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Betrug in der Forschung

Allgemein

Betrug in der Forschung
Ist die Wissenschaft dabei, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren? Seit dem Sommer muß sich die Forschung in Deutschland mit ihrem größten Betrugsskandal auseinandersetzen. Der Ulmer Krebsforscher Prof. Joachim Herrmann und seine ehemalige Mitarbeiterin Prof. Marion Brach (heute in Lübeck) werden beschuldigt, Publikationen in großem Stil gefälscht zu haben. Marion Brach ist geständig, Herrmann bestreitet die Vorwürfe. Schuld auf sich laden nicht nur Fälscher. Mitschuld trägt nach Auffassung von Prof. Karin Mölling auch der moderne Wissenschaftsbetrieb.

Verdacht Ein dreister Versuch?

Die Publikation aus einem der besten internationalen wissenschaftlichen Journale hat sieben Autoren – unter ihnen Marion Brach und Joachim Herrmann. Sie alle müssen das Manuskript vor der Veröffentlichung gesehen und akzeptiert haben. Ein sogenannter „Kommunikator“ empfahl, diese Arbeit der Fachzeitschrift „EMBO“ (European Molecular Biology Organization) zur Veröffentlichung. Zwei international anerkannte Wissenschaftler – ausgewiesene Spezialisten – mußten die Arbeit nach drei Kriterien gutgeheißen haben: Neuigkeitswert, breites Interesse, technische Qualität.

Indes:Sämtliche Autoren und Gutachter nahmen keinen Anstoß daran, daß die Abbildungen 4 B und 4 C identisch sind, obwohl diese die Ergebnisse zweier verschiedener Experimente belegen. Sie alle hätten fragen müssen, ob da aus Versehen zweimal dasselbe Bild verwendet wurde. Nach der Veröffentlichung hätten die Autoren ein Erratum mit der richtigen Abbildung in einem der späteren Hefte abdrucken lassen können – das hätte die Welt wieder in Ordnung gebracht. Doch nichts dergleichen geschah. Soviel Hektik kann es nicht geben, daß niemandem auffällt, wenn ein und dieselbe Abbildung für zwei verschiedene wissenschaftliche Meßreihen verwendet wird.

War es also kein Versehen, sondern eine dreiste Manipulation? Der letztgenannte Autor, Joachim Herrmann, ist der Leiter des Projekts, der Vertreter nach außen. Er ist der offizielle Ansprechpartner, der das „copy right“ für die Drucklegung unterzeichnen muß.

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Allerdings: Auch ich selbst und mehrere meiner Mitarbeiter an meinem Institut haben die Untersuchung gelesen, ohne die Dublette zunächst zu bemerken.

Die Untersuchung, von der hier die Rede ist, erschien 1994 und beschreibt die Wiederherstellung der Sensitivität von Tumorzellen gegenüber Chemotherapie mit Hilfe eines Ribozyms. Ribozyme sind – populär ausgedrückt – Scheren, um die Erbsubstanz zu zerkleinern. Diese Wiederherstellung der Sensitivität hätte man gerne, weil dadurch Krebspatienten erfolgreicher mit Zytostatika bekandelt werden könnten.

Möglicherweise stimmt bei der Arbeit über Ribozyme außer den Abbildungen 4 B und 4 C noch mehr nicht. Denn es war schon sehr überraschend, daß Ribozyme in der Lage sein sollen, nicht nur in Zellkulturen im Labor, sondern auch im Tierexperiment zu funktionieren, wie in nachfolgenden Arbeiten derselben Autoren beschrieben wurde.

Ob auch diese Arbeit unter Fälschungsverdacht geraten ist, ist mir allerdings nicht bekannt. Was bei den Arbeiten von Brach und Herrmann Fakt ist und was Fiktion, sollen jetzt wissenschaftliche Untersuchungskommissionen aufklären.

Karriere Die Selbstreinigungskraft der Forscher Eines ist sicher: Wer es sich leistet, fehlerhafte Arbeiten zu publizieren, geht ein hohes Risiko ein. Selbst wer nicht bewußt betrügt, sondern „nur“ schlampt, unseriös arbeitet oder nicht genug nachdenkt, riskiert Kopf und Kragen. Denn der Konkurrenzdruck der Wissenschaftler untereinander sorgt früher oder später dafür, daß das Versagen aufgedeckt wird. Einmal mit einem solchen Makel behaftet, erscheinen auch alle bisherigen, vielleicht unangreifbaren Arbeiten in schiefem Licht: Anträge auf Fördermittel werden nicht mehr befürwortet. Und bei Kongressen gibt es Angriffe auf offener Bühne.

Eine fehlerhafte Arbeit publiziert zu haben, ist das Aus einer wissenschaftlichen Karriere – und der Alptraum eines jeden normalen Wissenschaftlers. Jedem Doktoranden wird daher frühzeitig eingebleut: Niemals darf auch nur ein einziges falsches Ergebnis publiziert werden. Und: Richtig ist ein Ergebnis erst dann, wenn es drei- oder besser viermal in unabhängigen Durchläufen reproduziert werden konnte – möglichst aus mehreren Blickrichtungen heraus. Jeder andere Forscher muß zum selben Ergebnis gelangen können, wenn er die Arbeit nachmacht. Deshalb gehört es zum Ethos des Wissenschaftlers, Material weiterzugeben und den Kollegen die Chance einzuräumen, die eigene Argumentation nachzuvollziehen.

Um am wissenschaftlichen Fortschritt teilzuhaben, muß man den Stand der Konkurrenz erreichen – nur deshalb werden die Untersuchungen anderer überhaupt wiederholt. Man kann dasselbe Ergebnis nicht veröffentlichen, also lohnt sich die Wiederholung nur, wenn man auf diesem Gebiet eigene neue Untersuchungen in Angriff nehmen will.

Arbeiten, die in anderen Instituten nicht experimentell nachvollzogen werden können, verlieren auf die Dauer an wissenschaftlichem Gehalt. „Geht bei uns nicht“ – folgern die andern und denken, daß da vielleicht ein Spezialfall erfaßt worden ist. Im Lauf der Zeit wird die nicht verifizierbare Arbeit nicht mehr zitiert und verschwindet in der Versenkung. Die Wissenschaft nimmt also keinen nachhaltigen Schaden, weil am Beginn des Weges jemand in eine falsche Richtung wies. Für Öffentlichkeit und Geldgeber ist es gut zu wissen, daß Fördermittel dadurch nicht dauerhaft fehlgeleitet werden.

Konkurrenz Die Selbstreinigungskraft der Forscher Heute arbeiten ebenso viele Menschen in der Wissenschaft wie in allen hinter uns liegenden Zeiten zusammen-genommen. Um sich in dieser Masse noch Gehör zu verschaffen, gilt mehr als je zuvor das geflügelte Wort „publish or perish“. Wer nicht rasch veröffentlicht, hat in der Wissenschaft keine Chance. Das hat Konsequenzen: Einerseits werden oft die gleichen Ergebnisse von verschiedenen Forschern parallel vorgelegt – das Rad wird mehrfach erfunden. Immerhin hat diese Redundanz eine positive Seite. Sie garantiert die gegenseitige Kontrolle. Manchmal überrascht jedoch die Zeitgleichheit, mit der nahezu identische wissenschaftliche Ergebnisse vorgelegt werden: Die modernen Kommunikationsmittel haben den Informationsfluß unter den Wissenschaftler deutlich beschleunigt. Andererseits tragen sie mit Sicherheit auch dazu bei, daß das eine oder andere Arbeitsergebnis von einem konkurrierenden Forscherteam leichter ausspioniert werden kann als das früher der Fall war.

Der Konkurrenzdruck begünstigt überdies auch oberflächliches Arbeiten: Unausgereifte Daten werden schnell publiziert, um ja der erste zu sein. Die Flut der auf Veröffentlichung wartenden Manuskripte verursacht aber noch ein anderes Problem: Gerade gute und an prominenter Stelle arbeitende Wissenschafter – wie die Gutacher der anerkannten Journale – können für eine Arbeit immer weniger Zeit aufwenden. Nur so läßt es sich erklären, warum den Gutachtern der eingangs zitierten Arbeit entgangen ist, daß eine Abbildung als Beleg für zwei unterschiedliche Meßreihen herhalten mußte.

Angesehene Hochschullehrer kommen inzwischen nicht mehr umhin, mehrere Arbeiten pro Woche durchzusehen und das dazugehörige Gutachten zu verfassen. Angesichts des Engagements für die eigene Forschung und der tagtäglichen Arbeitsbelastung im Universitätsbetrieb bleibt dafür meist nur noch der Feierabend, den die meisten Forscher in des Wortes eigentlichem Sinn ohnehin nicht kennen.

Zwei bis drei Stunden Zeit sind für eine Begutachtung mindestens aufzubringen, und drei Gutachten pro Woche sind keine Seltenheit. Was Wunder, wenn diese Belastung dazu führt, daß kleinere Fehler oder Schludereien immer häufiger übersehen werden. Dabei wird durch das Gutachten die wissenschaftliche Arbeit eines ganzen Forscherjahres gewürdigt: Soviel Zeit wird durchschnittlich für eine Publikation gebraucht. Die Verantwortung ist also enorm. Verdient wird mit dieser gutachterlichen Tätigkeit nichts. Sie gehört schlicht zum Ethos der Wissenschaftler – schließlich braucht man auch für die eigenen Arbeiten Gutachter.

Natürlich gibt es auch Taschenspielertricks, die sich Forscher einfallen lassen können, um sich in Positur zu bringen. Ein Beispiel aus eigener Erfahrung: Bei einer sehr hochkalibrigen Publikation bestand der Lieferant eines Serums darauf, als Mitautor genannt zu werden. Wir stimmten dem zu. Jahre später fragte mich ein Institutskollege des besagten Ko-Autors in einer stillen Stunde: „Das Serum damals ist doch besonders gut gewesen – oder?“ Der Mann wußte, wovon er sprach. Denn er selbst hatte das Serum hergestellt und der andere hatte es ohne dessen Wissen weitergereicht. Er machte im übrigen auch eine wissenschaftliche Karriere.

Verantwortung Wer mitpubliziert, muß auch mithaften Um Scheckbetrüger und Mörder zur Strecke zu bringen, hat man das Strafgesetz, auf dessen Grundlage Urteile gefällt werden. In der Wissenschaft gibt es dagegen keine rechtliche Basis für eine Verurteilung. Als Notlösung bietet sich an, Wissenschaftler, die des Betrugs überführt sind, wegen Veruntreuung von Steuergeldern anzuklagen. Immerhin stammen viele Forschungsmittel aus öffentlichen Töpfen.

Um Betrügern in der Wissenschaft auf die Schliche zu kommen, hat der US-Kongreß ein „Office of Research Integrity“ eingerichtet. Eine solche Überwachungsbehörde jetzt auch für Deutschlands Forscher zu fordern, bringt die Wissenschaft nicht weiter. Denn die seit 1989 arbeitende US-Organisation ist nicht von großem Erfolg gekrönt. Allzu schwer ist es, Fälschungen einwandfrei nachzuweisen. Meines Wissen konnte nur etwa jeder fünfte Fall eindeutig geklärt und zum Abschluß gebracht werden.

Eine andere Regelung, die in den Vereinigten Staaten nach den dortigen Fälschungsaffären gefordert wird, sollte dagegen auch hier durchgesetzt werden: die Verantwortung aller Autoren für die gesamte Arbeit. Verantwortung nur für den eigenen Beitrag zu einer Publikation zu übernehmen – der manchmal nur aus dem Zuliefern von biologischem Material besteht -, reicht nicht.

Außenstehende mag diese Forderung überraschen, könnte man doch meinen, daß Autoren natürlich die ganze Verantwortung für ihre Arbeit haben. Es ist aber eine verbreitete Unart, daß Forscher auf Autorenlisten schon dann stehen wollen, wenn sie eine besondere Zelle oder ein Serum für die Untersuchung beigesteuert haben. In solchen Fällen wird man mitunter zum Ko-Autor, ohne die Arbeit bei der Entstehung verfolgt zu haben, ja man hat sie vielleicht noch nicht einmal vor der Veröffentlichung gesehen.

Auch mit einer anderen Unsitte sollte Schluß gemacht werden: Ein Wissenschaftler darf die Ko-Autorenschaft nicht erhalten, um die Publikationsliste zu verlängern oder nur, damit er sich mit dem Namen eines mitgenannten renommierten Kollegen schmücken kann.

Künftig sollten alle Autoren vor Einsendung einer Arbeit eidesstattlich erklären, daß sie für die Richtigkeit der gesamten Arbeit bürgen. Die Autoren müßten dadurch in jedem Fall auch Einzelheiten miteinander durchsprechen. Um solche gemeinsamen Plattformen zu erarbeiten, bieten sich die Treffen anläßlich der vielen wissenschaftlichen Kongresse sowie die modernen Kommunikationsmöglichkeiten an.

Und schließlich: Auch der letztgenannte Autor – der Senior -, unter dessen Regie eine Untersuchung entsteht, sollte sich nicht mit Argumenten wie Patienten-Überlastung oder Vortragsterminen aus der Verantwortung herausreden dürfen.

Für Fehler einer Arbeit gehört jeder Mitautor an den Pranger gestellt. Das wäre ein guter Reinigungsprozeß und eine hervorragende Selbstkontrolle der Wissenschaftler.

Karin Mölling

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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