommen die langperiodischen Kometen aus der Oortschen Wolke. Sie ist für die Fernrohre bislang unsichtbar, aber ihre Existenz hat der niederländische Astronom Jan Hendrik Oort (1900 bis 1992) bereits 1950 aus der Auswertung der Umlaufbahnen langperiodischer Kometen erschlossen. Er hatte entdeckt, daß diese Schweifsterne im Gegensatz zu den kurzperiodischen Kometen über alle Richtungen verteilt ins innere Sonnensystem vorstoßen, nicht nur in der Ebene der Planetenbahnen, und daß sich ungefähr gleich viele im Uhrzeiger- wie im Gegenuhrzeigersinn bewegen. Abschätzungen der großen Halbachse ihrer stark elliptischen Bahnen ergaben überdies, daß der äußerste Punkt ihres Orbits 50000- bis 150000mal so weit von der Sonne entfernt ist wie die Erde – 0,7 bis 2,2 Lichtjahre. Oort vermutete, daß das Sonnensystem dort von einem gewaltigen Reservoir an Kometenkernen kugelschalenförmig umschwärmt wird.

Nach Überlegungen der Münchner Astronomen Ludwig Biermann und Reimar Lüst von 1978 könnten mächtige Gaswolken, die sich zwischen den Sternen bewegen, alle paar hundert Millionen Jahre so dicht an der Oortschen Wolke vorüberziehen, daß einige der Kometenkerne in Richtung Sonne getrieben werden – und andere aus dem Sonnensystem hinausgeschleudert werden. Auch durch den Gravitationseinfluß benachbarter Sterne geraten immer wieder Eisbrocken ins innere Sonnensystem.

Doch es könnte noch einen anderen Störenfried geben: Planet X. John Matese ist von seiner Existenz überzeugt, weil aus einer bestimmten Richtung mehr langperiodische Kometen kommen als erwartet. Ein Planet mit der 1,5- bis 6fachen Masse des Jupiter könnte diesen Effekt erzeugen. Er müßte 0,4 Lichtjahre entfernt sein – ungefähr 100mal weiter als Pluto – und die Sonne alle vier bis fünf Millionen Jahre umrunden. Erstaunlicherweise kam John Murray von der Open University im englischen Milton Keynes zu einem ganz ähnlichen Ergebnis, ohne von Mateses Arbeit zu wissen. Er fand ebenfalls eine Häufung langperiodischer Kometen aus einer bestimmten Richtung, und auch er führte dies auf den Einfluß eines Planeten zurück. Murray zufolge ist dieser Trabant etwa so schwer wie Jupiter, 0,5 Lichtjahre entfernt und umkreist die Sonne einmal in sechs Jahrmillionen – und zwar entgegengesetzt zur Umlaufrichtung aller übrigen Planeten und in einer Bahn, die rund 30 Grad zu den Bahnen der übrigen Planeten geneigt ist. Da ein solcher Orbit über 4,5 Milliarden Jahre – das Mindestalter des Sonnensystems – nicht stabil ist, vermutet Murray, daß der ominöse Außenseiter vor nicht allzulanger Zeit vom Schwerefeld der Sonne eingefangen wurde, also außerhalb des Sonnensystems entstanden ist.

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„Es wäre faszinierend, wenn der Planet dort draußen wäre“, sagt Murray und freut sich, daß Matese zu ähnlichen Resultaten gelangte. „Unsere Übereinstimmung ist außerordentlich.“ Doch andere Astronomen sind skeptisch. „Nur weil zwei Forscher auf denselben Effekt stießen, muß ihre Schlußfolgerung noch nicht richtig sein“, warnt Gareth Williams vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, Massachusetts. Sein Kollege Brian Marsden hatte schon vor 30 Jahren nach solchen Effekten gesucht – ohne Erfolg. „Wenn das Objekt ein Mehrfaches der Jupitermasse besitzt, wundert es mich, warum es bislang nicht entdeckt wurde“, meint Adam Burrows von der University of Arizona in Tucson. Die Astronomen stimmen aber darin überein, daß nur eine direkte Beobachtung des ominösen Planeten Klarheit bringen kann. Er wäre allerdings sehr lichtschwach und würde sich vor dem dichten Sternenhintergrund der Milchstraße im Sternbild Delphin vielleicht nicht deutlich genug abheben.

Die Suche nach unbekannten Planeten aufgrund von indirekten Indizien ist nicht neu. Bahnschwankungen des am 13. März 1781 von Friedrich Wilhelm Herschel in England entdeckten Uranus legten beispielsweise die Existenz von Neptun nahe: 1845 und 1846 hatten John Couch Adams und Urbain Leverrier unabhängig voneinander Neptuns Position errechnet, und am 23. September 1846 gelang Johann Gottfried Galle in Berlin die Entdeckung am vorhergesagten Ort. Doch auch Neptuns Bahnparameter zeigten bald Abweichungen von der Theorie. Anfang des 20. Jahrhunderts versuchten daher Percival Lowell und William Pickering diese Anomalien mit neuen Störungsrechnungen zu erklären. Lowell nannte den hypothetischen Störenfried Planet X. Er begann seine Suche nach ihm 1905 und setzte sie bis zu seinem Tod 1916 fort. Fündig wurde erst Clyde W. Tombaugh 1930 (bild der wissenschaft 1/1998, „Der eisige Außenseiter“). Doch Pluto, wie das neue Mitglied im Sonnensystem fortan hieß, entpuppte sich als zu klein, um Neptuns Bahnschwankungen hervorgebracht zu haben. Deshalb blieb die Idee eines weiteren – nun also zehnten – Planeten aktuell. Tombaugh suchte noch 13 Jahre, durchmusterte 70 Prozent des Himmels, überprüfte 45 Millionen Sterne und hätte einen Planeten wie Neptun noch in der siebenfachen Distanz Neptuns nachweisen müssen – vergeblich. Auch eine weitere Suchaktion, die Charles Kowal zwischen 1976 und 1985 am Mount Palomar-Observatorium geleitet hatte, führte nicht zur Entdeckung von Planet X.

Inzwischen ist sicher, daß Pluto nicht für Neptuns Bahnabweichungen verantwortlich sein kann. Wahrscheinlich handelt es sich bei diesen Störungen um Meßfehler und Rechenungenauigkeiten. Neptun verhält sich mittlerweile ganz so, wie die Physik es von ihm verlangt. Und die in den siebziger Jahren gestarteten Raumsonden Pionier 10 und 11 sowie Voyager 1 und 2, die inzwischen schon jenseits der Plutobahn sind, haben keine Spur von Planet X gefunden. Befände er sich irgendwo in ihrer Richtung, hätte er ihre Flugbahn meßbar beeinflussen müssen. Wäre sein Orbit aber geneigt, käme er so selten in die Erdbahnebene, daß die Fehlanzeige der Raumsonden nicht verwunderlich wäre. Im Katalog des Infrarotastronomie-Satelliten IRAS, der 70 Prozent des Himmels durchmustert hatte, gibt es ebenfalls keine Spur von Planet X. Freilich ist auch das kein Beweis seiner Nicht-Existenz. Nun haben Matese und Murray der Suche nach Planet X wieder Auftrieb gegeben. Vielleicht können die Astronomen in den nächsten Jahren das Geheimnis dort draußen im All endlich lüften. So einfach wie in den TV-Serien wird das allerdings nicht sein. Doch mit neuen Infrarotteleskopen stünden die Chancen gut, Planet X zu entdecken.

Rüdiger Vaas

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