bild der wissenschaft: Sie haben 1987 die Existenz eines neuen physikalischen Feldes vorgeschlagen, das Sie Kosmon nannten, und über das Physiker bis heute unter dem Namen „Quintessenz“ einige hundert Artikel veröffentlicht haben, obwohl niemand weiß, ob es existiert. Wie kamen Sie dazu?
WETTERICH: Ich wollte verstehen, warum die Kosmologische Konstante – ein Term in Albert Einsteins Feldgleichungen – so klein ist.
bdw: Und wie lautet die Antwort?
WETTERICH: Wir haben nicht den leisesten Schimmer, nur ein paar Modellvorstellungen. Vielleicht sind wir zu dumm dazu. Ich wollte jedenfalls eine Alternative zur Kosmologischen Konstante finden. Die Energiedichte des Kosmon-Feldes ist heute so klein, weil das Universum sich so weit ausgedehnt und sie verringert hat. Der jetzige winzige Wert der homogen verteilten Dunklen Energie könnte also durch das hohe Alter der Welt erklärt werden.
bdw: Gibt es dafür Belege?
WETTERICH: Noch nicht. Bei der Analyse des Lichts ferner Quasare fanden Astronomen erste Hinweise darauf, dass sich die elektrische Elementarladung im Lauf der Jahrmilliarden geringfügig geändert haben könnte. Wenn das wahr ist, wäre es ein Argument für die Quintessenz.
bdw: Trotzdem ist die Kosmologische Konstante unter beobachtenden Astronomen beliebter.
WETTERICH: Sie ist ein sehr vorhersagekräftiges Modell und somit leicht zu überprüfen. Als einziger Parameter muss sie alles leisten. Viele Theoretiker finden Quintessenz-Modelle aber natürlicher. Im frühen Universum kann die Kosmologische Konstante keine Rolle gespielt haben. Die Quintessenz dagegen hat nach einem Modell von mir die Galaxienbildung etwas verlangsamt. Das müsste sich aus den großen Galaxienkatalogen, die gegenwärtig erstellt werden, ablesen lassen und könnte sich bereits in den WMAP-Daten zeigen.
bdw: Wie geht es weiter?
WETTERICH: Solange wir keine fundamentale Theorie der Kräfte und Teilchen haben, die die Dunkle Energie erklärt, müssen wir astronomisch testen, welche Mechanismen nötig sind – und einfach mal die Dynamik des Kosmons parametrisieren. Man darf die Sachverhalte nicht besser darstellen, als sie sind – wir tappen noch im Dunkeln.
Rüdiger Vaas