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Antonio Damasio: „Das Gehirn ist nur der Manager“

Allgemein

Antonio Damasio: „Das Gehirn ist nur der Manager”
Selbst-Bewußtsein entsteht aus der Interaktion eines Menschen mit einem anderen, es funktioniert auch ohne Gedächtnis. Und Geist entwickelt sich erst aus dem Körper, in dem er lebt. Mit solchen Thesen provoziert der Hirnforscher Antonio Damasio Kollegen und Öffentlichkeit.

bild der wissenschaft: Das Bewußtsein gilt vielen Gelehrten als Krönung der Fähigkeiten unseres Geistes. Von diesem Standpunkt aus vertreten Sie recht ketzerische Ideen.

DAMASIO: Angeblich entsteht Bewußtsein aus der Fähigkeit, Erinnerungen zu haben und diese mit Hilfe der Sprache zu einer Art zusammenhängender Person zu verbinden – zu irgendeinem „Ich”. Aber Sie können auch mit einem bescheidenen Gedächtnis und wenig Sprache spüren, daß Sie einen Geist haben und daß dieser Geist Ihr Geist ist.

bdw: Woher wollen Sie das wissen?

DAMASIO: David, einer meiner Patienten, hat sehr große Gedächtnisprobleme. Er erinnert sich nicht an Ereignisse aus seinem Leben, merkt sich nicht, was ihm gesagt wird oder was um ihn herum geschieht. Trotz dieser extremen Gedächtnisstörung ist ihm völlig bewußt, was hier und jetzt passiert. Obwohl er nicht weiß, was er gestern getan hat oder was vor 20 Jahren war, ist er ein menschliches Wesen wie Sie oder ich. Und er nimmt den Augenblick wahr, obwohl er ihn nicht in seine Autobiografie einordnen kann.

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bdw: Woher kommt das Bewußtsein, wenn es nicht viel mit Sprache oder Erinnerung zu tun hat?

DAMASIO: Ich werde mir beispielsweise Ihrer bewußt, weil sich der Zustand meines Körpers durch die Interaktion mit Ihnen ändert. Mein Organismus verändert sich, um Sie zu sehen und auf Sie zu reagieren. Solche Veränderungen werden registriert und sind die Basis für unser Bewußtseins. Ich definiere mich dann als ein Selbst, wenn mein Organismus sich durch die Interaktion mit einem Objekt ändert.

bdw: Wie nehmen wir diese Veränderung im Körper wahr?

DAMASIO: Das Gehirn spürt sie in Form von Gefühlen. Verschiedene Gehirnregionen bilden den chemischen Zustand des Körpers ab, die Aktivität der Eingeweide, die Spannung der Muskeln. Darum stehen Gefühle am Anfang der Vorstellung davon, wer wir sind.

bdw: Gefühle sind das ganze Geheimnis unseres Bewußtseins?

DAMASIO: Ich unterscheide zwischen dem schlichten Kernbewußtsein und dem erweiterten Bewußtsein. Das Kernbewußtsein bezieht sich auf das Hier und Jetzt. Es gibt uns das Gefühl, daß wir in diesem Augenblick als Individuen existieren, daß wir einen Geist haben und daß dieser Geist mit der Welt in Beziehung tritt. Aber weil wir komplexe Wesen mit einem großen Gedächtnis und einer Menge Erinnerungen sind, verfügen wir auch über eine sehr komplizierte autobiografische Konstruktion. Wir leben daher nicht nur im Hier und Jetzt, sondern kennen Vergangenheit und Zukunft.

bdw: Hilft Ihnen diese Theorie beim Verständnis der oft bizarren Eigenheiten Ihrer Patienten?

DAMASIO: Manche Patienten verfügen nur noch über das Kernbewußtsein, nicht mehr über ein erweitertes Bewußtsein. Bei David etwa ist das erweiterte Bewußtsein sehr begrenzt. Es gibt Patienten, die beides verlieren, so daß sie nur noch ein Geist mit bildlichen Vorstellungen sind, völlig unfähig ein Selbst zu entwickeln oder einen Sinn dafür, was gerade mit ihnen passiert.

bdw: Fällt das Bewußtsein nur bei solchen seltenen Störungen auseinander?

DAMASIO: In den frühen und mittleren Stadien der Alzheimer-Krankheit geht so viel vom autobiografischen Gedächtnis verloren, daß das erweiterte Bewußtsein schwächer und schwä- cher wird. In den späteren Stadien verlieren die Patienten sogar die Fähigkeit zu einem Kernbewußtsein, so daß sie allmählich nur noch völlig reflexhaft reagieren können.

bdw: Können diese Patienten ohne Bewußtsein zielgerichtet handeln, also etwa ein Glas Wasser trinken?

DAMASIO: Aber ja, solche einfachen Aktivitäten sind möglich. In ihrem Geist bildet sich immer noch ein Bild von dem Glas und von einer Blume. Aber die Bilder hängen nicht mehr zusammen und haben nichts mehr mit dem Patienten als Person zu tun.

bdw: Bekommen Alzheimer-Kranke diesen Zerfallsprozeß mit?

DAMASIO: Nein, dazu bräuchten sie gerade das Bewußtsein.

bdw: Wenn das Bewußtsein den Menschen nicht ausmacht, können dann nicht auch Tiere Bewußtsein haben?

DAMASIO: Ja, meiner Meinung nach haben mit Sicherheit auch andere Arten ein Bewußtsein. Aber ihr Bewußtsein dreht sich nur ums Überleben. Bewußtsein gestattet nur unserer Gattung mit ihrem großzügig ausgestatteten Gedächtnis und ihrer Sprache andere Leistungen, zu denen zum Beispiel dieser nette Hund da hinten in der Hotel-Lobby nicht fähig wäre.

bdw: Wieviel Bewußtsein hat ein Hund denn dann?

DAMASIO: Dieser spezielle, den ich schon die ganze Zeit beobachte, hat sicher ein Kernbewußtsein und vielleicht sogar ein bißchen erweitertes Bewußtsein. Er reagiert sehr nett auf den kleinen Jungen und scheint dabei glücklich zu sein. Er hat offenbar einen Sinn für seine eigene Hundehaftigkeit – seine eigene Persönlichkeit als Hund in Beziehung zu dem Jungen.

bdw: Er weiß also, daß er ein Hund ist?

DAMASIO: Ich glaube nicht, daß er weiß, daß er ein Hund ist. Ich denke, er merkt, wie bestimmte Leute und Orte mit ihm in Beziehung treten.

bdw: Könnte ein Roboter Bewußtsein haben?

DAMASIO: Ich denke, zumindest theoretisch könnte man einen Roboter mit Bewußtsein bauen – vorausgesetzt man folgt den Vorstellungen meines Buches, wie das Gehirn Bewußtsein erzeugt. Die Frage ist bloß: Wäre sein Bewußtsein wie Ihres oder meines? Das bezweifle ich. Denn weil ich glaube, daß unser Bewußtsein auf Gefühlen basiert – also auf der Sprache, mit der wir unseren Körper im Gehirn darstellen – wäre das Bewußtsein eines Roboters anders. Er hat ja keinen Körper aus Fleisch und Blut.

bdw: Könnten wir ihm keine Gefühle einbauen – oder simulieren?

DAMASIO: Die Frage ist, ob die Simulation funktionieren würde. Die Wahrnehmung hängt davon ab, woraus der Körper besteht. Gefühle haben ihren Ursprung in lebendem Gewebe.

bdw: Vielleicht könnte der Roboter fühlen, wie es seinen Transistoren gerade geht?

DAMASIO: Aber das wäre etwas anderes. Natürlich könnte ein Roboter den Zustand seines Eisens oder Siliziums oder was auch immer überprüfen. Aber warum sollte das Silizium seinen Nerven die gleichen Signale geben wie lebende Zellen den Nerven von Menschen? Das ist das Entscheidende.

bdw: Ein isoliertes Gehirn im Glas, wie es sich Science-fiction-Autoren gerne ausmalen, wäre dann wohl auch sehr im Nachteil?

DAMASIO: Ich glaube nicht, daß es einen normalen Geist hervorbringen würde. Die Entstehung des Geistes ist sehr eng mit all dem verbunden, was der Körper produziert, in dem das Gehirn lebt. Wir haben ein Gehirn, um das Leben in unserem Körper aufrechtzuerhalten und zu steuern. Das Gehirn steht nicht an erster Stelle, sondern der Körper. Das Gehirn dient als Manager. Der Manager ist immer komplexer geworden und steuert effizienter. Um wirkungsvoller zu steuern, braucht das Gehirn eine Vorstellung davon, was im Körper vor sich geht. Woher nimmt es die? Es stellt den Körper dar. Und alles was in unserem Kopf geschieht, dreht sich um die Beziehung zwischen Abbildungen des Körpers und Abbildungen von anderen Dingen.

bdw: Viele Philosophen, etwa Descartes, haben sich den Kopf über das Bewußtsein zerbrochen – und später kamen andere und rechneten mit ihnen ab, wie Sie in ihrem Buch „Descartes’ Irrtum” . Was wird mit Ihren Vorstellungen passieren?

DAMASIO: Wahrscheinlich werden sie dasselbe Schicksal erleiden. Aber die Ideen von Descartes sind viel angreifbarer, weil sie zu einer Zeit entstanden, als es kaum Fakten gab. Was Descartes etwa über Anatomie wußte, stammte offenbar von Obduktionen völlig verrotteter Gehirne. Meine Kollegen und ich wissen heute viel mehr über Anatomie und Physiologie, und wir kennen die Debatten der Vergangenheit. Also werden wir hoffentlich nicht dieselben Fehler machen. Andererseits werden wir wahrscheinlich unsere eigenen begehen.

Der Neurologe gehört zur Elite der Bewußtseinsforscher. Er ist davon überzeugt, daß Tiere ein Bewußtsein haben, während Roboter es nie dazu bringen werden. Sein jüngstes Buch „Ich fühle, also bin ich” setzte die New York Times auf ihre Liste der besten Wissenschaftsbücher. Der in Portugal geborene Hirnforscher arbeitet an der University of Iowa, provoziert gern und oft die Fachwelt und hat zahlreiche Wissenschaftspreise gewonnen.

Jochen Paulus / Antonio Damasio

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