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Titelthema: So sehen Forscher unsere Zukunft

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Titelthema: So sehen Forscher unsere Zukunft
Skepsis überwiegt: Krieg um Wasser und Boden ist unvermeidlich, sagen internationale Prognose-Institute voraus. Telekommunikation und Genmedizin werden die Erwartungen vorläufig nicht erfüllen. Dafür scheint der Durchbruch für die umweltfreundliche Wasserstoff-Technologie möglich.

Nach Nostradamus, dem vielzitierten Schwarzseher des Mittelalters, soll 1999 das Jahr der großen Weltveränderung sein. Tatsächlich stimmen immer mehr Arbeitslose, zerstörte Umwelt, Schuldenberge und unbezahlbare Sozialleistungen wenig optimistisch für Prognosen jenseits der Zeitenwende. Im Gegensatz zu Nostradamus können sich Volkswirtschaftler und Naturwissenschaftler heute jedoch auf Fakten und Trends berufen, mit denen sie die Ursachen der Entwicklung nachvollziehen und mögliche Folgen ableiten.

Dabei sind sich selbst Auguren sehr unterschiedlicher Herkunft wie Prognos, RAND, die UN-Organisationen WMO, FAO und WHO, die IIASA, das Worldwatch-Institute oder die Mineralöl- Industrie in vielen eher pessimistischen Vorhersagen weitgehend einig. Das renommierte International Institute for Applied System Analysis (IIASA) in Laxemburg, Österreich, formuliert dies stellvertretend so: „Das weltweite sozioökonomische System unterliegt derzeit einer massiven Veränderung. Die globalen Umweltveränderungen haben dramatische ökonomische Auswirkungen, und der Zwang zum Wirtschaftswachstum hat seinerseits wiederum erhebliche Konsequenzen auf die Umwelt.“

Die Mutter aller Sorgen ist das exponentielle Wachstum der Weltbevölkerung, mit dessen vorhersehbaren Folgen die Wissenschaftler des Club of Rome schon Anfang der siebziger Jahre die Öffentlichkeit aufschreckten. 25 Jahre später bestätigen die aktuellen Studien die damalige Bewertung: Die größten Probleme wird der Verbrauch der natürlichen Ressourcen verursachen – von Wasser, Luft und Boden.

Bis zum Jahr 2020 wird die Zahl der Menschen nach Angaben der UNO von heute 5,7 Milliarden vermutlich um 2,6 Milliarden zunehmen, also in knapp 25 Jahren noch einmal genausoviel wachsen wie zwischen 1950 und 1990. Nach verschiedenen Szenarien der IIASA könnte sich dieser Trend erst um 2040 umkehren. 60 Prozent aller Simulationen sprechen dafür, daß dann die Weltbevölkerung bei der 11,5-Milliarden-Marke stagnieren wird.

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Zu den Warnern vor den Konsequenzen gehört die RAND Corporation in Santa Monica, Kalifornien, wo sich seit 1966 rund 500 Wissenschaftler mit Prognosen beschäftigen. Berieten sie während des Kalten Krieges die US-Regierung mit ihren Expertisen, warnen sie heute vor dem weltweiten Sicherheitsrisiko durch die wachsende Zahl der Menschen und die Folgen für die Umwelt: „Das explosive Bevölkerungswachstums in ökologisch fragilen Regionen, das Unvermögen von Ländern wie China, Ägypten und Indonesien, ihre Bevölkerungszahlen zu kontrollieren, ist eine Bedrohung für die gesamte Welt.“ Indonesien etwa beutet bei stetig wachsender Bevölkerung systematisch alle natürlichen Ressourcen aus, um die Wirtschaft zu modernisieren. Die Konkurrenz mit Japan und den „Tigerstaaten“ Asiens wird schließlich zu instabilen ökonomischen und politischen Verhältnissen führen, fürchtet RAND. Noch mehr soll dies für China gelten. Schafft es das Riesenreich, seine Wirtschaft zu modernisieren, ohne die Umwelt zu sehr zu schädigen, könnte das Land zur herrschenden Macht in Asien werden. Wenn nicht, sei durch die unzufriedenen Menschenmassen ein akuter Konflikt in der Region mit der Gefahr eines Weltkrieges zu erwarten.

Eine weitere Gefahr sieht RAND im Kampf ums Wasser. In den vergangenen 40 Jahren hat sich der Wasserverbrauch der Menschheit bereits verdreifacht. Da schon heute zahlreiche Länder – besonders in Afrika und Asien – unter Wassermangel leiden, wird sich die Situation in den kommenden Dekaden verschärfen. Die Möglichkeit, Trinkwasser durch Dämme zu speichern oder neue Grundwasservorräte anzuzapfen, ist auf der Erde weitgehend ausgeschöpft.

Zwar können Staaten, die über reiche Erdöl- und Erdgasvorräte verfügen, mit hohem Energieaufwand und Entsalzungstechniken Trinkwasser gewinnen. Doch den meisten Ländern ist dieser Weg aus Kostengründen verwehrt. Wollte man etwa mit der teuren Entsalzung von Meerwasser nur 5 Prozent des gegenwärtigen weltweiten Wasserverbrauchs decken, müßte man seinen aktuellen Anteil von gerade 0,15 Prozent um mehr als das 30fache steigern.

Gelingt es nicht, Wasser zu sparen und gerechter zu verteilen, wird es zu Kriegen kommen. Schon heute kann man auf der Landkarte die Krisenherde der Zukunft klar ausmachen: Sie liegen dort, wo große Flüsse über Landesgrenzen in trockenere Regionen fließen. So gräbt die Türkei mit ihrem Atatürk-Staudamm den Menschen in Syrien und im Irak buchstäblich das Wasser des Euphrats ab. Obwohl es seit 1987 eine Vereinbarung zwischen den drei Ländern gibt, die Syrien und Irak größere Wasseranteile zugesteht, hatte 1992 der damalige türkische Premierminister Suleyman Demirel erklärt: „Wir bestehen nicht darauf, daß sie ihre Ölreserven mit uns teilen. Wieso sollten wir ihnen dann unser Wasser geben?“

Ähnliche Krisenherde gibt es in Asien, etwa zwischen Indien und Bangladesch. Ursache des Streits ist dort das Wasser des Ganges. Seit 1973 zweigt Indien einen Großteil für Millionenstädte wie Kalkutta ab. Bangladesch erlebt seither katastrophale Hunger- und Dürrekatastrophen: Im Oktober 1995 mußten mehr als 40 Millionen Bangladeschi hungern, weil Indien den Wasserhahn zugedreht hatte.

Der Kampf ums Wasser wird sich in den nächsten Jahrzehnten verschärfen, nicht nur zwischenstaatlich, sondern auch innerhalb nationaler Grenzen. Um 2025 leben nach einer Analyse des Worldwatch Institutes in Washington D.C., USA, 40 Prozent der Menschheit in Ländern, in denen Wasser ein äußerst knappes Gut geworden ist. Immer häufiger trifft die Dürre auch Länder Europas, darunter Spanien und Italien, die manche Geographen bereits heute als Ausläufer der Sahara ansehen.

Wasser ist wichtig, um Nahrungsmittel zu produzieren. Zwar kann die Landwirtschaft für sich in Anspruch nehmen, daß sie heute erheblich mehr Menschen pro Hektar Ackerfläche ernährt als je zuvor. Benötigte man 1965 weltweit noch 4000 Quadratmeter Fläche pro Kopf, sind es heute noch 2700 Quadratmeter. Aber im Jahr 2020 müssen nach den Daten der Welternährungsorganisation FAO aufgrund des Bevölkerungswachstums 1600 Quadratmeter ausreichen, um einen Menschen zu ernähren, wenn es weltweit nicht zu katastrophalen Hungersnöten kommen soll. Dazu müßten die Erträge um jährlich 2,4 Prozent steigen. Derzeit liegt die Steigerungsrate trotz neuer Getreidesorten aber nur bei 1,5 Prozent.

Das Resultat der Hochrechnung: Um das Jahr 2020 werden allein in Asien 55 Prozent der Menschen in Ländern leben, die ein Fünftel ihres Getreidebedarfs importieren müssen. Selbst China muß heute schon Reis einkaufen. Um 2030 wird auch Indien – dann das bevölkerungsreichste Land der Erde – Reis importieren müssen, um seine Menschen zu ernähren.

Woher das Getreide kommen soll, weiß niemand. Selbst die USA, die noch immer der größte Getreideexporteur der Welt sind, wird aufgrund des Bevölkerungswachstums in den Staaten um die Jahrtausendwende nur noch den eigenen Bedarf decken können. Sollte es im Norden Amerikas in den nächsten Jahren aufgrund einer ähnlichen Dürre wie 1988 zu einer Mißernte kommen, wäre die globale Hungerkatastrophe sicher, so die Warnung der FAO.

Außerdem kollidiert der wachsende Bedarf an Getreide mit dem Umweltschutz. Pestizide, die etwa Methylbromid enthalten, müssen spätestens bis 2010 vom Markt verschwinden – in den USA sogar bis 2001 -, weil sie die Ozonschicht schädigen. So wurde es 1987 im Montrealer Abkommen zum Schutz der Atmosphäre beschlossen. Würde man brom- und chlorhaltige Pestizide weiter einsetzen, um die Ernten zu sichern, riskierte man aufgrund des löcherigen Ozonschildes eine erhöhte UV-Belastung, die schon heute weltweit nicht nur die Zahl der Hautkrebskranken steigen läßt, sondern auch die Nutzpflanzen schädigt. In hohen und mittleren Breiten – auch über Europa – beträgt die Abnahme pro Jahrzehnt inzwischen 8 Prozent. Mit dem Maximum des Ozonverlustes rechnen die Wissenschaftler erst um das Jahr 2030.

Probleme macht nicht nur das Ozonloch, sondern auch der Treibhauseffekt. Bis zum Jahr 2020 wird sich die Atmosphäre nach einem Modell des Max-Planck-Instituts für Klimaforschung in Hamburg um mindestens 0,5 Grad Celsius erwärmen. Die Folge: Mit jedem Grad wandern die Vegetationszonen um rund 200 Kilometer nach Norden. Theoretisch gibt es dabei Gewinner und Verlierer: Auf landwirtschaftlich bisher nicht nutzbaren Flächen Kanadas, Rußlands und Nord-Chinas könnte langfristig der Weizen blühen, während weiter südlich in den USA, in Brasilien und Indien die Felder verdorren. Aber selbst für die klimatisch bevorzugten Gebiete kann bis heute niemand beantworten, ob die Erschließung der Böden schnell genug vorankommt und ob die Erträge der Nutzpflanzen unter den künftig vermutlich härteren UV-Strahlen ausreichen, alle Mägen zu füllen („Die Mär vom gemeinsamen Boot“, bild der wissenschaft 3/1995).

Will man die globale Erwärmung in Grenzen halten, muß der Verbrauch an fossilen Energieträgern drastisch reduziert werden. Die jüngste Studie des Ölkonzerns Shell geht jedoch davon aus, daß sich Erdöl- und Erdgasbedarf bis zum Jahr 2020 nahezu verdoppeln. Ursache ist unter anderem die Nachfrage der Schwellenländer. Zwar wächst der Energiebedarf in den Industrieländern nicht mehr so stark wie bisher. Jede Mäßigung aber wird nichtig, wenn demnächst 1,2 Milliarden Chinesen ansetzen, ihren Lebensstandard dem in Europa und den USA anzugleichen – und ihre Energie dabei aus Braunkohle und Öl gewinnen.

In diesem Punkt sind die amerikanische RAND Corporation und die Wissenschaftler der IIASA in Laxenburg optimistischer als die Shell-Auguren. Im Gegensatz zu diesen sehen sie die chinesische Klimagefahr nicht als unvermeidlich an. Sie empfehlen der westlichen Welt allerdings, die Chinesen großzügig mit moderner Kraftwerkstechnik zu unterstützen – im eigenen Interesse. Denn damit ließen sich die Folgen des Treibhauseffektes zum großen Teil abpuffern.

Eine mögliche Wende könnten auch erneuerbare, die Umwelt nicht belastende Energieträger wie Wasserstoff oder Biomasse bringen. Für das Jahr 2020 müßten die Weichen hierfür allerdings schon heute gestellt werden, ist IIASA-Projektleiter Dr. Nebojosa Nakicenovic überzeugt.

Große Autokonzerne wie General Motors oder Daimler-Benz investieren derzeit immerhin Millionen in die Entwicklung von Wasserstoff-Fahrzeugen auf der Basis von Brennstoffzellen. Der ehemalige Forschungschef von Daimler-Benz, Prof. Harmut Weule, erklärte zur Weltwasserstoff-Konferenz 1996 in Stuttgart, daß man noch vor wenigen Jahren geglaubt habe, Serienfahrzeuge mit diesem Kraftstoff erst weit nach 2020 auf den Markt bringen zu können.Nach dem jüngsten Stand der Forschung werde man dieses Ziel aber wahrscheinlich schon früher erreichen.

Die japanische Regierung ist – anders als die deutsche – gewillt, den Schritt zur Wasserstoff-Wirtschaft schon heute zu gehen. Dr. Kenzo Fukuda vom japanischen Energieinstitut in Tokio erklärt: „Ich sehe für Japan aufgrund der großen Abhängigkeit vom Öl keine andere Chance, als offensiv auf die Wasserstoff-Technologie zu setzen.“

Tatsächlich haben die japanischen Forscher in den nächsten 25 Jahren für das „New Sunshine“-Projekt jährlich fast eine Milliarde Mark zur Verfügung. Neben Solar- und Brennstoffzellen will man in Japan auch Speicher- und Transportmöglichkeiten für Wasserstoff weiterentwickeln. Ziel ist ein komplettes Energieversorgungssystem auf der Basis von Wasserstoff, bei dem als Abgase nur warme Luft und Wasser entstehen.

Wie langfristig man in Japan denkt, zeigt das „New Earth 21-Projekt“, das um das Jahr 2020 „New Sunshine“ ablösen soll. Für New Earth 21 verhandelt die japanische Regierung derzeit mit Banken über die finanziellen Rahmenbedingungen.

Das größte Wachstum wird Japan bis dahin jedoch im Informations- und Kommunikationssektor haben, erwartet das Nomura Research Institute. Allein durch das Verlegen eines hochleistungsfähigen Glasfasernetzes, das bis zum Jahr 2010 alle Haushalte und Unternehmen an die Datenautobahn anschließen soll, will die japanische Regierung insgesamt 2,5 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Ein Vorbild für andere Industriestaaten?

Deutsche Experten, die für die Bundesregierung den Delphi-Bericht verfaßt haben, räumen der Informationstechnologie ebenfalls eine wichtige wirtschaftliche Rolle ein. Zum Teil, weil sich durch die blitzschnelle Verbreitung der Informationen in Netzen wie dem Internet auch die Entwicklungsgeschwindigkeit neuer Technologien bis zur Anwendungsreife erhöht. Was für die Wirtschaft notwendig ist, muß aber nicht für die Haushalte gelten. Der Geschäftsführer der Prognos AG in Basel, Dr. Hans Barth, hält Industrie und Forschung entgegen, sie würden generell die Durchsetzungskraft einer technischen Entwicklung überschätzen. Nach Ansicht von Barth werden im Jahr 2020 nur die Hälfte der bundesdeutschen Haushalte vernetzt sein. Interaktives Pay-TV, Zahlungsverkehr am heimischen Bildschirm oder private Videokonferenzen wären bis dahin wahrscheinlich realisierbar. Das Problem sei jedoch die mangelnde Akzeptanz und möglicherweise die fehlende Kaufkraft der Bevölkerung.

Das gleiche wie für die Telekommunikation in der Technik sagt Dr. Alan D. Lopez von der Weltgesundheitsorganisation WHO für die Gentechnik in der Medizin 2000 voraus. Krebs, Aids und alle Arten von Erbkrankheiten soll die Gentherapie heilen. Der Durchbruch aber sei nicht abzusehen.

Gegen die größten Gesundheitsrisiken des nächsten Jahrhunderts kann die Genmedizin auch gar nicht helfen. Unter den zehn häufigsten Todesursachen auf der Liste, die Lopez gemeinsam mit Prof. Chris Murray von der Harvard School of Public Health erstellt hat, stehen Herz- und Kreislauf-Erkrankungen sowie Straßenverkehr und Krieg. Der soll als Killer von Rang 16 heute auf Platz 8 im Jahr 2020 steigen – laut Lopez auch eine Folge der absehbaren Verteilungskämpfe um Wasser und Boden. Aids, das heute als weltweite Todesursache an 28. Stelle steht, soll in den kommenden 25 Jahren an die 10. Stelle rücken.

„Die meisten Menschen aber“, sagt Lopez, „werden im Jahr 2020 an den Folgen des Tabakgenusses sterben.“ Trotz der bekannten Risiken werden weltweit mehr Zigaretten verkauft, besonders an Frauen. Allein der Tabakkonzern Philip Morris verkaufte im letzten Jahr 891 Milliarden Zigaretten, neun Prozent mehr als 1995 – und davon beinahe 500 Milliarden Glimmstengel mit dem Cowboy-Image. Das Bild hat Symbolkraft: Die Zukunft der Erde liegt in blauem Dunst.

Helmut Vieser

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