Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Mission Mars-Mond

Astronomie|Physik

Mission Mars-Mond
Als Nahziel der Raumfahrt soll der sonderbare Mond Phobos groß herauskommen. Doch sein fernes Schicksal ist düster: Ihm droht Absturz oder Fragmentierung.

Kürzlich im Studio des amerikanischen Senders CBS: Ein etwas betagter Herr hält ein graues Objekt in die TV-Kameras. Das Modell stellt Phobos dar, den größeren der beiden Mars-Monde. „ Dieser Mond“, ruft er und hält den kartoffelförmigen Brocken dem Moderator entgegen, „ist der Schlüssel für die permanente Präsenz der Menschheit auf einem fremden Planeten.“ Phobos soll das nächste Ziel der NASA sein. Und mit Monden kennt sich Edwin „Buzz“ Aldrin aus: Als Astronaut von Apollo 11 sprang er vor vier Jahrzehnten in den Mondstaub, knapp 20 Minuten nach Neil Armstrong.

Trotz solcher Fernsehauftritte des Ex-Astronauten dürften nur Wenige im Publikum den Namen des Minimondes kennen. Im Fokus der Planetologen steht der Winzling, der im Mittel kaum 22 Kilometer dick ist, allerdings schon länger. Denn seit fast 15 Jahren wird der Mars permanent von Raumsonden umkreist. Nebenbei schwenken deren Kameras und Instrumente immer wieder auf den Kartoffel-Mond. Bald war den Planetenforschern klar: Phobos ist ein Sonderling, ebenso wie sein noch kleinerer Bruder Deimos. Die beiden dunklen Monde, die kaum sieben Prozent des einfallenden Sonnenlichts reflektieren, fügen sich einfach nicht in die Systematik, mit der die Forscher Ordnung in die Fülle der Trabanten bringen wollen.

Da gibt es einerseits die Gruppe der regulären Monde. Prominentester Vertreter ist der Erdmond (siehe bild der wissenschaft 6/2010, „Die sieben Rätsel des Mondes“). Ebenfalls dabei sind Exemplare wie Jupiters Vulkan-Mond Io oder der Saturnmond Titan. Über ein Dutzend weitere sind bekannt. Allen gemeinsam ist die kugelförmige Gestalt und die fast kreisförmige Umlaufbahn, auf der sie sich nahe der Äquatorebene ihres Planeten bewegen. Diese Trabanten sind vermutlich zusammen mit ihren Heimatplaneten entstanden.

Anders die irregulären Monde, die die überwiegende Mehrheit der rund 170 natürlichen Satelliten bilden: Ihre unförmigen Körper sind vergleichsweise klein, und sie haben oft geneigte und elliptische Bahnen. Astronomen gehen davon aus, dass viele als Planetoiden auf der Durchreise ihrem Planeten zu nahe gekommen sind und von dessen Schwerefeld eingefangen wurden. Doch Phobos und Deimos passen in keine dieser Schubladen. „Ihre Umlaufbahnen sind äquatornah und fast kreisrund, was auf eine gemeinsame Entstehung mit dem Mars hindeutet“, erklärt Jürgen Oberst vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). „Doch ihre Gestalt ähnelt den Kleinplaneten und lässt einen Einfang vermuten.“ Hat sich Mars seine Begleiter also erst später zugelegt?

Anzeige

Schlachtrösser standen Pate

Obwohl Astronomen die Freak-Monde seit über einem Jahrhundert observieren, ist deren Abstammung bis heute nebulös. Entdeckt wurden sie 1877 von dem Amerikaner Asaph Hall: Zwei winzige Lichtpünktchen, die in sehr geringer Distanz den Mars umwandern. In weniger als einem Mars-Durchmesser Abstand kreist Phobos. Deimos hat etwa die dreifache Entfernung. Hall benannte die Monde nach den Schlachtrössern des Ares, des griechischen Pendants zum römischen Kriegsgott Mars: Furcht (Phobos) und Schrecken (Deimos). Erst als vor vier Jahrzehnten Raumsonden begannen, den Mars zu umkreisen, kam ihre Erforschung voran. 1989 wagte die Sowjetunion einen Landeversuch, doch die Bodenkontrolle verlor 100 Kilometer vor dem Ziel den Kontakt zur Raumsonde Fobos 2. Diagnose: ein Fehler im Bordcomputer.

Nun setzen die Russen erneut zum Sprung an (siehe Kasten „ Phobos im Visier“). Es ist ihre erste Planetenmission seit 15 Jahren. Hilfe kommt diesmal von der Europäischen Weltraumbehörde, auch Deutschland stellt Bordgeräte. „Mit unserem Mimos-II-Instrument wollen wir die Eisenminerale im Phobos-Gestein untersuchen“, sagt Göstar Klingelhöfer von der Universität Mainz. Mimos steht für „miniaturisiertes Mößbauer Spektrometer“. Das silbrige Kästchen, kaum größer als eine Faust, ist eine Weiterentwicklung des Instruments, das seit sechs Jahren auf zwei NASA-Rovern über den Mars rollt. Mit beachtlichem Erfolg: Das Mainzer Gerät war beteiligt, als die NASA Mineralien aufspürte, die einst in Gegenwart von Wasser auf dem Mars entstanden sind (siehe bild der wissenschaft 9/2008, „Explosionen auf dem Mars“).

Für die harsche Phobos-Umwelt wurde es auf noch kältere Einsatzbedingungen getrimmt. Es kann nun selbst bei minus 150 Grad Celsius messen. Weitere Daten werden dringend benötigt, um den mysteriösen Ursprung von Phobos zu klären. Eine wichtige Rolle spielen dabei Experimente wie die von Martin Pätzold und seinen Kollegen von der Abteilung Planetenforschung im Rheinischen Institut für Umweltforschung. Die Kölner Forscher untersuchen, wie sich die Bahn von Mars Express (MEX) ändert, wenn diese europäische Sonde den Trabanten passiert. „Es geht uns besonders um enge Vorbeiflüge. Bei weniger als 500 Kilometern Distanz wird es interessant“, sagt der Geophysiker. Denn trotz der geringen Masse kann Phobos eine Raumsonde aus ihrer Bahn ablenken – ihre Geschwindigkeit ändert sich dabei um einige Millimeter pro Sekunde. Während einer solchen Passage empfängt MEX Radiowellen von der Erde, die sie umgehend zurückschickt. Gemessen wird dann die Verschiebung der Radiofrequenz, die auf die winzige Tempoänderung zurückgeht.

Mit solchen Messungen haben die Forscher Phobos gleichsam auf die Waage gelegt. Ergebnis: Er hat eine Masse von rund 10,7 Billionen Tonnen, das sind 0,00015 Promille der Masse des Erdmondes. Mithilfe der Bilder der MEX-Kamera ließ sich zudem das Volumen des Zwergmondes ermitteln. Und gemeinsam ergeben beide Werte eine weitere wichtige Kenngröße: die mittlere Dichte. Sie beträgt 1,87 Gramm pro Kubikzentimeter. „Das ist viel leichter als das Krustengestein des Mars. Ein zusammenhängendes Stück Fels, abgesprengt bei einem Einschlag, kann Phobos also nicht sein“, stellt Pätzold klar.

Himmelskörper der zweiten Generation

Am 3. März 2010 war es wieder soweit: Mars Express raste in nur 77 Kilometern an Phobos vorbei. 13 Minuten und 8 Sekunden brauchten die Radiowellen zur Erde und zurück zur Sonde. Die enge Begegnung diente vor allem dem Blick unter die Phobos-Oberfläche. Ähnelt der Mond einer bestimmten Planetoiden-Sorte, den „Rubble piles“, wie die Planetologen sagen, übersetzt etwa: „lockerer zusammengefügten Geröllhaufen“? Solche Himmelskörper haben eine dramatische Geschichte hinter sich: Sie wurden einst bei einer fatalen Kollision in Stücke gerissen, doch ihre Fragmente fügten sich später durch die Schwerkraft wieder zusammen. Auch der auf einer erdnahen Bahn kreisende Planetoid Itokawa scheint ein solches Exemplar zu sein. Eine japanische Sonde ermittelte 2005 seine Dichte: Der Wert von 1,95 Gramm pro Kubikzentimeter ähnelt frappierend dem von Phobos. Auch Alan Harris, Planetoiden-Experte des DLR in Berlin, ist von dieser Interpretation überzeugt. Ein weiterer Beleg ist der Riesenkrater Stickney, der größte auf Phobos. Stickney zeugt von einem gewaltigen Einschlag, den nur ein „Rubble Pile“ aushalten konnte. Wäre Phobos ein fester planetarer Körper, so hätte ihn die Wucht des Aufpralls zerfetzt.

Das Radar-Gerät von MEX war beim März-Vorbeiflug aktiv, um mögliche Schichtungen im Untergrund aufzuspüren. Die Auswertungen dauern noch an. Bereits klar ist, dass es im Innern von Phobos reichlich Spalten und Klüfte gibt – etwa 25 bis 35 Prozent seines Körpers bestehen wohl aus Hohlräumen. Was bedeutet das für die Entstehung des Mars-Mondes? „Wahrscheinlich ist er ein Himmelskörper der zweiten Generation“, meint Pätzold. „Er hat sich wohl erst nach der Entstehung des Mars in dessen Umlaufbahn aus Trümmerstücken gebildet.“ Was der Ursprung dieser Trümmer war, wird im MEX-Team noch heiß diskutiert. So könnte ein Planetoid bei einem zu engen Einfang im Mars-Orbit zerbrochen sein. Ein solches Schicksal erlitt 1992 der Komet Shoemaker-Levy 9, der in Jupiters Schwerefeld zerrissen wurde, als er dem Riesenplaneten zu nahe kam. Denkbar ist auch, dass Mars von einem Planetoiden getroffen wurde und Phobos aus den in die Umlaufbahn geschleuderten Mars-Trümmern entstanden ist.

AUF TODESKURS

Weitere Analysen sind also nötig. Hilfreich sind dabei Computer-Simulationen wie die von Valery Lainey und Michael Efroimsky. Die Astronomen analysierten die Störkräfte, die von der Sonne, den Planeten und vom Nachbarmond Deimos ausgehen. Ihr düsteres Verdikt: Phobos Tage sind gezählt – eine Kollision ist unausweichlich. „In 24 bis 45 Millionen Jahren muss er auf den Roten Planeten stürzen“, sagt Lainey, der am Observatoire de Paris forscht. „Doch wahrscheinlich wird der Mond auf seiner Abwärtsspirale schon zuvor von den Gezeitenkräften des Mars zerrissen.“ Denn Phobos kreist bereits heute nahe am sogenannten Roche-Limit. Sobald er diese Grenze passiert, reicht seine Schwerkraft nicht mehr aus, um ihn zusammen zu halten – er bricht erneut in Stücke.

Trotz der prekären Langzeitprognose: In näherer Zukunft könnte Phobos erst einmal groß herauskommen. Wie Buzz Aldrin fordern auch andere Experten bemannte Raumflüge zu dem Mars-Trabanten. Ihr Hauptargument: Wegen seiner geringen Schwerkraft wäre ein solches Abenteuer leichter zu bewerkstelligen als eine Landung auf dem Erdmond. Auch Leroy Chiao, Ex-Astronaut und Weltraumberater des Weißen Hauses, empfahl kürzlich im Wissenschaftsblatt New Scientist den bemannten Phobos-Flug – als Vorbereitung für eine Mars-Landung. US-Präsident Obama sprach zwar schon kurz danach von Astronauten im Mars-Orbit, aber es ist noch zu früh für eine Prognose, wohin die Reise der NASA gehen wird. Phobos wird die Wissenschaftler auf jeden Fall weiter beschäftigen, mit oder ohne Stiefelabdrücke auf seiner Oberfläche. Der nächste Termin steht schon fest: Im Januar wird Mars Express erneut auf Tuchfühlung gehen. ■

Thorsten Dambeck, promovierter Physiker, sortiert für bdw den Nachrichtenstrom vom Mars (zuletzt in bdw 8/2010 über Wasser).

von Thorsten Dambeck

Phobos im Visier

Fobos Grunt („Phobos‘ Boden“) heißt die russische Sonde, die fast 12 Tonnen wiegt – drei Viertel davon sind allerdings Raketentreibstoff. Der Start ist für Herbst 2011 vorgesehen. Auf ihren vier Beinen soll sie Anfang 2013 weich auf Phobos landen. Bei der Suche nach einem geeigneten Zielgebiet hilft die Bordkamera der europäischen Sonde Mars Express. Insgesamt 50 Kilogramm wiegen die wissenschaftlichen Instrumente, die die Phobos-Oberfläche und die Mars-Umgebung untersuchen sollen. Dazu gehören mehrere Kameras und Spektrometer, außerdem ein Radargerät und ein Seismometer.

Neben der Landung geht es den Russen um Gesteinsproben: Etwa 200 Gramm sollen eingesammelt und mit einer Rückkehrstufe zur Erde chauffiert werden. Die Landung im Sommer 2014 soll eine winzige, elf Kilogramm leichte Kapsel bewerkstelligen. Laut René Pischel vom Moskauer Büro der ESA wird auch die europäische Weltraumbehörde beteiligt sein: Geplant ist, Fobos Grunt vom Start bis zur Rückkehr zu unterstützen. Das gesamte Netz der ESA-Bodenstationen wird dabei mitwirken. Zusammen werden sie bis zu vier Stunden täglich nach den Signalen der Sonde lauschen.

KOMPAKT

· Physiker haben Phobos gleichsam auf die Waage gelegt – mit Radiowellen. Sie ermittelten, dass seine Masse nur 0,00015 Promille von der des Erdmondes beträgt.

· Der Mars-Mond kreist auf einer instabilen Bahn: Spätestens in 45 Millionen Jahren wird er abstürzen, wenn ihn nicht zuvor schon Gezeitenkräfte zerrissen haben.

Mehr zum Thema

LESEN

Schöner Bildband über den Mars: Oliver de Goursac BILDER VOM MARS Knesebeck, München 200, € 29,95

Gut lesbares Fachbuch über die kleinen Körper im Sonnensystem: O. Richard Norton, Lawrence Chitwood FIELD GUIDE TO METEORS AND METEORITES Springer, London 2008, € 28,51

Aktuelles Sachbuch zur Marsforschung: Ulf von Rauchhaupt DER NEUNTE KONTINENT S. Fischer, Frankfurt 2009, € 19,95

INTERNET

3D-Animation von Phobos aus Mars Express Bildern: www.dlr.de/desktopdefault.aspx/ tabid-1/86_read-13776

Planetologen-Website für die Mars-Express-Fotos – auch für Mars-Fans interessant: hrscview.fu-berlin.de

Sammlung aktueller Bilder von Phobos und Deimos, unterlegt mit Musik: www.youtube.com/watch?v=2zYdHOjGLp8

Website zum Mars Reconnaissance Orbiter: mars.jpl.nasa.gov/mro

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Cou|veu|se  〈[kuvøz] f. 19; Med.〉 Brutkasten (Wärmebett) für Frühgeborene [frz.]

Pop–up–Fens|ter  〈[–p–] n. 13; IT〉 bei Anklicken aufspringendes kleines Fenster [zu engl. pop up … mehr

On|line|an|ge|bot  〈[–ln–] n. 11; IT〉 Dienstleistungen, Waren u. Ä., die online (bes. über das Internet) zum Verkauf, zur Nutzung angeboten werden

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige