Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Feurige Jets

Allgemein

Feurige Jets
Elektronenstrahlen schießen 100 000 Lichtjahre weit ins All. Schwarze Löcher verschlingen nicht nur Gas und Sterne, sondern beschleunigen auch Partikel in ihrer Umgebung bis fast auf Lichtgeschwindigkeit. Denn Magnetfelder werden wie Spaghetti verdrillt und ragen als Teilchenautobahnen ins All hinaus.

Auf den ersten Blick sieht sie aus wie eine ganz normale elliptische Galaxie: M 87. Doch die 50 Millionen Lichtjahre entfernte Welteninsel im Sternbild Jungfrau gilt heute als Prototyp einer aktiven Galaxie. In ihrem Zentrum befindet sich das größte bekannte Schwarze Loch. Mit seiner gewaltigen Gravitation verschlingt das drei Milliarden Sonnenmassen schwere Ungetüm Gaswolken und ganze Sterne. Gleichzeitig schießt es einen Materiestrahl, einen sogenannten Jet, mit fast Lichtgeschwindigkeit in den Weltraum. Bereits Ende der siebziger Jahre hatten Roger Blandford vom Caltech in Pasadena und Martin Rees von der Cambridge University ein Modell zur Entstehung der Jets entwickelt. Es gilt in seinen Grundzügen noch heute: Das Schwarze Loch zieht Materie aus der Umgebung an, die jedoch nicht sofort von ihm verschluckt wird, sondern sich zunächst in einer rotierenden Scheibe sammelt. Nur senkrecht dazu kann Materie entweichen – der eine Strahl schießt oberhalb, der andere unterhalb der Scheibe ins All. Dieses „Doppelauspuff-Modell“ hat vielen Forschern sofort eingeleuchtet. Doch wichtige Fragen blieben offen: Warum fliegt das Gas vom Schwarzen Loch fort, wenn dieses doch alles verschluckt? Warum bleiben Jets teilweise über Millionen von Lichtjahren hinweg gebündelt? Woraus bestehen sie? Direkt erkennen läßt sich die nächste Umgebung Schwarzer Löcher nicht. Dafür sind sie zu klein. Das Schwarze Loch in M 87 beispielsweise hat einen Radius von neun Milliarden Kilometern. Das entspricht dem 1,5fachen Halbmesser der Plutobahn. Selbst mit dem Hubble-Weltraumteleskop sind in M 87 höchstens Details sichtbar, die über 20000mal größer sind. Radioteleskope übertreffen Hubbles Auflösung, wenn man mehrere von ihnen koppelt und mit allen simultan dasselbe Himmelsobjekt beobachtet. Ein solches globales Netz hat das Auflösungsvermögen eines einzigen Radioteleskops mit dem Durchmesser der gesamten Erde. Amerikanische Astronomen nutzten diesen Verbund, zu dem auch das 100-Meter-Radioteleskop in Effelsberg, Eifel, gehört, um das Zentrum von M 87 tausendmal genauer zu studieren als mit Hubble. Bis auf einige hundertstel Lichtjahre ließ sich die Umgebung des Schwarzen Lochs auflösen. Das ist zwar immer noch etwa 30mal mehr als dessen Radius, kommt dem Entstehungsort des Jets aber schon sehr nahe. Dabei zeigte sich, daß der Jet anfänglich sehr breit ist. Wahrscheinlich weitet er sich zunächst auf etwa 60 Grad. Dann scheint ihn eine unsichtbare Kraft zu umschließen, und ab etwa einem Lichtjahr Entfernung strömt das Gas wie in einem Schlauch weiter. Auf älteren Radioaufnahmen läßt sich der Jet etwa 5000 Lichtjahre weit verfolgen, bevor er in einer großen Blase verwirbelt. „Unser neues Bild von M 87 stützt die Theorie, wonach Magnetfelder den Teilchenstrom in einem dünnen Jet zusammenhalten“, sagt John Biretta vom Space Telescope Science Institute in Baltimore, Maryland. Die Magnetfelder ragen parallel zu den Jets in den Weltraum. Dabei werden sie in der Scheibe des Schwarzen Lochs „eingefroren“, wie die Astrophysiker sagen. Dies geschieht, wenn das Gas so heiß ist, daß die Atome in ihre elektrisch geladenen Bestandteile zerfallen: Elektronen und Protonen. Dann „klammern“ sich die Partikel an das Magnetfeld, und in der rotierenden Scheibe werden die Feldlinien wie Nudeln in einem Rührteig mitgezogen. Dabei verdrillen sich die Linien, reißen auf und vereinigen sich neu. Dieses komplizierte Wechselspiel führt dazu, daß die Linien wie Spaghettis senkrecht zur Scheibe in den Weltraum hinausragen und den Teilchen den Weg weisen. Über die Ursache der Magnetfelder in den Zentren der Jet-Galaxien rätseln die Astrophysiker noch. Die Schwarzen Löcher selbst erzeugen sie nicht. Das könnten sie nur, wenn sie elektrisch geladen wären, was derzeit als ausgeschlossen gilt. Doch Spiralgalaxien sind von ausgedehnten, schwachen Magnetfeldern durchzogen. Diese werden von den Gasscheiben der Schwarzen Löcher eingefangen und durch die Rotation verdichtet und verstärkt. Daß es überhaupt in den Galaxien – auch in unserer Milchstraße – Magnetfelder gibt, liegt vermutlich an heißen Gaswolken aus Protonen und Elektronen. Sie bewegen sich durch die Galaxien und erzeugen so Magnetfelder – ganz ähnlich wie Elektronen in der stromdurchflossenen Spule eines Elektromagneten. Astrophysiker sind schon lange davon überzeugt, mit Gasscheibe, Schwarzem Loch und Magnetfeld die wesentlichen Zutaten zum Jet-Menü gefunden zu haben. Dennoch blieb ein Problem: In Computersimulationen zur Entstehung der Jets waren die Teilchen immer zu langsam. Zwar läßt sich die Geschwindigkeit der Partikel nicht direkt messen. Indirekte Indizien weisen aber darauf hin, daß sie mit über 95 Prozent der Lichtgeschwindigkeit davonrasen. Es muß also einen Mechanismus geben, der dem kosmischen Beschleuniger den ultimativen Kick gibt. Und den glauben die Theoretiker jetzt gefunden zu haben: die Rotation des Schwarzen Lochs. Wie das funktioniert, läßt sich nur mit Hilfe der Allgemeinen Relativitätstheorie verstehen. Nach ihr verbiegen massereiche Körper den Raum, ähnlich wie eine Stahlkugel eine Mulde in einem gespannten Tuch erzeugt. Als die beiden österreichischen Physiker Hans Thirring und Joseph Lense sich 1916 mit Einsteins Theorie beschäftigten, entdeckten sie, daß ein rotierender Körper nicht nur den Raum krümmt, sondern ihn um sich herum auch verzerrt, ähnlich wie ein Mixer den Teig. Dieser Lense-Thirring-Effekt ließ sich vor zwei Jahren erstmals an zwei Satelliten im Erdorbit nachweisen. Bei Schwarzen Löchern führt der Effekt dazu, daß die Magnetfeldlinien zusammen mit der Gasscheibe um den Zentralkörper herumwirbeln. Bei einer Galaxie ließ sich nachweisen, daß der Innenbereich der Scheibe bis zu 80000 Kilometer pro Sekunde schnell rotiert, also mit gut einem Viertel der Lichtgeschwindigkeit. Derart verdrillte Magnetfelder, das zeigen neue Computersimulationen, sind offenbar in der Lage, elektrisch geladene Teilchen bis auf 98 Prozent der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen und in den Jet- Kanal zu schießen. „Wir vermuten schon lange, daß die Rotation der Schwarzen Löcher erheblich zu der Teilchenbeschleunigung beiträgt. Jetzt können wir den Effekt endlich berechnen, wenngleich dies bislang wegen der enormen Komplexität nur ansatzweise möglich ist“, sagt Max Camenzind von der Landessternwarte Heidelberg, der sich seit 20 Jahren mit dem Problem beschäftigt. „Dem Schwarzen Loch wird durch diesen Vorgang Rota-tionsenergie entzogen, und es wird immer langsamer.“ Theoretisch dauert es rund zehn Milliarden Jahre, bis das Schwarze Loch völlig zum Stillstand kommt. Allerdings wird es gleichzeitig durch die Materie angestoßen, die es aus der Scheibe aufsaugt. Sie fällt in Rotationsrichtung in das Schwarze Loch hinein und schubst es ähnlich an wie ein Kind einen Kreisel. Das funktioniert auch bei Schwarzen Löchern, obwohl sie keine feste Oberfläche besitzen. Bei ihnen wirkt die antreibende Kraft auf das Schwerkraftfeld und versetzt es in Schwung – ein seltsamer Vorgang, der sich ebenfalls nur mit der Relativitätstheorie erklären läßt. Bleibt die Frage, wie schnell sich so ein Loch überhaupt drehen kann. Direkt zu beobachten ist seine Rotation nicht – aber sie könnte berechnet werden, wenn sich die Auswirkungen des Lense-Thirring-Effekts messen ließen. Hier hoffen die Astrophysiker auf die beiden jüngst gestarteten Röntgenobservatorien Chandra und Newton-XMM. Mit ihnen wollen sie die vom heißen Innenrand der Gasscheibe kommende Röntgenstrahlung studieren. Immerhin läßt sich schon jetzt ausrechnen, wie schnell sich ein Schwarzes Loch höchstens drehen kann. Der Zentralkörper im M 87 beispielsweise hat einen Umfang von etwa 60 Milliarden Kilometern. Da sich nichts schneller als das Licht bewegt, kann sich das kosmische Loch im Zentrum der Galaxie höchstens alle zwei Tage einmal um sich selbst drehen.

Thomas Bührke

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Vor|gang  〈m. 1u〉 1 Geschehen, Ablauf, Hergang (Natur~) 2 in den Akten festgehaltener Fall … mehr

klein  〈Adj.〉 1 von geringem Ausmaß, von geringer Größe; Ggs groß ( … mehr

Bon|vi|vant  〈[bvivã] m. 6; veraltet〉 1 Lebemann 2 〈Theat.〉 Rollenfach des eleganten Lebemanns … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige