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Kraftwerk im Keller

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Kraftwerk im Keller
Auch in Zukunft kommt der Strom aus der Steckdose. Erzeugt wird er aber immer häufiger im eigenen Keller: von umweltfreundlichen Brennstoffzellen mit weltrekordverdächtigem Wirkungsgrad. Und Wärme zum Heizen gibt’s gratis dazu.

Chris Forbes bläht die Backen wie ein Hamster und pustet in eine mattgraue Röhre, die aussieht wie ein Besenstiel. Die Luft entweicht wie durch ein Wunder, denn eigentlich sieht die Röhre völlig dicht aus. Ist sie aber nicht: „Da sind winzige Poren drin, durch die der Sauerstoff durchgeht“, doziert Forbes und malt eine Schnittzeichnung und ein paar Reaktionsgleichungen an eine Tafel. Forbes arbeitet bei Westinghouse in Pittsburgh, wo Komponenten für Kraftwerke entwickelt werden. Als sich der deutsche Konkurrent Siemens die Firma vor den Toren der alten Stahlstadt in Pennsylvania einverleibte, hatten die Münchener ihr Auge vor allem auf eine Entwicklung geworfen, für die Chris Forbes heute als Produktmanager zuständig ist: die Solid Oxide Fuel Cell (SOFC), auf deutsch: Hochtemperatur-Festoxid-Brennstoffzelle.

Sie besteht aus einem ganzen Bündel jener grauen Röhren. In diese wird Sauerstoff hineingepreßt, außen strömt entschwefeltes Erdgas vorbei. In der keramischen Wand der Röhren kommt es zu einer Reaktion, bei der Strom erzeugt wird: Jede Röhre liefert eine Spannung von einem Volt und eine Leistung von 210 Watt. Wird die Luft mit mehrfachem Atmo-sphärendruck in die Röhre gepreßt, sind es sogar 280 Watt. Im Bündel können da einige Megawatt zusammenkommen. Auch Siemens hatte an dem SOFC-Prinzip geforscht, mußte aber einsehen, daß die Westinghouse-Stäbe dem eigenen Ansatz mit planen Scheiben überlegen waren. Früher habe er viele Jahre in der Sparte Atomkraftwerke gearbeitet, erzählt Forbes. Doch das ist Vergangenheit. Beim Gang durch die Montagehallen, in denen die SOFC-Prototypen produziert werden, schwärmt Forbes von einer rosigen Energiezukunft mit Brennstoffzellen-Kraftwerken in jedem Keller, in jeder Fabrik, in Einkaufszentren, Krankenhäusern, Dörfern und und und. Wenn sich bewahrheitet, was Forbes erzählt, ist die SOFC-Brennstoffzelle tatsächlich die eierlegende Wollmilchsau für die Energiewirtschaft des 21. Jahrhunderts:

Sie erzeugt Strom so zuverlässig wie große Kraftwerke oder Blockheizkraftwerke, die heute schon Wohnsiedlungen mit Wärme und Strom aus Dieselgeneratoren versorgen. Flaute und Wolken wie bei Wind- und Sonnenenergie gibt es bei der Brennstoffzelle nicht. Eine Demonstrationsanlage lief anderthalb Jahre, davon neun Monate nonstop. Die Verfügbarkeit betrug insgesamt über 90 Prozent. „Die Anlage braucht kein Wartungspersonal und wird aus der Ferne über eine Datenverbindung gesteuert“, berichtet Chris Forbes. Ist mal eine Zelle kaputt, wird einfach die Röhre herausgesägt und eine neue eingesetzt. Einen Reformer, wie andere Brennstoffzellen-Typen, braucht die SOFC-Zelle nicht. Durch die hohe Temperatur von fast 1000 Grad Celsius im Inneren wird das Gas von selbst in Wasserstoff und Kohlenmonoxid gespalten. Sie hat einen konkurrenzlosen Wirkungsgrad von 50 Prozent und mehr. Die Westinghouse-Entwickler haben diesen Wert noch getoppt, indem sie die heißen Abgase, die mit 850 Grad Celsius aus der Brennstoffzelle strömen, in eine Turbine leiten und zusätzlich Strom gewinnen. Damit erreicht die Anlage einen Wirkungs-grad von rund 60 Prozent. Berechnungen zeigen, daß auch über 70 Prozent möglich sind. Zum Vergleich: Dieselmotoren schaffen bestenfalls 40 Prozent, kleine Gasturbinen höchstens 45 Prozent. Die Restwärme in der Brennstoffzelle bringt über einen Wärmetauscher die Reaktionsgase auf die richtige Temperatur, kann aber außerdem noch zum Erwärmen von Wasser für die Heizung genutzt werden. Resultat: Die Ausbeute des Brennstoffs steigt auf satte 85 Prozent. Sie ist umweltfreundlich. Die Abgase enthalten im wesentlichen Wasserdampf und Kohlendioxid, von letzterem aber weniger als in einem herkömmlichen Kraftwerk. Staub entsteht nicht und Stickoxide nur in minimalen Mengen, weil sich die giftigen Gase erst bei Temperaturen jenseits der 1000-Grad-Marke bilden. Um auch den Kohlendioxid-Ausstoß zu kappen, entwickelt Siemens-Westinghouse ein Kraftwerk für Bohrinseln. Dort soll das CO2 in die ausgebeuteten Lagerstätten unter dem Meeresgrund gepreßt werden. Eine große Hürde sind noch die hohen Investitionskosten. Schon 2004 sollen die Kosten auf 1,5 Millionen Dollar für ein Ein-Megawatt-Kraftwerk, entsprechend 1500 Dollar pro Kilowatt, gedrückt werden. Durch Serienfertigung und alternative Herstellungsmethoden soll langfristig ein Ziel von 1000 Dollar pro Kilowatt erreicht werden. Das wäre laut Siemens ein akzeptabler Wert, auch wenn vergleichbare kleine Gaskraftwerke nur die Hälfte kosten. Siemens rechnet dennoch mit einem potentiellen Markt von 500 Millionen Dollar pro Jahr. Doch Dr. Klaus Hassmann, Leiter der Brennstoffzellen-Entwicklung bei Siemens in Erlangen, warnt: „Überschreiten wir unser Kostenziel nur um zehn Prozent, kostet uns das bis zu 50 Prozent des anvisierten Marktes.“

Die deutschen Energieversorger sind auf die SOFC aufmerksam geworden. REW will in diesem Jahr ein SOFC-Kraftwerk mit 320 Kilowatt von Siemens in Essen installieren. Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) baut ein Ein-Megawatt Demonstrationskraftwerk in ihrem Technologiepark in Marbach. Die Anlage soll voraussichtlich ab 2002 die im Technologiepark angesiedelten Firmen, darunter die Solarzellenfabrik der Firma Würth, mit Energie versorgen. Die Brennstoffzelle selbst liefert dreiviertel der elektrischen Leistung, die Mikro-Gas-turbine in der Abgasleitung steuert ein Viertel bei. 2003 soll das Siemens-Konzept serienreif sein. Dann seien Anlagen von wenigen Kilowatt bis zig Megawatt denkbar, versichert Chris Forbes. Und die könnten ohne weiteres auch in Schiffen oder Lokomotiven eingebaut werden.

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Siemens-Westinghouse ist nicht die einzige Firma, die an Brennstoffzellen-Kraftwerken forscht. MTU in Friedrichshafen ist federführend bei der Entwicklung der MCFC-Technik (Molten Carbonate Fuel Cell). Auch in dieser Zelle wird das Gas durch die hohe Temperatur von 650 Grad Celsius direkt in seine Bestandteile gespalten, die Reaktion findet aber in einem Sandwichstapel aus Elektroden und Karbonat-Elektrolyt statt. Eine Demonstrationsanlage läuft seit Ende 1999 im Heizkraftwerk der Universität Bielefeld und liefert 250 Kilowatt elektrische und 160 Kilowatt Wärmeleistung.

Andere Firmen setzen auf sogenannte Polymer-Elektrolyt-Membran-Brennstoff-zellen. PEM-Zellen sind weit entwickelt und werden von den Automobilherstellern für künftige Antriebe favorisiert, weil sie auf kleinstem Raum die höchste Energieausbeute haben und weil sie mit niedrigen Temperaturen arbeiten. Sie eignen sich deshalb vor allem für kompakte Anlagen im Keller von Einfamilienhäusern.

Die Firma Vaillant, bekannt für ihre Heizungsanlagen, hat ein PEM-Aggregat für Mehrfamilienhäuser zur Serienreife gebracht. Es sieht aus wie ein normaler Heizkessel, erzeugt aber 4,6 Kilowatt Strom und 7 Kilowatt Wärme und – über einen eingebauten Gasbrenner – zusätzlich 25 Kilowatt Wärme für Spitzenzeiten im Winter. 2003 soll ein breiter Feldtest beginnen, ein Jahr später die Serienproduktion. Vaillant möchte im Jahr 2005 bereits 15000 Geräte allein in Deutschland verkaufen, 2010 sollen es europaweit jährlich 100000 sein. Den europäischen Gesamtmarkt schätzt man bei Vaillant auf 250000 Einheiten für 2010. Auch wenn die Anlage zu Beginn wohl doppelt so teuer ist wie ein herkömmlicher Heizkessel, kann sich die Anschaffung durch die zusätzliche Stromerzeugung nach weniger als zehn Jahren amortisieren. „Unsere Marktstudien zeigen, daß ein Bedarf für dieses Produkt besteht“, versichert Kai Klinder, Produktmanager bei Vaillant. Profitieren würde auch das Weltklima: Der Kohlendioxid-Ausstoß eines Mehrfamilienhauses mit der Brennstoffzelle würde sich fast halbieren.

Vaillant hat sich auch Gedanken über die intelligente Verbindung größerer Brennstoffzellen-Kraftwerke mit dem Netz der Energieversorger gemacht und dabei das Konzept des virtuellen Kraftwerks entwickelt: Wohnviertel oder Industriegebiete werden gemeinsam von mehreren Kleinkraftwerken versorgt, die von einem zentralen Energiemanagement gesteuert werden. Der Computer berechnet, wieviel Strom im Ort gebraucht wird, wieviel zu Spitzenzeiten ins Netz eingespeist werden muß und wie die Wärmespeicher gefüllt sind. Vorteil: Wenn mal eine Anlage ausfällt, springen andere automatisch ein.

Die Entscheidung für Brennstoffzellen-Kraftwerke nach dem Vaillant-Szenario bedeutet gleichzeitig ein Bekenntnis für eine neue Energie-Infrastruktur: Weg von zentralen Großkraftwerken mit einem Verteilnetz in Monopolhand und hin zu einer dezentralen Energieversorgung. Das hat auch für die Ex-Monopolisten Vorteile, die unter dem Druck des liberalisierten Strommarkts und dem absehbaren Aus für Atomstrom stehen. Sie können sich nicht länger Kraftwerke leisten, in denen mit großem Aufwand für Spitzenzeiten Strom erzeugt wird, die aber die meiste Zeit nicht ausgelastet sind. Außerdem verpufft die Wärme oft ungenutzt, weil Fernwärme nur über kurze Strecken sinnvoll ist. Besser sind kleine dezentrale Kraftwerke, die Strom und Wärme dort erzeugen, wo sie gebraucht werden und die durch Einspeisen von Überkapazitäten Spitzenzeiten im Stromnetz abfedern. Auch Dr. Dietmar Kuhnt, Vorstandsvorsitzender des Energiekonzerns RWE AG ahnt, was die Stunde geschlagen hat: „Die Zeit der Großkraftwerke ist möglicherweise vorbei.“

Kompakt Brennstoffzellen-Kraftwerke, die Strom und Wärme erzeugen, mausern sich zur idealen Energiequelle für Häuser, Fabriken oder Einkaufszentren. Sie sind umweltfreundlich und haben einen überragenden Wirkungsgrad. Strom wird künftig immer mehr dezentral erzeugt und ins Netz eingespeist.

Bernd Müller

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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