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Vier hoffen auf den Techno-Oscar

Allgemein

Vier hoffen auf den Techno-Oscar
Am 5. Dezember vergibt der Bundespräsident im Berliner Max-Delbrück-Centrum zum sechsten Mal den Deutschen Zukunftspreis für Technik und Innovation. Nominiert sind vier Teams mit ihren Forschungsprojekten aus Chemie, Optoelektronik, Automobil- und Medizintechnik.

Notbremssystem Jeder vierte Unfall, an dem schwere Laster beteiligt sind, ist ein Auffahrunfall. Oft passieren die Zusammenstöße bei Kolonnenfahrten durch Übermüdung oder Unaufmerksamkeit des Fahrers nach stundenlanger monotoner Fahrt und unter Stress durch Zeitdruck und dichten Verkehr. Ein Forscherteam von DaimlerChrysler in Stuttgart und Berlin hat ein Notbremssystem für Nutzfahrzeuge entwickelt, das drohende Auffahrunfälle künftig vermeiden soll, indem es gegebenenfalls selbstständig bremst. Das Herzstück des Systems ist ein Radarsensor, der vorne am Lkw angebracht ist. Er beobachtet das vorausfahrende Fahrzeug und misst ständig dessen Geschwindigkeit relativ zum eigenen Wagen. Ein Steuergerät wertet die von dem Sensor gewonnenen Informationen aus. „Das Steuergerät schafft sich eine künstliche Landschaft, macht sich eine Vorstellung, wie die Welt aussieht und beurteilt dann in dieser künstlichen Welt, wie sich das Fahrzeug verhalten wird und ob daraus eine Gefahr entsteht“, beschreibt Dr. Jürgen Trost, Leiter der Vorentwicklung Mercedes-Benz Lkw bei DaimlerChrysler die Funktionsweise des „ Protector“. Wenn sich die Distanz zum Vordermann rasch unter einen Mindestabstand verringert, warnt Protector zunächst den Fahrer, zum Beispiel durch ein Piepsignal oder Rütteln am Lenkrad. Falls der Fahrer nicht auf die Warnung reagiert, werden automatisch Hupe, Warnblinklicht und Bremsleuchten eingeschaltet, um die vorausfahrenden und nachfolgenden Wagen auf die Gefahr aufmerksam zu machen. „Erst wenn die Situation wirklich kritisch wird, greift das System selbstständig in die elektronische Bremsanlage ein“, sagt Trost. Als besonders schwierig zu lösende Aufgabe bei der Entwicklung von Protector entpuppte sich die Anpassung des Notbremssystems an das Fahren im Stadtverkehr. Dort bewegt sich der Lkw in einem sehr komplexen Verkehrsumfeld mit vielen parallelen Spuren und mit geparkten Autos und Gegenständen am Fahrbahnrand, die der Radarempfänger wahrnimmt – und durch die die Sensoren irritiert werden könnten. „Wir mussten das System so gestalten, dass es zwar auf Autobahnen und Bundesstraßen Unfälle vermeidet, aber im innerstädtischen Bereich keine Fehlbremsungen auslöst“, sagt Trost. Die Forscher entwickelten deshalb eine Auswertesoftware, die beispielsweise erkennt, wenn das vorausfahrende Fahrzeug abbiegt oder – beim Abbiegen des eigenen Wagens – Hindernisse ausschließt, die sich hinter der Kreuzung auf der Fahrbahn befinden, und daher keinen Anlass für eine Warnung oder Notbremsung geben. Nach mehreren Jahren Entwicklungszeit ist das System nun reif für den Serieneinsatz. Derzeit wird es in einer Reihe von Lastkraftwagen bei verschiedenen Speditionen getestet. Bis Ende des Jahres sollen die Laster insgesamt rund eine Million Kilometer mit dem System zurückgelegt haben. Wegen des enormen Kostendrucks auf die Speditionen müsse die Anschaffung des Systems zum Beispiel durch Rabatte bei der Kfz-Steuer oder niedrigere Versicherungsbeiträge unterstützt werden, fordert Trost. Ingo Scherhaufer, Lorenz Schäfers und Dr. Jürgen Trost wollen mit einem vorausschauenden Notbremssystem schwere Auffahrunfälle von Lastkraftwagen verhindern.

Bio-Katalysatoren Einen Katalysator kennen die meisten aus ihrem Auto. Dort sorgt er dafür, dass Schadstoffe im Abgas möglichst vollständig verbrannt werden, bevor sie durch den Auspuff in die Umwelt gelangen können. In der chemischen Industrie werden bei vielen Herstellungsprozessen Katalysatoren eingesetzt, um den Ablauf chemischer Reaktionen zu beschleunigen. Meist müssen sie zusammen mit giftigen organischen Lösungsmitteln eingesetzt werden, benötigen hohe Temperaturen und produzieren große Mengen an Abfall. Die Natur macht das besser. Sie hat biologische Katalysatoren hervorgebracht: Enzyme – gefaltete Eiweißketten, die ihre Aufgabe weitaus effizienter, energiesparender und umweltschonender erfüllen. Prof. Maria-Regina Kula und Privatdozentin Martina Pohl vom Institut für Enzymtechnologie der Universität Düsseldorf fanden einen Weg, wie sich solche Bio-Katalysatoren auf einfache Weise gewinnen und industriell nutzen lassen. „Enzyme wirken nicht nur schneller, sondern auch viel spezifischer als anorganische Katalysatoren, sodass sie aus einer Vielzahl von angebotenen Substanzen nur mit einer einzigen reagieren“, sagt Kula. Trotz dieses Vorteils wurden Enzyme bis vor einigen Jahren technisch nur in wenigen Bereichen eingesetzt: zum Beispiel zum Abbau von Proteinen in Waschmitteln oder von Stärke bei der Herstellung von Süßstoffen und Papier. Kulas Ziel war es, Enzyme als Reaktionsbeschleuniger für viele andere chemische Prozesse nutzbar zu machen. Damit Enzyme als Katalysator wirken können, benötigen sie die Hilfe kleiner Moleküle, so genannter Kofaktoren, die an definierten Stellen der Eiweißkette gebunden sind. Die Kofaktoren werden bei der katalysierten chemischen Reaktion verbraucht und müssen daher ständig nachgeliefert werden. Das macht den Prozess teuer und stand lange Zeit einer Nutzung von Enzymen für technische Zwecke im Weg. Für Abhilfe sorgten Maria-Regina Kula und ihre Mitarbeiter: Sie isolierten aus den Zellen einer Hefe ein Enzym, das sich als Hilfssubstanz für Reaktionen eignet, die einen bestimmten Kofaktor benötigen. Durch das Enzym Formiatdahydrogenase (FDH) wird der Kofaktor während der chemischen Reaktion ständig regeneriert – und damit nicht verbraucht. Zudem entwickelten die Düsseldorfer Wissenschaftler ein Verfahren, mit dem sich FDH einfach und kostengünstig aus der Hefe gewinnen lässt. Ein weiterer Erfolg der seit einigen Monaten emeritierten Chemikerin und ihres Teams: Es ist den Forschern gelungen, durch eine gezielte Veränderung der Erbsubstanz DNA die Stabilität des FDH-Enzyms gegen schädigende äußere Einflüsse – wie Wärme, Spuren von Schwermetallen oder Sauerstoff in der Luft – um etwa den Faktor Hundert zu verbessern. Zudem ließ sich die Geschwindigkeit, mit der das Enzym chemische Reaktionen katalysiert, durch Genmutationen deutlich erhöhen. Inzwischen wird das Enzym zum Beispiel von dem Düsseldorfer Chemieunternehmen Degussa genutzt, um eine spezielle Aminosäure herzustellen. „Die Substanzen, die mithilfe des FDH-Enzyms erzeugt werden, braucht man zur Synthese von Pharmawirkstoffen“, sagt Kula. „Rheuma- und Aids-Mittel auf dieser Grundlage sind im Augenblick in der klinischen Erprobung.“ Privatdozentin Martina Pohl und Prof. Maria-Regina Kula ermöglichen mit Enzymen als biologischen Katalysatoren eine sanfte und umweltschonende Chemie.

Bildsensor Dem Menschen gelingt es mit einem Trick, die Welt räumlich wahrzunehmen: Er hat zwei Augen, mit denen er aus zwei unterschiedlichen Positionen das gleiche Bild sieht. Das Gehirn stellt die Augenwinkel so ein, dass sich beide Bilder überdecken und berechnet aus Augenwinkeln und Augenabstand die Entfernung des betrachteten Objekts. Technisch war dreidimensionales Sehen bisher schwierig zu realisieren. Herkömmliche Sensoren liefern lediglich zweidimensionale Bilder, aus denen man 3D-Informationen nur mit großem Aufwand gewinnen kann – zum Beispiel durch Scannen. Prof. Rudolf Schwarte vom Institut für Nachrichtenverarbeitung an der Universität/Gesamthochschule Siegen und sein Forscherteam haben jetzt einen Sensor entwickelt, der unmittelbar dreidimensionale Bilder liefert, inklusive der Entfernung der damit ins Visier genommenen Objekte. Dazu entwarfen die Siegener Forscher einen neuartigen optoelektronischen Halbleiterchip: einen so genannten Photonen-Misch-Detektor (PMD). Dieser fängt zum Beispiel Infrarotlicht auf, das eine räumliche Szene beleuchtet und mit einer bestimmten Frequenz moduliert wird. Der PMD-Sensor ist ebenfalls an die Modulationsquelle gekoppelt. Die von ihm aufgefangenen Photonen werden in dem Halbleitermaterial in Elektronen verwandelt, im Rhythmus der optischen Modulation hin und her geschaukelt und Pixel für Pixel ausgelesen. Je nach Entfernung des auf dem Pixel abgebildeten Objekts besitzt das ausgelesene Signal eine bestimmte Gestalt, in der die dreidimensionale Information kodiert ist. Gleichzeitig wird das störende Sonnenlicht bei der Entfernungsbestimmung automatisch unterdrückt. „Der große Vorteil des PMD-Verfahrens ist die Möglichkeit, viele solche Empfänger auf sehr kleinem Raum zu integrieren“, sagt Dr. Bernd Buxbaum, Technischer Geschäftsführer des im Mai gegründeten Spinoff-Unternehmens PMD Technologies in Siegen. Das Volumen des Empfangsteils schrumpft durch die neue Technologie auf die Größe eines Streichholzkopfes. Ein weiterer Pluspunkt: Da die Sensoren mit üblichen Halbleiter- Fertigungsprozessen hergestellt werden können, wie sie auch für Mikrochips im Einsatz sind, ist ihre Produktion preisgünstig. Als erste Anwendung entwickelten die Siegener Wissenschaftler eine 3D-Kamera, die 256 PMD-Empfänger enthält. Sie wird bereits bei der Entwicklung von Systemen für eine optimierte Auslösung von Airbags genutzt. Die Kameras beobachten den Innenraum des Autos und erkennen, welche Sitze belegt sind und welche Körperhaltung die Insassen gerade einnehmen. Künftig sollen 3D-Kameras Fahrzeugen auch das „Sehen“ nach außen ermöglichen: in Fahrerassistenz-Systemen, die ständig das Umfeld des Wagens erfassen und den Fahrer vor einem möglichen Unfall warnen. Dazu arbeitet PMD Technologies eng mit Audi zusammen. Denkbar sind auch Einsätze bei der optischen Übertragung von Daten, bei der Aufnahme dreidimensionaler Bilder im Rahmen einer Magenspiegelung oder als Orientierungssinn von Robotern. Eine andere Vision der Wissenschaftler: In einen Blindenhandschuh integrierte 3D-Sensoren sollen die Entfernung von Gegenständen messen – mithilfe von Druck erzeugenden Aktoren könnten Sehbehinderte dann fühlen. Prof. Rudolf Schwarte , Dr. Bernd Buxbaum und Torsten Gollewski haben einen Bildsensor entwickelt, der die Umgebung dreidimensional erfasst und sich kostengünstig herstellen lässt.

Computertomographie Der invasive Herzkatheter ist seit langem Standard bei Herzuntersuchungen: Der Arzt dringt mit dem Katheter ins Herz ein und durchleuchtet es mit Röntgenlicht. Weil dabei eine geringe Verletzungsgefahr besteht, lehnen viele Patienten den Eingriff ab. Ein neuartiges Computertomographie-System erlaubt nun eine nichtinvasive dreidimensionale Untersuchung des Herzens. Entwickelt haben es Forscher bei Siemens in Forchheim bei Nürnberg. „Das Herz ist schwierig abzubilden, denn es bewegt sich sehr schnell“, sagt Dr. Bernd Ohnesorge, Leiter des Entwicklerteams. „Wenn man es diagnostizieren will, muss man es virtuell einfrieren.“ Genau dies leistet die so genannte Multischicht-Spiral-Computertomographie. Der Patient wird dabei langsam durch einen schnell rotierenden Ring bewegt, auf dem gegenüberliegend eine Röntgenröhre und ein Röntgendetektor angebracht sind. Die Röhre sendet kontinuierlich Röntgenstrahlung aus, die von dem Detektor aufgefangen wird. Je nach der durchleuchteten Körperregion kommt nur ein Teil der emittierten Strahlung am Detektor an. Aus der Schwächung der Intensität berechnet der Tomograph bis zu 16 Schnittbilder des Körpers pro Umdrehung. Bei einer Umlaufzeit von 0,4 Sekunden können in der untersuchten Körperregion noch Strukturen, die nur einen halben Millimeter klein sind, abgebildet werden. Der Herzzyklus setzt sich aus einer Auswurfphase, der Systole, und einer Füllphase, der Diastole, zusammen. Um bewegungsfreie Bilder der Herzkranzgefäße zu bekommen, wird der Tomograph mit einem EKG-Gerät synchronisiert, und die Bilddaten werden nur in der diastolischen Phase des Herzzyklus berechnet, da sich das Herz dann in Ruhe befindet – etwa 150 Millisekunden lang. Spezielle Techniken zur Bildaufnahme und Bildberechnung erlauben eine Zeitauflösung von rund 100 Millisekunden. Das Augenmerk bei Herzuntersuchungen liegt auf den Herzkranzgefäßen. Darin festsitzende Ablagerungen (Plaques) sind die häufigste Ursache für einen Herzinfarkt. „Man kann mit dem 3D-Computertomographen Probleme erkennen, die man durch einen Herzkatheter nicht sehen kann“, sagt Ohnesorge – zum Beispiel in den Wänden der Herzkranzgefäße. „Rund die Hälfte der knapp 100000 Menschen, die in Deutschland jährlich an einem Herzinfarkt sterben, erreichte das Krankenhaus nicht mehr. Studien zeigen: Diese Patienten, die den plötzlichen Herztod erlitten haben, starben durch Infarkte an Stellen, die man mit dem Katheter gar nicht sehen würde.“ Ein weiterer Vorteil der Technik: Die Computertomographie lässt sich, anders als ein Herzkatheter, auch für reine Vorsorge-Untersuchungen zur Früherkennung von Erkrankungen der Herzkranzgefäße nutzen. Denn schon winzige Engstellen und Ablagerungen werden damit sichtbar.

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Dr. Richard Hausmann, Dr. Thomas Flohr und Dr. Bernd Ohnesorge machen durch ihre schnelle Computertomographie-Technik viele Eingriffe am Herzen mit einem Katheter überflüssig.

Ralf Butscher

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

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Ta|ma|rin|de  〈f. 19〉 1 〈Bot.〉 trop. Baum mit gefiederten, immergrünen Blättern: Tamarindus indica 2 essbare Frucht des gleichnamigen Baumes … mehr

Leit|wert  〈m. 1; El.〉 Kehrwert des elektrischen Widerstandes, gemessen in der SI–Einheit Siemens; →a. Scheinleitwert … mehr

Bu|ckel|rind  〈n. 12; Zool.〉 = Zebu

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